Deutschland soll die gefangenen IS-Anhänger mit deutscher Staatsangehörigkeit aufnehmen. Politik und Sicherheitsbehörden haben Bedenken und suchen nach alternativen Lösungen. Simon Gauseweg zu einer vertrackten Kontroverse.
Der amerikanische Präsident hat auf Twitter gedroht, Gefangene freizulassen, die er gar nicht in Gewahrsam hat. Seitdem diskutiert auch Deutschland, wie es mit Rückkehrern aus dem Konfliktgebiet, in dem noch vor einigen Monaten die islamistische Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) eine Tyrannei aufzubauen versucht hat, umgehen will.
Einigkeit besteht darin, dass man die selbsternannten Dschihadisten am liebsten wegsperren oder gar nicht erst ins Land lassen möchte. Um das zu erreichen, gibt es eine Reihe von Vorschlägen und Ideen, teils abwegig, teils schwer vermittelbar.
Fest steht bis jetzt nur: Jedenfalls diejenigen IS-Anhänger mit ausschließlich deutscher Staatsangehörigkeit wird die Bundesrepublik zurücknehmen müssen. Für die anderen wird der Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft oder aber die Errichtung internationaler Tribunale zur Strafverfolgung diskutiert.
Grund- und Menschenrecht auf Einreise
Dass die Bundesrepublik Deutsche ins Bundesgebiet einreisen lassen muss, gebieten bereits die Menschenrechte. So setzt Art. 12 Abs. 4 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) das Recht auf Einreise in das eigene Land voraus und verbietet den willkürlichen Entzug. Der Anknüpfungspunkt zum "eigenen Land" ist hierbei nicht ausschließlich die Staatsbürgerschaft, sondern umfasst nach Auffassung des UN-Menschenrechtsausschuss (Steward vs. Canada, 1977) auch Personen, die über eine andere besondere Bindung an das Land verfügen.
Die Europäische Menschenrechtskonvention gewährt ein vergleichbares Recht in Art. 3 Abs. 2 des 3. Zusatzprotokolls, das Deutschland im Jahr 1968 ratifiziert hat. Dieses kommt sogar ohne den im IPbpR enthaltenen Willkür-Vorbehalt aus. Auch die rechtlich unverbindliche, aber gleichwohl sehr bedeutende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) postuliert in Art. 12 Abs. 2 ein vorbehaltloses Recht auf Rückkehr ins eigene Land.
Ein deutscher Staatsangehöriger kann sich zudem auch auf Art. 11 Grundgesetz (GG), das Grundrecht auf Freizügigkeit, berufen. Dieses umfasst nicht nur die Freizügigkeit innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik, sondern eben auch die Einreise ins Land. Diejenigen Deutschen, die es bis an die Grenze schaffen, wird man daher keinesfalls einfach abweisen können. Und auch diejenigen, die im Ausland ein Konsulat der Bundesrepublik oder das eines anderen EU-Mitgliedsstaates um Hilfe ersuchen, könnten am Ende einen Anspruch auf Rückführung nach Deutschland haben.
Für große Teile der Politik und der Sicherheitsbehörden, aber sicher auch der Bevölkerung, kommt das einem Albtraum gleich. Denn die Rückkehrer waren bereits bei der Ausreise ideologisch verblendet und sind im Konfliktgebiet bestenfalls "nur" traumatisiert, schlimmstenfalls aber zu Mördern und Kriegsverbrechern geworden. Was also tun?
Entzug der Staatsangehörigkeit?
Nahe liegt, ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen. Diese Lösung favorisiert auch die Regierung von Großbritannien derzeit in Bezug auf die zweifelhaft berühmt gewordene, englische Schülerin Shamima Begum. Betroffene könnten sich dann jedenfalls nicht mehr auf Art. 11 GG und wohl auch nicht auf die jeweiligen Menschenrechte berufen, um einreisen zu dürfen.
Diesem Vorgehen steht allerdings Art. 16 GG entgegen. Nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Herrschaft gelten in Deutschland hohe Hürden für Ausbürgerungen. Insbesondere legen Völkerrecht und Grundgesetz einhellig fest, dass die Ausgebürgerten durch den Entzug der Staatsangehörigkeit nicht staatenlos werden dürfen.
