Die Justizministerin von Schleswig-Holstein will die Tötungsdelikte reformieren. Ihr geht es um rein sprachliche Änderungen – sie will die Begriffe "Mörder" und "Totschläger" streichen, die aus der NS-Zeit stammen und an die Tätertypologie anknüpfen. Die Strafrechtlerin Anette Grünewald begrüßt diesen Vorschlag. Im Interview erklärt sie, warum sie auch eine inhaltliche Reform für nötig hält.
LTO: Anke Spoorendok stört sich vor allem am NS-Hintergrund der Tötungsdelikte. Die §§ 211 f. Strafgesetzbuch (StGB) wurden 1941 erlassen und beschreiben einen bestimmten Tätertyp. Wie sehr knüpfen die Vorschriften tatsächlich an das Wesen des Täters an?
Grünewald: Die Begriffe weisen in der Tat auf nationalsozialistisches Gedankengut hin, auf die damals vertretene Lehre vom Tätertyp. Dem StGB ist eine solche Formulierung ansonsten fremd. In § 249 ist auch nicht vom Räuber die Rede und in § 263 nicht vom Betrüger, es geht vielmehr um Raub und Betrug.
Ich begrüße die vorgeschlagene Reform deshalb nachdrücklich. Es ist erschütternd , dass diese beiden Begriffe fast siebzig Jahre nach dem Nationalsozialismus immer noch im Gesetz stehen. Denn die Worte Mörder und Totschläger zu streichen, wäre eine rein sprachliche Angelegenheit. Eine sachliche Änderung wäre damit nicht verbunden.
LTO: Warum kann sich der Gesetzgeber dann nicht zu einer solchen redaktionellen Änderung entschließen? Immerhin hat er sogar eine gender-gerechte Reform der Straßenverkehrsordnung durchgeführt. Den Vorschlag der Justizministerin Spoorendok nahmen ihre Kollegen lediglich zur Kenntnis, Handlungsbedarf sahen sie nicht.
Grünewald: Die Untätigkeit des Gesetzgebers ist rational nicht nachvollziehbar. In der Wissenschaft gibt es niemanden, der in dieser sprachlichen Frage eine andere Meinung vertritt.
"Begriffe stehen noch im Gesetz, Täterstrafrecht haben wir aber nicht mehr"
LTO: Hat es praktische Konsequenzen, dass die §§ 211 f. StGB noch im Sinne der Tätertypologie formuliert sind?
Grünewald: Nein, weil wir kein Täterstrafrecht mehr haben, sondern ein Tatstrafrecht. Die Begriffe stehen nur noch im Gesetz und weisen darauf hin, dass es diese Lehre im Nationalsozialismus und bei der Einführung der Vorschriften gab. Ich halte es aber dennoch für ein großes Versäumnis des Gesetzgebers, dass er es bis heute nicht geschafft hat, diese nationalsozialistischen Implikationen aus dem Gesetz herauszunehmen.
LTO: Welche Folgen für die Verurteilung von Angeklagten hatte die Tätertypologie früher?
Grünewald: Da müsste man die Rechtsprechung des Reichsgerichts genau analysieren. Das kann ich so nicht sagen. Der Gesetzgeber ist jedenfalls davon ausgegangen, dass es einen bestimmten Tätertyp des Mörders gibt, der ein grundsätzlich anderes Wesen haben sollte als jemand, der einen Totschlag begeht. Teilweise wurde damals noch martialischer formuliert: "Mörder wird man nicht, Mörder ist man."
LTO: Ist denn die gesamte Vorschrift nationalsozialistisch infiziert?
Grünewald: Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Vorschrift wurde zwar 1941 erlassen. Die Idee, den Mordtatbestand - an der Verwerflichkeit auszurichten und die Gesinnung des Täters einzubeziehen, gab es aber auch schon Ende des 19. Jahrhunderts.
Reform der Tötungsdelikte: . In: Legal Tribune Online, 30.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10459 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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