Ein englischer Anwalt hat Kollegen aufgerufen, ein Stundenhonorar für Flüchtlinge zu spenden. Das Geld kam schneller rein, als er das Spendenziel anpassen konnte. Sean Jones über wertekonservative Anwälte und Deutschland als Vorbild.
LTO: Wie kamen Sie auf die Idee, den Flüchtlingen zu helfen? Sie sind Arbeitsrechtler in der renommierten britischen Kanzlei 11KBW, haben also keinen professionellen Bezug zu diesem Thema.
Jones: Der Auslöser war das Bild von Aylan Kurdi. Ich selbst bin Vater und als solcher schaute ich auf das Bild des ertrunkenen Dreijährigen an dem marokkanischen Strand – und sah meine eigene kleine Tochter. Es brach mir das Herz - und löste in mir das dringende Bedürfnis aus, etwas zu unternehmen. Klar war, dass unsere Regierung im besten Fall zögerlich, im schlechtesten widerwillig Flüchtlingen helfen würde, die sich außerhalb der Camps befinden.
Eine Gruppe von Schriftstellern um den Journalisten und Literaten Patrick Ness tat sich zusammen und startete eine Kampagne, die sich als erstaunlich erfolgreich erwies. Ich fand es verblüffend, dass Autoren etwas taten, aber Anwälte nicht. Aber dann fiel mir auf, dass niemand die Anwälte darum gebeten hatte, zu spenden. Und ich entschied mich, darum zu bitten.
"Anwälte können Ungerechtigkeit nicht ertragen. Aber ich habe sie noch unterschätzt"
LTO: Sie wollten mehr tun, als einfach "nur" selbst zu spenden?
Jones: Ich habe nur wenig getan. Die Webseite, über die man spenden kann, war in fünf Minuten fertig. Ich habe eine Spende gemacht und den Link getwittert. Die Anerkennung für das, was danach geschah, gebührt meinen Kollegen, die mit atemberaubender Schnelligkeit und überwältigender Großzügigkeit reagiert haben.
LTO: Warum haben Sie sich ausgerechnet an Anwälte gewandt? Was ließ Sie glauben, dass gerade sie Ihre Initiative unterstützen würden?
Jones: Trotz ihres Rufs, zynisch zu sein, können Anwälte Ungerechtigkeit nicht ertragen. Der Krieg im Irak und in Syrien und die sich daran anschließende Flüchtlingskrise ist wie ein enormer Apparat, der tiefgreifende Ungerechtigkeit produziert. Ich wusste, dass das etwas ist, womit Juristen sich beschäftigen würden. Zu meiner Schande muss ich sagen: Damit habe ich sie noch unterschätzt.
"Das Geld kam schneller rein, als ich das Spendenziel anpassen konnte"
LTO: Sie spielen auf Ihr Spendenziel an, das Sie mit 7.500 Pfund angesetzt haben. In weniger als einer Woche sind aber bereits fast 170.000 Pfund, also über 225.000 Euro zusammengekommen. Wie erklären Sie sich das?
Jones: Eigentlich hatte ich sogar mit einem Spendenziel von nur 5.000 Pfund begonnen. Ich habe die Webseite am Donnerstag in der vergangenen Woche um ca. 23 Uhr angelegt. Die gespendete Summe überschritt das ursprüngliche Spendenziel bereits nach einer Stunde. Daraufhin setzte ich das Ziel hoch auf 7.500 Pfund, aber das wurde wiederum nach wenigen Minuten überstiegen. Danach habe ich dann aufgehört, das Spendenziel zu erhöhen, weil das Geld schneller rein kam, als ich das Ziel anpassen konnte.
"Wir sind nicht so, wie ich befürchtet hatte, dass wir sein könnten"
LTO: Was haben Sie aus den vergangenen Tagen gelernt?
Jones: Von Beginn an haben auch Nicht-Juristen ihren Beitrag geleistet. Heute hat ein Chefkoch seinen Stundenlohn gespendet. Ein neunjähriger Junge verdient sich mit Hausarbeit Geld, um es zu spenden.
Ich bin glücklich und erleichtert, weil einige englische Zeitungen sich geradezu schändlich feindselig gegenüber Asylsuchenden und Flüchtlingen gezeigt haben. Ich hatte schon begonnen, zu befürchten, das spiegle die unausgesprochene allgemeine öffentliche Meinung wider. Aber stattdessen haben die Öffentlichkeit und auch die wertekonservativen Juristen mit echter Empathie und Großzügigkeit reagiert. Wir sind nicht die Menschen, die ich fürchtete, dass wir sein könnten.
LTO: Wir hoffen, dass Sie Recht haben. Und natürlich hoffen wir, dass die in Deutschland startende Aktion "Juristen helfen Flüchtlingen" ähnliches erreichen wird.
Jones: Ich bin begeistert, aber nicht überrascht, zu hören, dass auch deutsche Anwälte ihre Stundenhonorare zur Unterstützung von Flüchtlingen spenden sollen. Die Hilfsbereitschaft der Deutschen und die Entschlossenheit ihrer Regierung, das Richtige zu tun, haben die britische Regierung beschämt. Die Deutschen sind eine Inspiration für ganz Europa.
Sean Jones ist Barrister in der britischen Kanzlei 11KBW. Er ist spezialisiert auf Arbeitsrecht.
Die Fragen stellte Pia Lorenz.
Pia Lorenz, 'BillableHour' - Englische Anwälte spenden für Flüchtlinge: . In: Legal Tribune Online, 10.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16865 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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