Das BAG hat entschieden, dass der Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis nach einer Schwerbehinderung seines Mitarbeiter fragen darf. Der Arbeitnehmer muss ehrlich antworten und hat kein "Recht zur Lüge". Die Besonderheiten bei der Beschäftigung Schwerbehinderter aber sind damit noch lange nicht final geklärt, meint Antje-Kathrin Uhl.
Die Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer ist in Deutschland erwünscht und wird staatlich gefördert. Es gibt eine gesetzliche Quote, wie viele schwerbehinderte Menschen ein Arbeitgeber beschäftigen muss.
Auch bei ihrer Kündigung hat der Arbeitgeber verschiedene Aspekte zu beachten. In die Abwägung im Rahmen der Sozialauswahl, die er vor jeder Kündigung aus betrieblichen Gründen durchführen muss, muss er auch eine Schwerbehinderung einbeziehen. Zusätzlich ist er verpflichtet, die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen. Versäumt er dies, vielleicht auch, weil er den berühmten "unerkannt Schwerbehinderten", den es in vielen Betrieben gibt, kündigt, ist die Kündigung schon allein deshalb unwirksam.
Nachdem aber § 81 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft getreten sind, die Prüfpflichten und Diskriminierungsverbote regeln, ist die Rechtslage komplizierter geworden in Bezug darauf, ob der Arbeitgeber nach einer Schwerbehinderung fragen darf. War eine solche Frage früher zulässig, ist das heute umstritten. Darf der Unternehmer nach einer bestehenden Behinderung fragen oder diskriminiert er den Arbeitnehmer dann schon?
Frage im laufenden Arbeitsverhältnis erlaubt
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 16. Februar 2012 (Az. 6 AZR 553/10) entschieden, dass die Frage im laufenden Arbeitsverhältnis zulässig ist. Fragt der Arbeitgeber erst nach sechs Monaten seit Beginn des Arbeitsverhältnisses, ob eine Schwerbehinderung vorliegt, insbesondere, wenn er seine über den Arbeitnehmer gespeicherten Daten zur Vorbereitung einer Kündigung abgleichen möchte, ist das zulässig. Der behinderte Arbeitnehmer muss wahrheitsgemäß antworten.
Das bis nach Erfurt beklagte Unternehmen war in Zahlungsschwierigkeiten geraten, das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter musste Kündigungen vorbereiten. Um die Angaben der Arbeitnehmer zu vervollständigen und zu überprüfen, erstellte er einen Fragebogen, der auch abfragte, ob eine Schwerbehinderung vorlag.
Der klagende Arbeitnehmer hatte einen Grad der Behinderung von 60 Prozent und arbeitete schon länger als sechs Monate für den Betrieb. Als er den Bogen ausfüllte, verneinte er die Frage nach einer Schwerbehinderung. Wie allen anderen kündigte das Unternehmen auch ihm, er aber erhob Kündigungsschutzklage und wandte ein, dass er schwerbehindert sei.Die Kündigung sei unwirksam, weil der Arbeitgeber vor der Kündigung nicht das Integrationsamt um Zustimmung gebeten habe, so sein Argument.
Kein Sonderkündigungsschutz für den lügenden Arbeitnehmer
Die höchsten deutschen Arbeitsrichter aber versagten ihm den Sonderkündigungsschutz. Da der Arbeitnehmer die Frage nach der Schwerbehinderung zuvor verneint hatte, habe er diese Chance vertan, so der 6. Senat des BAG. Die Frage des Arbeitsgebers nach der Schwerbehinderung sei im laufenden Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit auch zulässig gewesen, während der Arbeitnehmer sich widersprüchlich verhalten habe, indem er zunächst eine Schwerbehinderung nicht angegeben, sich dann aber auf sie berufen habe.
Die Erfurter Richter haben ein weiteres Mal bestätigt, dass der lügende Arbeitnehmer seinen Sonderkündigungsschutz verliert. Teilt er die Gründe, die bei der sozialen Auswahl für eine Kündigung wegen Sonderkündigungsschutzes für ihn sprechen könnten, trotz Nachfrage des Arbeitsgebers nicht mit, darf er diese später nicht im Prozess vorbringen.
Dieser Grundsatz greift jedenfalls, wenn das Arbeitsverhältnis sechs Monate lang bestand. Vorher besteht das Risiko, dass der Angestellte im Fall der Kündigung mit Erfolg einwendet, diese sei diskriminierend.
Frage bei Einstellung unzulässig
Früher war die Frage nach einer Schwerbehinderung jederzeit erlaubt. Das hing damit zusammen, dass auf den Arbeitgeber durch die Schwerbehinderung zahlreiche gesetzliche Verpflichtungen während des Arbeitsverhältnisses zukamen. So hat ein Arbeitnehmer zum Beispiel fünf zusätzliche Arbeitstage Sonderurlaub.
Obwohl aber diese Pflichten der Unternehmen auch heute noch.bestehen, ist es jedenfalls nach herrschender Meinung in der juristischen Literatur nicht mehr zulässig, im Einstellungsgespräch nach einer Behinderung zu fragen. Nach aktueller Rechtslage nach Inkrafttreten des § 81 Abs. 2 SGB IX und des AGG wäre eine solche Frage wohl als diskriminierend anzusehen, auch wenn das BAG zu dieser Problematik noch nicht klar Stellung bezogen hat. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn eine Behinderung "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" ist.
Fragt der Arbeitgeber dennoch im Einstellungsgespräch danach, ob der Bewerber behindert ist, hat dieser das Recht, sie nicht oder nicht wahrheitsgemäß zu beantworten – das berühmte "Recht zur Lüge". Das Unternehmen riskiert mit einer solchen Frage im Vorstellungsgespräch also auch, eine Entschädigung nach dem AGG zahlen zu müssen.
Auch nach einer weiteren Entscheidung aus Erfurt ist die Rechtslage bei der Behandlung schwerbehinderter Arbeitnehmer also alles andere als eindeutig.
Die Autorin Dr. Antje-Kathrin Uhl ist Partnerin bei CMS Hasche Sigle am Standort Stuttgart. Ihr Schwerpunkt liegt in der Beratungspraxis im Kollektivarbeitsrecht, sie ist Verfasserin zahlreicher Veröffentlichungen auf diesem Gebiet.
Sonderkündigungsschutz : . In: Legal Tribune Online, 27.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5647 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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