Das Mediengesetz Ungarns hat die Gemüter erhitzt: Nicht nur wurde ein Verstoß gegen das Europarecht behauptet, manche sahen sogar die Grundwerte der EU erschüttert, wollten Ungarn die Ratspräsidentschaft aberkennen. Unter dem politischen Druck hat Ungarn nun eingelenkt. Doch nicht alle Vorwürfe werden durch die zugesagten Änderungen entkräftet. Von Przemyslaw N. Roguski.
Am vergangenen Dienstag verständigten sich die EU-Kommission und Ungarn auf eine Änderung des umstrittenen ungarischen Mediengesetzes. Dies ist der vorläufige Schlusspunkt in einer Debatte, der es teilweise an Sachlichkeit, dafür aber nie an harten Vorwürfen und erhitzten Gemütern fehlte. Von einer massiven Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit war die Rede und von einem Versuch, eine staatliche Kontrolle über die Medien durchzusetzen.
Früh schaltete sich die EU-Kommission in die Debatte ein. Die zuständige Kommissarin Neelie Kroes forderte von Ungarn eine Erläuterung einiger Punkte, die aus Sicht der Kommission besonders strittig waren. Die ungarische Regierung, um politische Schadensbegenzung bemüht, antwortete schnell und bot Nachbesserungen an. War rückblickend die Aufregung mancher EU-Parlamentarier berechtigt?
Pflicht zur ausgewogenen Berichterstattung auch bei Anbietern von Mediendiensten
Das am 20. Dezember 2010 verabschiedete ungarische Mediengesetz dient der Umsetzung der EU-Richtlinie über Audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) ins nationale Recht. Es enthält Bestimmungen über die Regulierung linearer und nicht-linearer Mediendienste, die Aufgaben und den Funktionsrahmen der staatlicher Fernsehsender, Konzentrationsvorschriften und Vorschriften über die Aufgaben und Zusammensetzung der Aufsichtsbehörden.
Hauptkritikpunkt an dem Gesetz waren die Verpflichtung der Mediendiensteanbieter zur ausgewogenen Berichterstattung und die damit einhergehenden Kontrollbefugnisse der obersten Kontrollbehörde, des Medienrates. Kritisch war hierbei nicht die Verpflichtung an sich, denn sie entstammt, zusammen mit dem Gegendarstellungsanspruch, der AVMD-Richtlinie. Das Problem lag vielmehr darin, dass die Pflicht zur ausgewogenen Berichterstattung über die Rundfunkveranstalter hinaus auf alle Mediendiensteanbieter ausgeweitet wurde, also auch auf Anbieter von On-Demand-Mediendiensten.
Der entscheidende Punkt lag in der Bestimmung, wer als Anbieter von On-Demand-Mediendiensten anzusehen ist. Ist es nur der Großanbieter, der ein redaktionell aufgebautes, umfassendes Programm von Sendungen zum Abruf bereitstellt, oder ist es auch der Betreiber eines kleinen Blogs mit ein paar YouTube-Videos? Die Kommission ging von der zweiten Alternative aus und sah darin eine Gefährdung der nach Art. 11 der EU-Grundrechtecharta geschützten Meinungsfreiheit unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit. Die jetzt vereinbarten Änderungen beschränken die Verpflichtung zur ausgewogenen Berichterstattung auf Rundfunkanbieter und schließen somit sämtliche Anbieter von On-Demand-Mediendiensten aus.
Verstoß gegen das Herkunftslandprinzip nun bereinigt
Ein weiterer Kritikpunkt der Kommission bestand darin, dass das ungarische Mediengesetz die Möglichkeit vorsah, ausländische Mediendiensteanbieter mit Strafzahlungen zu belegen, wenn sie gegen ungarische Jugendschutzvorschriften verstoßen und zum Rassenhass aufstacheln.
Art. 3 der AVMD-Richtlinie gewährleistet den freien Empfang von audiovisuellen Mediendiensten und unterstellt die Regulierung von Mediendiensten lediglich dem Herkunftsland. Die Norm erlaubt allerdings eine Abweichung vom Grundsatz des freien Empfangs eben gerade bei Verstößen gegen Bestimmungen zum Schutz von Minderjährigen. Ungarn argumentierte daher, es setze nur die Bestimmungen der AVMD-Richtlinie um.
