Die Hauptverhandlung vor dem LG München I bringt jedenfalls für die Öffentlichkeit einige Neuigkeiten ans Tageslicht. Dominik Brunner soll zuerst auf die beiden Angeklagten eingeschlagen haben und letztlich an Herzversagen aufgrund eines angeborenen Herzfehlers verstorben sein. LTO sprach mit Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor über juristische Konsequenzen der Risse im Heldendenkmal.
LTO: Herr Professor Ignor, haben Sie den Verlauf der Hauptverhandlung wegen des Todes von Dominik Brunner, der sich während einer S-Bahn-Fahrt schützend vor Kinder gestellt und damit mit dem Leben bezahlt haben soll, vor dem Landgericht München I verfolgt?
Ignor: Der Fall ist ja in aller Munde und der Tod von Herrn Brunner erschütternd. Allerdings erscheinen mir die gesellschaftlichen Reaktionen fast interessanter als die juristischen Fragen. Erst die einhellige Heldenverehrung, jetzt die allgemeine Verunsicherung darüber, wie das Geschehen zu bewerten ist.
LTO: Hat sich an dieser Einschätzung, dass der Fall eher unter gesellschaftlichen Aspekten als juristisch gesehen interessant ist, im Verlauf der Hauptverhandlung etwas geändert? Immerhin wird man nun nach dem bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme davon ausgehen dürfen, dass der Geschädigte Brunner als erster zugeschlagen hat.
Ignor: Selbstverständlich wäre dies, wenn das Gericht nach abgeschlossener Beweisaufnahme von diesem Sachverhalt ausgeht, ein anderer Tathergang als der bis zum Prozessbeginn kommunizierte. Bis dahin sah es jedenfalls für die Öffentlichkeit so aus, dass Herr Brunner von den jungen Männern attackiert wurde und sich gegen deren Angriffe zur Wehr setzte, also in Notwehr gehandelt haben könnte, als er einen der nun Angeklagten schlug.
Keine Notwehr für die Täter – auch wenn Brunner zuerst schlug
LTO: Unterstellt man nun hingegen den ersten Schlag durch Brunner: Könnte dies dazu führen, dass die angeklagten Jugendlichen ihrerseits in Notwehr gehandelt haben, ihre Tat also gerechtfertigt sein könnte?
Ignor: Das halte ich für ausgeschlossen. Zum einen soll Herr Brunner nach dem ersten Schlag angekündigt haben, man werde den Zwischenfall mit der Polizei klären. Damit könnte sein Angriff – wenn er nicht selbst in Notwehr oder Nothilfe für die bedrohten Kinder handelte - abgeschlossen gewesen sein, also nicht mehr gegenwärtig, wie von § 32 StGB vorausgesetzt. Zum anderen bestand für die Angeklagten gewiss keine Notwehrlage mehr, als Herr Brunner auf dem Boden lag und sie auf ihn eintraten.
Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor
LTO: Die zweite Neuigkeit, die jedenfalls aus Sicht der Verteidigung der beiden jungen Männer maßgebliche Auswirkungen auf das Verfahren haben kann, ist der nun bekannt gewordene Herzfehler des Geschädigten. Dieser soll an Herzversagen, also nicht unmittelbar infolge der Tritte und Schläge der Angeklagten gestorben sein. Nach Medienberichten will die Verteidigung nun Mediziner als Sachverständige hinzuziehen, da der Verlauf der Notfallversorgung dafür spreche, dass der Zusammenbruch Brunners während der Auseinandersetzung durch die Herzschwäche ausgelöst wurde.
Ignor: Damit zieht die Verteidigung die Kausalität der Gewalthandlungen der Angeklagten für den Tod des Geschädigten beziehungsweise deren objektive Zurechnung in Zweifel. Indes spricht vieles dafür, dass, gerade wenn Herr Brunner an einer krankhaften Vergrößerung des Herzmuskels litt, die vorausgehende Belastungssituation den Herztod auslöste, indem sie einen Stillstand des Herzmuskels bewirkte. Dann wäre ebenfalls strafrechtliche Kausalität objektiv gegeben. Eine andere Frage ist allerdings, ob die Angeklagten das Opfer auch töten wollten
Den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen?
LTO: Sie wollen auf den Vorsatz der Täter hinaus?
Ignor: Richtig. Es dürften nach dem bisher Bekannten wenig Zweifel daran bestehen, dass die Angeklagten Herrn Brunner verletzten wollten. Ob sie sich allerdings wegen Totschlags oder Mordes strafbar gemacht haben, hängt davon ab, ob sie den Tod ihres Opfers mindestens billigend in Kauf genommen haben.
LTO: Nach den bisherigen Medienberichten haben die Täter einen Vorsatz zur Tötung des Herrn Brunner bestritten. Auf welcher Grundlage schließen das Gericht oder vorab bereits die Staatsanwaltschaft auf einen Tötungsvorsatz?
Ignor: Vermutlich aus der Art und Intensität der Verletzungshandlungen, vor allem den Tritten gegen den Oberkörper und den Kopf des am Boden liegenden Opfers. Außerdem will eine Zeugin Morddrohungen gehört haben: "Ich bring dich um …". Zwingend bewiesen ist damit der Tötungsvorsatz aber noch nicht. Der Bundesgerichtshof nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass gegenüber der Tötung eines Menschen eine hohe Hemmschwelle besteht. Letztlich ist der Vorsatz Bewertungssache der Richter. Dabei haben sie auch den Schlag von Herrn Brunner und dessen mögliche psychologische Wirkung zu berücksichtigen.
LTO: Und wenn das Gericht den Vorsatz verneint?
Ignor: Dann wird es die jungen Männer wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilen, § 227 StGB. Hierfür reicht aus, dass den Körperverletzungshandlungen das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet, was hier gewiss der Fall war. Eine Bestrafung nach dieser Vorschrift setzt nicht voraus, dass sich die Angeklagten bei der Tat einer Todesgefahr für das Opfer aktuell bewusst waren. Und auch eine gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge kann hoch bestraft werden.
Anklage wegen Mordes: "Zumindest auch ein Abschreckungssignal"
LTO: Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur wegen vorsätzlicher Tötung, sondern auch wegen Mordes angeklagt, da ihrer Auffassung nach die Angeklagten aus Rache, also einem niedrigen Beweggrund handelten, weil Brunner sich in der Bahn schützend vor die Kinder gestellt hatte, die die Jugendlichen zunächst angegangen waren. Bestanden insbesondere vor dem Hintergrund der der Staatsanwaltschaft ja bereits zum Zeitpunkt der Anklageerhebung bekannten Fakten zum Tathergang sowie zum Herzfehler Brunners aus Ihrer Sicht genügend Anhaltspunkte für eine solche Anklage wegen Mordes?
Ignor: Auch das ist eine Bewertungsfrage, bei der viele Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Ich denke, dass die Staatsanwaltschaft mit der Mordanklage zumindest auch ein Abschreckungssignal setzen wollte, etwa derart: Tritte gegen einen am Boden liegenden Menschen sind derart brutal, verabscheuungswürdig und gefährlich, dass jeder, der das tut, mit den höchsten Strafen rechnen muss. Gerade ein so medienwirksames Verfahren wie das, worüber wir reden, ist aus der Sicht der Staatsanwaltschaft sicher gut geeignet, die Botschaften des Strafrechts zu verbreiten..
LTO: Ihre derzeitige Wertung im Fall Dominik Brunner: Ändern die bisher aufgetauchten "neuen" Fakten die bisher mögliche Bewertung grundlegend?
Ignor: Die "neuen" Fakten werfen klassische Rechtsfragen auf, die jedem Strafrechtler geläufig sind. Fragen nach Kausalität und Vorsatz, nach der Abgrenzung von Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge, nicht zuletzt nach einer angemessenen Strafe. Gelitten hat etwas das Bild vom Vorbild Dominik Brunner. Oder besser: Zu der etwas einseitigen Bewunderung seiner Tapferkeit tritt – hoffentlich – die Einsicht hinzu, dass auch die Besonnenheit eine Tugend ist. Und die schnelle, gefällige Wahrheit oftmals trügerisch sein kann.
Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor ist Strafverteidiger in Berlin. Er lehrt Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Vorsitzender des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Als Autor und (Mit-)Herausgeber ist er an zahlreichen strafrechtlichen Veröffentlichungen beteiligt.
Das Interview führte Pia Lorenz.
Strafverfahren wegen des Todes von Dominik Brunner: . In: Legal Tribune Online, 04.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1130 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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