Die Lösung, die Staatsangehörigkeit zu entziehen, kann daher ohnehin nur bei denjenigen (ehemaligen) IS-Anhängern funktionieren, die neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch noch eine andere besitzen.
Rechtsgrundlage für einen Entzug fehlt (noch)
Für diese Lösung fehlt es aber auch schon an einer entsprechenden einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage. Dass die Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrororganisation einem Verzicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft gleichkommt, ist gesetzlich (noch) nicht geregelt. Ein entsprechender Entwurf wurde bereits vor Monaten vom Innenministerium erarbeitet, wird vom Justizministerium aber noch geprüft.
Insbesondere bestehen Bedenken aufgrund des Rückwirkungsverbots. Denn die Ausreise aus dem Bundesgebiet und der darauf folgende Beitritt zum IS liegen bereits Monate oder Jahre zurück. Es wäre nicht rechtsstaatlich, nun aufgrund vergangener Handlungen Rechtsfolgen für die Zukunft zu bestimmen.
Anders könnte die Sache liegen, wenn ein Gesetz die (fortgesetzten) Kampfhandlungen als Anknüpfungspunkt wählte. So könnten zumindest diejenigen Deutschen, die in der letzten verbliebenen IS-Hochburg Baghus weiterkämpfen, ihre Staatsangehörigkeit verlieren. Eine Lösung für die bereits gefangenen IS-Mitglieder, die Auslöser der aktuellen Debatte sind, ist das aber nicht.
Selbst wenn so ein Gesetz zeitnah käme, stellten sich jede Menge Beweisfragen. Denn den Entzug der Staatsangehörigkeit sieht die aktuelle Debatte vor allem für diejenigen IS-Anhänger vor, denen nicht mehr als die bloße Mitgliedschaft (und manchmal nichteinmal die) nachgewiesen werden kann.
Diejenigen, denen Morde oder gar Kriegsverbrechen nachweisbar sind, können auch strafrechtlich verfolgt werden. Würde aber nur diese Gruppe ihren Pass verlieren, wäre nicht viel gewonnen, da sie den kleineren Teil der unerwünschten Rückkehrer ausmachen dürfte.
Umweg über den "Wehrdienst für einen fremden Staat"?
Zum Teil wird auch argumentiert, IS-Anhänger hätten durch ihre Mitgliedschaft gleichsam auf die deutsche Staatsangehörigkeit verzichtet. Diese Argumentation ist einerseits nachvollziehbar, immerhin haben sich die Ausgereisten demonstrativ von westlichen Werten abgewendet und den IS zum Teil bei seinen Zivilisationsbrüchen aktiv unterstützt.
Der als mögliche Rechtsgrundlage in die Debatte eingeführte § 28 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) hilft indes nicht weiter: Die Vorschrift erleichtert die Ausbürgerung von Personen, die Wehrdienst für andere Staaten geleistet haben. Trotz seines ambitionierten Namens ist der IS jedoch kein Staat und war es nie.
Diese Auffassung entspricht auch der bisherigen deutschen Politik. Gerade für ehemalige Kämpfer eine Ausnahme am Rande zu machen, wäre rechtswidriges, weil widersprüchliches Verhalten.
Auch die für eine Analogie notwendige vergleichbare Interessenlage fehlt. Denn anders als beim Wehrdienst bei fremden Staaten haben die betreffenden Deutschen durch ihren "Dschihad" nicht unmittelbar den deutschen Sicherheitsinteressen geschadet. Wohl aber direkt denen fremder Staaten, auf deren Territorien sie sich an einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt beteiligt haben. Hiervor durch Kappen der Personalhoheit und damit auch der prinzipiellen Strafgewalt schlicht die Augen zu verschließen, wird der vom Grundgesetz angestrebten Rolle Deutschlands in einer friedlichen Welt nicht gerecht.
Zudem wäre die damit beiläufig verbundene Anerkennung des IS als Staat ein eklatanter Bruch des Völkerrechts. Das würde auch eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten derjenigen Staaten bedeuten, deren Staatsgebiet die Terrormiliz rauben wollte.
