Deutschland bereitet sich auf das Tauwetter vor, der Schnee schmilzt überall. Während die Glätte auf den Straßen abnimmt, warnen die Medien seit Tagen vor Dachlawinen von Häusern und fliegenden Eisplatten von LKW-Dächern. Adolf Rebler über die Pflichten der Verantwortlichen und die Rechte der Geschädigten.
Nicht nur alles Gute kommt von oben, sondern bekanntlich bleibt auch das Schlechte nicht droben. Fußgänger, parkende Autos und andere Verkehrsteilnehmer werden durch Dachlawinen und fliegende Eisplatten erheblich gefährdet. Andererseits wäre es ein wenig viel verlangt, von jedem Hauseigentümern zu erwarten, dass er ständig sein Dach abräumt – oder?
Grundsätzlich muss jeder auf sich selbst aufpassen und schauen, dass er oder sein geparktes Auto nicht von einer Dachlawine erfasst werden (OLG Hamm, Urt. v. 23.07.2003, Az. 13 U 49/03). Ein Hauseigentümer ist normalerweise nicht verpflichtet, dafür zu sorgen, dass andere nicht geschädigt werden. Nur ausnahmsweise muss er Außenstehende aktiv schützen. Eine Haftung des Eigentümers für herabstürzenden Schnee vom Dach ergibt sich auch nicht aus § 836 BGB, da Schnee und Eis keine Gebäudebestandteile sind (BGH VersR 1955, 300).
Will ein Geschädigter Schadensersatz, muss er vielmehr nachweisen, dass für den Hauseigentümer eine Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB bestanden hat. Eine solche Pflicht trifft jeden, der eine Gefahrenquelle schafft, durch die Dritte geschädigt werden können. Allerdings sind Dächer nicht per se Gefahrenquelle, so dass Schutzmaßnahmen gegen Dachlawinen in aller Regel nicht ergriffen werden müssen, während eine umfassende Räum- und Streupflicht im Winter durchaus besteht.
Ob überhaupt irgend etwas gegen Dachlawinen unternommen werden muss, beurteilt die Rechtsprechung nach folgenden Kriterien: die allgemeine Schneelage des Ortes, die Beschaffenheit des Gebäudes, die allgemein ortsüblichen Sicherheitsvorkehrungen, die allgemeinen örtlichen Verkehrsverhältnisse, die konkreten Schneeverhältnisse und die Witterungslage und Art und Umfang des gefährdeten Verkehrs (OLG Dresden DAR 1997, 492; OLG Hamm, Urt. v. 23.07.2003, Az. 13 U 49/03).
Von Schneefanggittern im Rheinland und in Baden-Württemberg
Zur Sicherung können als dauerhafte Maßnahme Schneefanggitter angebracht, bei außergewöhnlichen Schneelagen temporär Warnschilder angebracht werden.
Schneefanggitter brauchen allerdings nur ausnahmsweise an einem Haus vorhanden zu sein, und zwar zum einen, wenn sie ortsüblich sind. Ortsüblich sind Schneefanggitter in der Regel dann, wenn ein Haus in einem schneereicheren Gebiet steht.
Zu den schneearmen Gebieten gehören beispielsweise Schleswig-Holstein, Hamburg, das Rheingebiet und die neuen Bundesländern mit Ausnahme des Harzes und der südlichen Teile Thüringens und Sachsens. Schneereichere Gebiete sind zum Beispiel Mittelgebirgslandschaften wie in Bayern der Bayerische Wald oder das Allgäu.
Befinden sich auf den Dächern und Dachgauben im gesamten Baugebiet keine Schneefanggitter, sind sie aber auch dort nicht ortsüblich (OLG Jena OLGR 2007, 173).
Zum anderen können Schneefanggitter auch durch die Ortssatzungen von Gemeinden vorgeschrieben werden (OLG Jena OLGR 2007, 173). Dann müssen sie auf jeden Fall angebracht werden.
Sind Schneefanggitter vorhanden, braucht der Hauseigentümer darüber hinaus normalerweise keine Vorkehrungen zu treffen (AG Karlsruhe BWGZ 1999, 681).
Sind Schneefanggitter nicht ausdrücklich vorgeschrieben und auch nicht ortsüblich, muss ein Hauseigentümer sie auch dann nicht anbringen, wenn ein Hausdach stark geneigt ist (53°) und die Dachtraufe bis zum Bürgersteig reicht (OLG Zweibrücken OLGR 2000, 7).
Ganz genau nimmt es das LG Ulm (DAR 2007, 91): In schneereichen Gebieten braucht man Schneefanggitter schon bei hohen Dächern mit einer Neigung von mehr als 35°), in schneearmen Gebieten erst ab einer Dachneigung von 45°. Das Gericht bezieht sich in seiner Entscheidung allerdings auf die Verhältnisse in Baden-Württemberg, wo die Landesbauordnung Schneefanggitter vorschreibt, "soweit es die Verkehrssicherheit erfordert".
Warnhinweise und viel zu gefährliche Dachräumungen
In Bezug auf Warnhinweise verhält es sich nach der Rechtsprechung (OLG Karlsruhe NJW 1983, 2946) gerade umgekehrt: In schneereichen Gebieten kann man davon ausgehen, dass jedem die Gefahr von Dachlawinen bekannt ist, so dass besondere Warntafeln nicht notwendig sind.
