Die Kommunen suchen derzeit wieder händeringend nach Schöffen für die 2014 beginnende fünfjährige Amtsperiode. Obwohl es sich um ein verantwortungsvolles und interessantes Ehrenamt handelt, musste der Berliner Justizsenator die Bewohner der Hauptstadt jüngst höchstpersönlich zur Bewerbung für die Tätigkeit aufrufen. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass das Schöffenwesen ansonsten eher vernachlässigt wird.
Über 60.000 ehrenamtliche Richter gibt es in Deutschland allein in der Strafgerichtsbarkeit. Sie entscheiden gleichberechtigt mit den Berufsrichtern über Schuld und Strafe der Angeklagten. Anders als die Berufsrichter müssen sie nicht Jura studiert haben. Grundvoraussetzung für ihre Wahl ist lediglich, dass sie Deutsche und bei ihrer Berufung zwischen 25 und 69 Jahren alt sind. Entgegen einem weit verbreiteten Irrtum können auch Juristen als ehrenamtliche Richter tätig sein – sofern sie nicht gerade Notare, Rechtsanwälte oder in der Justiz beschäftigt sind.
Der pensionierte Lehrer Gebhard Jauch hat als Schöffe an Jugendgerichten ca. 40 Verhandlungstage miterlebt. Er hat überwiegend positive Erinnerungen an sein Ehrenamt: "Ich habe persönlich viel gelernt. Für mich als Lehrer war besonders interessant zu sehen, wie sich kriminelle Karrieren entwickeln. Manche Dinge im schulischen Alltag habe ich daraufhin anders beurteilt."
Sofern der Staatsanwalt nicht ausnahmsweise gemäß § 29 Abs. 2 S. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) die Hinzuziehung eines weiteren Berufsrichters beantragt, sind die Schöffengerichte mit zwei Schöffen und einem Berufsrichter besetzt, so dass sie theoretisch sogar den Juristen überstimmen könnten. Praktisch stellt sich die Situation anders dar: "Man hat sich schon von dem fachlich versierten Juristen leiten lassen. Das ist ja auch eine Frage des Selbstbewusstseins", berichtet Gebhard Jauch.
"Schöffen sorgen für Volksnähe der Justiz"
Gerade wenn die Schöffen weniger engagiert sind, ist die Gefahr groß, dass sie zu bloßen Statisten werden, welche die Entscheidungen der Fachkollegen einfach nur abnicken.
Hasso Lieber, Präsident des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter, engagiert sich daher stark für die Weiterbildung der Schöffen und ist von der Sinnhaftigkeit ihrer Mitwirkung an Gerichtsprozessen überzeugt: "Die Juristerei als solche ist nicht sehr volksnah – schon aufgrund der Sprache. Die Schöffen wirken insoweit als Korrektiv und sorgen für eine verständlichere Rechtsprechung. Außerdem kontrollieren sie natürlich faktisch ein stückweit die Tätigkeit des Richters."
Auch Gebhard Jauch findet das Schöffenamt sinnvoll: "Die ehrenamtlichen Richter sorgen für einen Kontrast zu dem rein juristischen Denken." Er hat allerdings beobachtet, dass sich bei den Schöffen ebenfalls eine gewisse Routine einschleift. "Die erste Verurteilung hat man noch stark in Erinnerung behalten, aber mit der Zeit wurde man wesentlich abgebrühter."
"Ohne vernünftige Wahlen unterwandern die Braunen die Gerichte"
Angesichts der verantwortungsvollen Tätigkeit der Schöffen, die tagtäglich über die Freiheit von Angeklagten mitentscheiden, wirkt das derzeitige Schöffenwahlsystem allerdings bizarr. Zunächst stellen die Kommunen Vorschlagslisten auf. Zwar können sich Interessierte gezielt auf die Listen setzen lassen. Oft werden diese aber aus Not oder Bequemlichkeit mit Personen aufgefüllt, die anhand von Meldedaten zufällig ausgewählt werden. Auf den Vorschlagslisten müssen doppelt so viele Kandidaten stehen wie letztlich benötigt werden. Denn auf der zweiten Stufe entscheidet der Schöffenwahlausschuss am jeweiligen Amtsgericht, wer zum Schöffen ernannt wird – und der möchte ja auch eine Wahl haben.