Die Kommission hingegen hielt die Festsetzung von Strafzahlungen gegen ausländische Mediendiensteanbieter für unverhältnismäßig; die AVMD-Richtlinie setze nicht fest, welche Maßnahmen ein Mitgliedstaat bei Verstößen gegen Jugendschutzbestimmungen ergreifen darf. Dies erscheint richtig, denn die Bestimmungen des Mediengesetzes würden es Ungarn ermöglichen, Strafen für ein Verhalten festzusetzen, das in dem Herkunftsland des Mediendiensteanbieters erlaubt ist. Das würde aber die Regulierungshoheit und die innere Ordnung des Herkunftslandes beeinträchtigen. Die nun vereinbarten Änderungen sollen daher die Strafzahlungen für ausländische Anbieter abschaffen.
Übertriebene Registrierungspflichten nach wie vor problematisch
Schließlich wurde kritisiert, dass sich gem. Art. 41 des Mediengesetzes alle Anbieter von Mediendiensten bei der zuständigen Behörde registrieren sollen. Darin sah die Kommission eine Gefährdung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, soweit ausländische Anbieter sich bereits vor der Erbringung der Dienstleistung registrieren müssten. Auch hier wurden Änderungen vereinbart, die klarstellen sollen, dass die Registrierungspflicht keine Voraussetzung für die Erbringung der Dienstleistung ist.
Die Registrierungspflicht ist jedoch auch unter einem Punkt problematisch, den die Kommission nicht ansprechen konnte, weil der EU dafür die Zuständigkeit fehlt. Fallen unter die Registrierungspflicht nämlich nicht nur die
Rundfunkveranstalter und Betreiber von Video-on-Demand-Diensten oder die Presse, sondern auch Betreiber privater Webseiten und Blogs, so könnte darin ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheitsgarantie nach Art. 10 EMRK liegen. Die Registrierungspflicht könnte auf die private Meinungsäußerung nämlich einen so genannten chilling effect haben, das heißt die Betreffenden würden von einer Meinungsäußerung abgehalten.
Die ungarische Regierung begründet die Registrierungspflicht damit, dass auf diese Weise eine effektive Verfolgung von Persönlichkeits- oder Urheberrechtsverletzungen ermöglicht werden soll. In der Tat muss in solchen Fällen der Verletzte wissen, wer der Betreiber der Webseite ist, damit er gegen ihn gerichtlich vorgehen kann. Dies kann jedoch auch auf einem die Meinungsfreiheit schonenderen Wege erreicht werden, etwa durch eine Impressumspflicht.
Kritiker sollten sich trotzdem mäßigen
Die Kommission hat sich, so scheint es, in allen angesprochenen Punkten durchgesetzt. Ungarn wird das Mediengesetz nachbessern und es den Vorschriften der AVMD-Richtlinie anpassen. Dadurch werden allerdings nicht alle Kritikpunkte beseitigt. Die Kommission konnte nur die Belange ansprechen, für die auch eine EU-Zuständigkeit besteht. Weiterhin problematisch bleiben Regelungen, die die Meinungsfreiheit betreffen, etwa die angesprochene Registrierungspflicht. Auch die mangelnde Staatsferne der Kontrollorgane ist bedenklich.
Dennoch sollten sich auch die Kritiker in Mäßigung üben. Ungarn ist ein demokratisches Land, das in dem europäischen Wertesystem fest verankert ist. Bei Verstößen gegen die Meinungsfreiheit steht der Weg zum ungarischen Verfassungsgericht und zum Europäischen Gericht für Menschenrechte offen. Von Manchen bemühte Vergleiche mit Weißrussland sind daher fehl am Platze. Gleichwohl kann und muss über das ungarische Mediengesetz weiter diskutiert werden.
Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
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Przemyslaw Roguski, Ungarisches Mediengesetz: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2595 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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