Internationale Tribunale als Alternative?
Stattdessen schwebt der Vorschlag im Raum, die Gefangenen gleich vor Ort abzuurteilen. Bei der Verhängung langer Haftstrafen wäre das Problem zumindest für die nächsten Jahre vom Tisch. Etwa im Irak scheint das zu funktionieren.
Nur: Die Gefangenen, um die es aktuell geht, sind im Gewahrsam kurdischer Milizen. Diese drängen seit Monaten darauf, dass ihnen gefangene IS-Kämpfer abgenommen werden, und haben wohl kaum ein Interesse daran, diese langfristig als Häftlinge zu behalten und versorgen zu müssen.
Zudem kommt ihnen schon gar keine staatliche Strafgewalt zu. Die syrischen Autoritäten haben aber offensichtlich auch nicht die Mittel, die gefangenen IS-Mitglieder zu verurteilen. Abgesehen davon, dass fraglich ist, ob aus deutscher Perspektive eine Rücknahme und Verurteilung in Deutschland nicht verhältnismäßiger wäre, als die Gefangenen im ansonsten insbesondere wegen der Haftbedingungen und Foltervorwürfen aufs Schärfste kritisierte Syrien zu belassen.
Als Lösung werden deshalb internationale Tribunale gehandelt. Sollte ein solches Tribunal eingerichtet werden, könnte Deutschland hinsichtlich der Rückkehr deutscher IS-Anhänger etwas beruhigter sein: An das Ausland darf nicht ausgeliefert werden – an EU-Mitgliedstaaten und eben Internationale Organisationen, wie die Tribunale es wären, schon.
Es steht allerdings nicht zu erwarten, dass es dazu kommen wird. Ein Ad-hoc-Tribunal wie für Jugoslawien oder Ruanda wird der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht noch einmal einrichten. Denn inzwischen hat er die Möglichkeit, einen Fall einfach an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu überweisen. Dieser verfügt bereits über Verfahrensordnung, Gerichtspersonal und Ermittlungsapparat. Das würde dem Sicherheitsrat zwar die Arbeit erleichtern. Angesichts des US-amerikanischen Verhältnisses zum Gericht und des russischen Verhältnisses zu Syrien hat ein entsprechender Resolutionsentwurf jedoch wenig Aussicht auf Erfolg.
Sind "hybride Gerichte" die Antwort?
Es bliebe noch die Einrichtung sogenannter hybrider Gerichte, etwa nach dem Vorbild des Sondergerichtshofs für Sierra Leone oder dem Rote-Khmer-Tribunal. Diese Gerichtshöfe sind als nationale Gerichte ausgestattet, die zum Teil mit internationaler Besetzung arbeiten. Auch hier stellt sich aber wieder die Frage, wer sie vor Ort einrichten und betreiben soll.
Die Situation ist also ziemlich verfahren. Zweifellos ist die Rückkehr hunderter IS-Anhänger eine mindestens unheimliche Vorstellung. Die Alternative wäre – zumindest nach jetzigem Stand – jedoch nur ein Rechtsbruch. Diese Blöße kann sich der Rechtsstaat Deutschland nicht geben. Den Kopf, wie bisher, in den Sand zu stecken und auf die fehlenden Konsulate zu verweisen, ist ebenfalls keine langfristige Lösung.
Langfristig werden also die Geister, die hier kaum jemand zurückrufen will, wohl kommen. Umso wichtiger ist es, dass die Strafermittlungsbehörden dazu befähigt werden, Taten aufzuklären, die die Rückkehrer während ihrer Zeit beim IS möglicherweise begangen haben. Vielleicht sollte man daher statt über einen weiteren internationalen Gerichtshof lieber über internationale Ermittlerteams reden.
Der Autor Simon Gauseweg ist akademischer Mitarbeiter an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) am Lehrstuhl für Öffentliches Recht insbesondere Völkerrecht, Europarecht und ausländisches Verfassungsrecht.
Debatte um IS-Rückkehrer: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33965 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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