Aber auch in schneeärmeren Gegenden brauchen die Hauseigentümer nicht schon bei jeder Schneeflocke auf dem Dach ein Warnschild aufzustellen. Grundsätzlich ist eine Warnung vor Dachlawinen nicht erforderlich (OLG Hamm NZV 2004, 34).
Nur bei außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen, bei Schnee- und Eisüberhängen oder wenn jeden Moment damit gerechnet werden kann, dass eine Lawine abgeht, müssen Warntafeln oder Warnstangen aufgestellt oder der Bereich abgesperrt werden (AG Saarbrücken v. 26.10.2005 – 42 C 346/05). Liegen all diese Ausnahmefälle nicht vor und parkt jemand sein Auto unter einem schneebedeckten Hausdach, muss er seinen durch eine Dachlawine an diesem verursachten Schaden selbst tragen.
Schon gar nicht kann man vom Hauseigentümer ein Freischaufeln des Daches verlangen (OLG Köln VersR 1980, 878), da eine solche Maßnahme oft nur unter Lebensgefahr durchgeführt werden könnte. In derartigen Fällen muss es ausreichen, dass Warnschilder aufgestellt werden oder der gefährdete Bereich abgesperrt wird.
Eine Sondersituation besteht aber auf Kundenparkplätzen (OLG München, VersR 1972, 1176). Wird beispielsweise das auf einem Hotelparkplatz abgestellte Auto eines Gasts durch eine abgehende Dachlawine beschädigt, haftet der Hotelbetreiber regelmäßig wegen Verletzung seiner Verkehrssicherungspflicht. Der Unterschied zu anderen Fällen besteht hier darin, dass der Hotelier den Parkplatz speziell für seine Gäste als Serviceleistung unterhält (OLG Frankfurt VersR 2000, 1514).
Von Hausmeister bis Mieter – die Delegation von Verkehrssicherungspflichten
Die Verkehrssicherungspflicht trifft den Gebäudeeigentümer. Der kann sie zwar beispielsweise auf einen Hausmeister übertragen, bleibt weiter aber zur Überwachung und Kontrolle verpflichtet (BGH NJW 2008, 1440; OLG Stuttgart OLGR 2000, 260). Auch auf einen Mieter kann die Verkehrssicherungspflicht abgewälzt werden.
Die wirksame Übertragung auf einen Dritten setzt aber immer eine klare und eindeutige Vereinbarung voraus, die die Ausschaltung von Gefahren zuverlässig sicherstellt (OLG Celle ZfIR 2010, 773). Es darf keinesfalls so sein, dass sich der eine auf den anderen verlässt. Wer die Verkehrssicherungspflicht übernimmt, wird nach außen hin verantwortlich (OLG Frankfurt NJW-RR 2008, 1476).
Eiskalte Grüße vom Vordermann: Schnee und Eis von Autodächern
Weitaus schärfer als Hauseigentümer werden Autofahrer in die Pflicht genommen werden, die aus Bequemlichkeit und Leichtsinn ihre Fahrzeuge vor Fahrtbeginn nicht von Eis und Schnee befreien.
Vor allem Eis, das von Lkw-Dächern herunter fliegt, stellt eine erhebliche Gefahr dar. Im Winter sammeln sich besonders auf LKW mit Planendächern in den Mulden der Plane größere Mengen an Schnee, Regen oder Tauwasser. Steht der Lkw dann bei Minusgraden über Nacht im Freien, bilden sich daraus häufig dicke Eisplatten, die der Fahrtwind ergreift und anhebt, wenn der Lkw los fährt.
Solche Eisplatten durchschlagen schon bei Geschwindigkeiten von 50 km/h mühelos die Windschutzscheibe eines nachfolgenden PKW. Harmloser, aber zumindest lästig, sind größere Schnee- und Eisbrocken, die dem Hintermann von schlecht gesäuberten PKW auf das Fahrzeug klatschen.
In all diesen Fällen verstößt der Fahrer gegen § 23 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Nach dieser Vorschrift muss der Fahrer dafür sorgen, dass sich sein Fahrzeug in verkehrssicherem Zustand befindet. Verstöße gegen § 23 StVO werden mit einem Bußgeld von 25 Euro geahndet. Wird die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt, werden sogar 80 Euro und drei Punkte in Flensburg fällig. Werden Personen verletzt oder sogar getötet, macht der Fahrer sich strafbar nach § 229 (fahrlässige Tötung) oder § 222 (fahrlässige Körperverletzung) Strafgesetzbuch.
Zur Enteisung von LKW bieten inzwischen viele Speditionen oder Autohöfe spezielle Anlagen an. Kann ein LKW-Fahrer darauf nicht zurückgreifen, muss er auf sein Fahrzeug klettern und das Eis per Hand entfernen. Das Argument, dass die Berufsgenossenschaften es verbieten, auf Fahrzeuge zu klettern, sollte dabei nicht zählen: Denn es geht hier um ein hohes Gut, nämlich um die Verkehrssicherheit.
Der Autor Adolf Rebler ist Regierungsamtsrat in Regensburg und Autor zahlreicher Publikationen u.a. zum Straßenverkehrsrecht.
Adolf Rebler, Tauwetter in Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 05.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2275 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag