Kurz vor der Fortsetzung des NSU-Prozesses hat OLG-Präsident Huber eine Gesetzesänderung angeregt, damit die Zahl der Nebenkläger und ihrer Anwälte in großen Prozessen nicht ins Unendliche steigt. Im Gespräch mit LTO findet Roswitha Müller-Piepenkötter deutliche Worte für den Vorschlag – und unterstreicht die Bedeutsamkeit der Nebenklage, nicht nur für die Opfer, sondern für den Rechtsstaat an sich.
LTO: Frau Müller-Piepenkötter, der Präsident des Oberlandesgerichts München, Karl Huber, hat vergangene Woche geäußert, dass man über eine Gesetzesänderung nachdenken solle, damit die Zahl der Nebenkläger und ihrer Anwälte in großen Verfahren "nicht ins Unendliche" steige. Was halten Sie davon?
Müller-Piepenkötter: Herzlich wenig. Als OLG Präsident eine solche Aussage zu treffen, zumal vor dem Hintergrund gerade dieses Verfahrens, halte ich gelinde gesagt für eine Unverschämtheit. Ich war selbst lange Jahre Strafrichterin und kann mich noch gut erinnern, was in der Kommentarliteratur vor 30 Jahren zu lesen war: "Die Geschichte des Strafprozesses ist eine Geschichte der Entmündigung der Opfer." Davon haben wir uns zum Glück entfernt, und dazu hat das Institut der Nebenklage maßgeblich beigetragen. Es nun beschneiden zu wollen, halte ich für völlig verfehlt.
Davon abgesehen ist so etwas doch auch praktisch überhaupt nicht durchführbar. Wie viele Nebenkläger sind denn zu viele? Und wie soll man festlegen, wer dann noch als Nebenkläger auftreten darf und wer nicht? Etwa per Losverfahren?
"Zusätzlicher Aufwand ist hinzunehmen"
LTO: Das heißt, Sie können für die Forderung gar kein Verständnis aufbringen? Das Argument, dass zu viele Nebenkläger(vertreter) den Prozess behindern und in die Länge ziehen hat doch schon etwas für sich.
Müller-Piepenkötter: Wenn Sie so wollen, dann behindern Verteidiger den Prozess auch und ziehen ihn in die Länge. Nach deren Abschaffung höre ich aber niemanden rufen. Ich kann verstehen, wenn die Strafverteidigervereinigung Nordrhein-Westfalen sich gegen die Nebenklage ausspricht, wie sie es bereits zu Beginn des NSU-Prozesses getan hat. Das heißt, nein, auch das kann ich nicht verstehen – aber der Grad meines Unverständnisses ist geringer. Schließlich liegt es in deren Beruf begründet, sich für die Rechte der Angeklagten stark zu machen.
Das gilt für Herrn Huber aber nicht. Aus Richtersicht gibt es meines Erachtens kein vernünftiges Argument, mit dem sich dieser Standpunkt vertreten ließe. Und nein, dass die Nebenklage zusätzlichen Aufwand bereitet, ist bestimmt kein vernünftiges Argument. Das tun viele andere prozessuale Garantien auch, aber wir haben sie trotzdem, weil sie für einen Rechtsstaat eben essentiell sind – nichts anderes gilt auch hier.
"Anders als der Staatsanwalt weiß der Nebenkläger, was passiert ist"
LTO: Aber ist die Nebenklage denn so essentiell? Schließlich gilt das Offizialprinzip. Der Nebenkläger kann sich der Anklage anschließen, sie findet aber auch ohne ihn statt. Bisweilen wird die Nebenklage doch eher als ideelles Zugeständnis an den Geschädigten gesehen und nicht als unverzichtbares rechtsstaatliches Institut.
Müller-Piepenkötter: Erstens finde ich nicht, dass sich das gegenseitig ausschließt. Opfer eines nebenklagefähigen Delikts zu werden ist oft eine traumatische Erfahrung. Das Gefühl, an der Anklage des Täters teilzuhaben, kann bei der Bewältigung hilfreich sein – auch das ist meines Erachtens eine rechtsstaatliche Aufgabe.
Zweitens ist es keineswegs so, als ob Nebenkläger im Prozess in der Sache nichts beizutragen hätten. Sie haben eine ganz andere Perspektive als der Staatsanwalt, schon deshalb, weil sie schließlich bei der Straftat zugegen waren und wissen, was passiert ist. Dadurch stellen sie andere Fragen, vielleicht auch andere Beweisanträge, und nähern sich den Verhandlungen über eine etwaige Einstellung oder einen Deal mit anderen Erwartungen. Das alles kann die Richtung, in die der Prozess sich bewegt, beeinflussen und ihn einem anderen Ausgang zuführen. Dementsprechend ist der Nebenkläger durchaus ein wichtiger Akteur im Verfahren – und leider einer, der oftmals noch zu kurz kommt.
LTO: Wie meinen Sie das?
Müller-Piepenkötter: Ich halte es zum Beispiel für einen Missstand, dass es keinerlei Verpflichtung gibt, den Nebenklägervertreter förmlich zu laden. Im NSU-Prozess wird das zwar nicht passieren, aber in kleineren Verfahren kommt es durchaus vor, dass die Nebenkläger über den Termin nur durch ihre Zeugenladung informiert werden, und auf eine etwaige Verhinderung der Nebenklägervertreter schon überhaupt keine Rücksicht genommen wird.
Ebenfalls finde ich es missglückt, dass den Opfern keine Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts über die Nichtzulassung des Anschlusses als Nebenkläger zustehen. Beim Wohnungseinbruchsdiebstahl etwa ist die Nebenklage nur zulässig, wenn die "Schwere der Folgen der Tat" dies gebietet. Das ist letztlich Wertungsfrage, und diese Wertung ist derzeit gerichtlich nicht überprüfbar.
LTO: Frau Müller-Piepenkötter, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Roswitha Müller-Piepenkötter ist Politikerin der CDU und Bundesvorsitzende des Opferverbandes Weisser Ring. Sie hat über 20 Jahre als Strafrichterin gearbeitet, zuletzt am Oberlandesgericht Düsseldorf.
Das Gespräch führte Constantin Baron van Lijnden.
Rechte der Nebenkläger: . In: Legal Tribune Online, 10.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9524 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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