Ein Soldat missachtet den Befehl zur Corona-Impfung. Ein Richter entschied, sie sei wegen erheblicher Gesundheitsgefahren unzumutbar und zudem wirkungslos, der Befehl daher unverbindlich. Für Patrick Heinemann ein rechtswidriger Beschluss.
Eigentlich ist die Sache höchstrichterlich geklärt: Mit Beschlüssen vom 7. Juli 2022 (Az. 1 WB 2.22 und 1 WB 5.22) entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), dass aktive Soldatinnen und Soldaten auf Grundlage einer Allgemeinen Regelung des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) vom 24. November 2021 verpflichtet sind, die Impfung gegen COVID-19 zu dulden.
Hintergrund ist die besondere soldatische Dienstpflicht zur Gesunderhaltung aus § 17a Soldatengesetz (SG), hinter der die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte als Verfassungsrechtsgut (Art. 87a GG) steht. Speziell § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG sieht daher eine Duldungspflicht für ärztliche Maßnahmen vor, wenn diese der Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienen. Das BVerwG sah den mit der Impfung verbundenen Grundrechtseingriff daher als verhältnismäßig sowie insgesamt gerechtfertigt an und berief sich in diesem Zusammenhang auch auf den Beschluss des BVerfG vom 27. April 2022 zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht (Az. 1 BvR 2649/21).
Zu einer gänzlich anderen Auffassung kommt jetzt jedoch der Vorsitzende Richter der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd (Erfurt) Dr. Pfeiffer in seinem Beschluss vom 29. September 2022 (Az. S 5 BLc 11/22). Als Einzelrichter des unter anderem für Beschwerden gegen Disziplinarmaßnahmen zuständigen Wehrdienstgerichts erster Instanz (Art. 96 Abs. 4 GG) setzte er die Vollstreckung einer gegen einen Mannschaftssoldaten verhängten Disziplinarbuße vorläufig aus, die dieser wegen Verweigerung des Befehls seiner Kompaniechefin, die COVID-19-Impfung zu dulden, verhängt bekommen hatte.
Richter ordnet Impfung als unzumutbares Experiment ein
Die im konkreten Fall vom Einzelrichter getroffene Entscheidung erstaunt nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Begründung. In dem Beschluss, der LTO vorliegt, heißt es hierzu, es bestünden berechtigte Zweifel, ob der Befehl zur Duldung der COVID-19-Impfung überhaupt verbindlich sei. Denn dessen Befolgung könne "wegen möglicher erheblicher Gesundheitsgefahren für den zu impfenden Soldaten durch Impfnebenwirkungen unzumutbar sein". Die Gesundheit des Soldaten sei "– zumindest in Friedenszeiten – ein hohes Gut" (wobei offenbleibt, warum das in Kriegszeiten anders sein soll).
Der Soldat als Staatsbürger in Uniform und Grundrechtsträger müsse sich mit Blick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn und der Vorgesetzten "grundsätzlich nicht in ein ‚Experimentierfeld‘ mit für ihn nicht einigermaßen kalkulierbarem Ausgang begeben, wenn dadurch nicht tatsächlich, also nachweisbar, überragende Gemeinschaftsgüter geschützt werden". Das wiederum sei "bei einer Impfung mit ihrer zurzeit bekanntlich eingeschränkten Wirkung wohl kaum der Fall".
Richter fordert zur "Zivilcourage" auf
Aus den aktuellen Grundsatzentscheidungen des BVerwG wollte das Truppendienstgerichts allein schon deshalb nichts herleiten, weil deren ausführliche Begründung noch nicht vorliegt. Vielmehr zeigte sich der entscheidende Einzelrichter "erstaunt, dass Vorgesetzte, die gegenüber unterstellten Soldaten zuvörderst zur Fürsorge verpflichtet sind (vgl. § 10 Abs. 3 SG), leichtfertig deren Gesundheit durch entsprechende Befehle auf’s Spiel zu setzen bereit sind, ohne sich anscheinend einmal näher mit den Rechtswidrigkeits- (§ 10 Abs. 4 SG) und Unverbindlichkeitsgründen (insbesondere § 11 SG) von Befehlen auseinandergesetzt zu haben."
Gegen die befehlende Kompaniechefin erhebt das Gericht schwere Vorwürfe: Bei "gewissenhafter Dienstausübung, soweit nicht vollständige Ignoranz gegenüber Fakten und inzwischen auch wissenschaftlichen Studien herrscht", habe die Vorgesetzte auch unabhängig von ministeriellen Weisungen die "sich objektiv aufdrängende Gefahrenaspekte dieser Impfung sowie deren fehlende Wirksamkeit zur Kenntnis" zu nehmen und dies dann selbständig "in die maßgeblichen rechtlichen Kategorien der Unzumutbarkeit bzw. Unverhältnismäßigkeit" einzuordnen. Die Haltung der Kompaniechefin, die es sich aus Karrieregründen "bequem" mache, kennzeichne "eine bemerkenswerte Verantwortungslosigkeit in für das Leben und die Gesundheit von unterstellten Soldaten entscheidenden Fragen". Hier sei vielmehr "‚Zivilcourage" im militärischen Bereich gefragt und nicht "blindes‘ Folgen". Die Entscheidung des Truppendienstgerichts ist unanfechtbar.
Verteidigungsministerium hält an Impfpflicht fest
Aus Bundeswehrkreisen ist zu vernehmen, dass das BMVg gleichwohl an seiner jüngst vom BVerwG bestätigten Rechtsauffassung festhält und die Streitkräfte angewiesen hat, im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit den COVID-Impfungen der Soldatinnen und Soldaten fortzufahren. Das kann nicht überraschen:
Denn die Entscheidung des Truppendienstgerichts bricht nicht nur mit der Auffassung des BVerwG zur Zulässigkeit dieser besonderen Impfpflicht. Sie ist auch nicht mit der herrschenden Wehrrechtsdogmatik in Einklang zu bringen, wonach selbst rechtswidrige Befehle nur in wenigen Ausnahmefällen unverbindlich sind. Insofern besteht auch ein Unterschied zu den vom BVerwG entschiedenen Fällen, bei denen es lediglich um die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Allgemeinen Regelung des BMVg vom 24. November 2021 ging. Die Eigenheiten des Befehlsrechts sind dabei den Erfordernissen eines in besonderer Weise auf Effektivität angelegten Zweigs der Exekutive geschuldet, ohne die weder eine parlamentarische Kontrolle noch das Primat der Zivilpolitik sichergestellt werden können.
Als bereits schon in vorkonstitutioneller Zeit anerkannte Ausnahme gilt zwar die Figur des "gefährlichen Befehls". Darunter sind im militärischen Kontext natürlich nicht sämtliche Befehle zu verstehen, die gefährliche Handlungen zum Gegenstand haben ("Stürmen Sie das feindliche Maschinengewehr-Nest!").
Richter missachtet Dogmatik zum "gefährlichen Befehl"
Die Möglichkeit gerade der Lebensgefahr ist dem Soldatenberuf immanent. Vielmehr geht es um Befehle, deren Befolgung nicht nur mit erheblicher Gefahr einhergeht, sondern bei denen auch Zweck und Mittel erkennbar außer Verhältnis stehen, worunter in erster Linie Fahrlässigkeitsdelikte mit potentiell gravierenden Folgen zu verstehen sind ("Fahren Sie mich mit 80 km/h durch die Ortschaft zurück in die Kaserne und ignorieren Sie die Ampeln, damit ich noch rechtzeitig zum Casinoabend komme!").
Es lässt sich kaum abstreiten, dass die Einzelrichterentscheidung des Truppendienstgerichts stark an das Gedankengut von Querdenkern erinnert. Zwar ist die richterliche Unabhängigkeit aus guten Gründen auch für Richter an Wehrdienstgerichten garantiert. Allerdings sind auch Richter an die grundgesetzliche Ordnung gebunden und unterliegen einer Treupflicht zu ihrem Dienstherrn.
Dabei bildet die aktuelle wehrdienstgerichtliche Entscheidung beileibe keinen Einzelfall. Bereits im April 2021 hatte ein Richter des Amtsgerichts Weimar im Gewande einer familienrechtlichen Entscheidung eine äußerst extreme Auffassung zu den Corona-Maßnahmen eingenommen; er muss sich inzwischen wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung strafrechtlich vor dem LG Erfurt verantworten. Es bleibt deshalb abzuwarten, wie das Spannungsverhältnis von richterlicher Unabhängigkeit und Rechtsbindung im Falle von Querdenker-Richtern langfristig aufgelöst werden kann.
Dr. Patrick Heinemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner bei Bender Harrer Krevet, Freiburg.
Missachtung der Rechtsprechung des BVerwG: . In: Legal Tribune Online, 11.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49856 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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