Allerdings kennen die wählenden Amtsrichter die Personen auf den Listen in aller Regel gar nicht; eine angemessene Entscheidungsgrundlage fehlt ihnen also, da die Vorschlagslisten gemäß § 36 Abs. 2 S. 2 GVG lediglich Namen, Adresse, Beruf und Geburtsdatum enthalten. Es kann daher auch passieren, dass jemand zum Schöffen gewählt wird, der zufällig auf die Liste gelangt ist, während Menschen, die sich aktiv um das Amt bemüht haben, nicht berücksichtigt werden.
Auch mit Blick darauf, dass die NPD seit Jahren Bürger mit rechtsextremer Gesinnung auffordert, sich für Schöffenämter zu bewerben, sieht Hasso Lieber das derzeitige Wahlsystem kritisch: "Die Gemeinden müssen vernünftige Wahlen durchführen, sonst unterwandern die Braunen die Gerichte." Anschaulich ist insofern das Negativbeispiel einer Kommune im Norden Deutschlands. "Lediglich 18 Vorschläge musste die 30.000 Einwohner umfassende Gemeinde einreichen – trotzdem wollte sie sich dafür ausschließlich der Zufallsauswahl in den Meldedaten bedienen. Dafür fehlt mir das Verständnis. Es kann doch nicht sein, dass eine Gemeinde mit 30.000 Einwohnern nicht einmal 18 geeignete Bürger benennen kann", schimpft Hasso Lieber.
Ohnehin spricht er sich für ein einstufiges Wahlsystem aus, das bei der jeweiligen Kommune angesiedelt ist. "So wird der Verwaltungsaufwand gesenkt und die Bürgernähe erhöht."
Richterehrenamt bringt berufliche Nachteile mit sich
Das Wahlsystem ist aber nicht der einzige Mangel. Die Schöffentätigkeit lässt sich nämlich auch nur schwer mit dem eigentlichen Beruf vereinbaren. Formell gesehen verbietet § 45 Abs. 1a des Deutschen Richtergesetzes dem Arbeitgeber zwar, einem Schöffen wegen seiner ehrenamtlichen Tätigkeit zu kündigen oder ihn zu benachteiligen. Gleichwohl geht Hasso Lieber davon aus, dass die Praxis anders aussieht. Daher wünscht er sich bundesweit Vorschriften wie Art. 110 Abs. 1 der brandenburgischen Verfassung. Danach darf einem Schöffen während seiner Amtszeit nur aus Gründen gekündigt werden, die den Arbeitgeber zu einer fristlosen Kündigung berechtigen würden.
Aber auch wer nicht auf der Abschussliste des Personalers steht, hat faktische Nachteile. So muss der Arbeitgeber den Schöffen nur vom Dienst freistellen, soweit dessen Tätigkeit in die Kernarbeitszeit fällt. "Liegen zwei Stunden des Verhandlungstages in der Gleitarbeitszeit, muss der Schöffe sie nacharbeiten", weiß Hasso Lieber. Er weist auch darauf hin, dass Arbeitsschutzrechte nicht für Schöffen gelten. So habe es schon Fälle gegeben, in denen hochschwangere Frauen nicht von ihrem Schöffendienst befreit wurden. Die Vorsitzenden hätten hierin keine Unzumutbarkeit gesehen, die zu einer Befreiung der Schöffinnen gemäß § 54 Abs. 1 GVG Anlass gegeben hätten.
Die genannten Probleme im deutschen Schöffenwesen verstärken den von Hasso Lieber geäußerten Eindruck, dass sich die Politik um die Thematik vergleichsweise wenig kümmert. Dadurch aber büßt die vom Berliner Justizsenator in seinem Aufruf so bezeichnete "großartige Tradition in Deutschland seit Karl dem Großen" viel von ihrem Glanz ein. Und mehr engagierte Schöffen gewinnt die Justiz auf diesem Wege sicherlich nicht.
Jens Kahrmann, Richter ohne Roben: . In: Legal Tribune Online, 02.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7881 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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