Peter Schaars Amtszeit als Bundesdatenschutzbeauftragter endet im Dezember. Seine nachdenklichen, abwägenden und oft unbequemen Äußerungen wird man vermissen. Dies zeigt sein Bericht zum Fall Snowden, den er jetzt dem Bundestag vorgelegt hat. Schaar bringt Probleme nüchtern auf den Punkt und widersteht der Versuchung, primär die Erwartungen des medialen Mainstreams zu bedienen, meint Niko Härting.
Laut der Überschrift soll es in dem 17-seitigen Bericht um "Abhöraktivitäten US-amerikanischer Nachrichtendienste in Deutschland" gehen. Schaar hält sich indes nicht lange damit auf, die Überwachungsmaßnahmen der NSA zu schildern, die durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden bekannt geworden sind. Stattdessen stellt er "erhebliche kontrollfreie Räume" bei den deutschen Nachrichtendiensten in den Mittelpunkt seines Berichts und fordert die Bundesregierung auf, nicht nur im Geheimen über ein "No-Spy-Abkommen" mit den USA zu verhandeln, sondern an breiter Front internationale Verhandlungen zu führen und sich innerhalb Europas für eine höheres Datenschutzniveau stark zu machen.
Schaar ruft die Bundesregierung zur weiteren Aufklärung über die Abhörpraktiken der Geheimdienste auf und betont dabei, dass der Bundestag – und damit die Öffentlichkeit – das Recht hat zu erfahren, wie tiefgreifend amerikanische und europäische Dienste den Telefon- und Internetverkehr überwachen. Zugleich spricht er von einer "Bringschuld" der Bundesregierung bei der IT-Sicherheit. In der Tat darf man von der Bundesregierung nicht nur gute Ratschläge erwarten, wenn es um sichere Kommunikationswege und Verschlüsselung geht. Vielmehr bedarf es rechtlicher Rahmenbedingungen, die die Sicherheit der Kommunikation fördern. Hierzu gehören auch konkrete technische Vorgaben an TK- und IT-Anbieter, wie sie derzeit in der Diskussion um eine europäische Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) entwickelt werden.
Dringender Handlungsbedarf bei Kontrolle der Nachrichtendienste
Sehr konkreten Handlungsbedarf sieht Schaar bei den Befugnissen und der Kontrolle der deutschen Nachrichtendienste. Der BND ist im Rahmen der "strategischen Fernmeldeüberwachung" zu Eingriffen in das Telekommunikationsgeheimnis befugt, die in zweierlei Hinsicht schwer wiegen: Zum einen erfolgt die umfangreiche Überwachung heimlich und entzieht sich damit einer gerichtlichen Kontrolle. Zum anderen handelt es sich um Maßnahmen gegen unbescholtene Bürger, da es keines Verdachts oder Anlasses bedarf, um in das Schleppnetz des BND zu geraten.
Obwohl Schaar deutlich macht, wie gravierend die Grundrechtseingriffe sind, die das G10-Gesetz dem BND gestattet, stellt er die Befugnisse des BND nicht ausdrücklich in Frage. Umso vehementer fordert er jedoch eine Verbesserung der Kontrolle. Für diese sind derzeit das Parlamentarische Kontrollgremium (PKrG), die G10-Kommission und – in eingeschränktem Umfang – der Bundesdatenschutzbeauftragte zuständig. "Kontrollfreie Räume" entstehen unter anderem in den Schnittbereichen zwischen Datenschutz (für den Schaar zuständig ist) und TK-Geheimnis (dessen Einhaltung Aufgabe der G10-Kommision ist).
Das PKrG ist ein Gremium, das in geheimer Sitzung tagt. Auch die G10-Kommission tagt geheim, sodass wenig über die Arbeitsweise und Kompetenz der Gremien nach außen dringt. Immer wieder hört man jedoch kritische Fragen zum Sachverstand der Kontrolleure. Schaar mahnt deutliche Verbesserungen an und fordert insbesondere die verstärkte Hinzuziehung von "externem Know-How".
"No-Spy-Abkommen" würde vermutlich im Geheimen abgeschlossen werden
Ob BND, NSA oder auch GCHQ: Für jeden Auslandsnachrichtendienst sind Ausländer bestenfalls Bürger zweiter Klasse. Die Bespitzelung der eigenen Bevölkerung ist den Diensten nur im Ausnahmefall und unter engen Voraussetzungen erlaubt, für das Ausspionieren der Bürger anderer Staaten kennen sie dagegen keine rechtlichen Schranken.
Beim Abhören sind innerdeutsche Gespräche für den BND tabu, die Kommunikation mit dem Ausland darf der BND "nur" nach Maßgabe der (allerdings sehr weiten) Befugnisse überwachen, die sich aus dem G10-Gesetz ergeben. Da der BND indes mit der NSA und anderen "befreundeten" Diensten Informationen austauscht, besteht die Gefahr, dass die innerstaatlichen Hürden für eine Überwachung ausgehebelt werden, indem sich der BND Informationen über deutsche Bürger, die er im Inland nicht sammeln darf, bei ausländischen Diensten beschafft. Schaar spricht von einem "Befugnis-Hopping", das durch internationale Abkommen eingedämmt werden sollte.
Internationale Abkommen sind auch der einzig realistische Weg, um das Schnüffeln der Dienste "befreundeter" Staaten zu verhindern. Zu dem von der Bundesregierung angestrebten "No Spy"-Abkommen äußert Schaar sich jedoch skeptisch, da er – zu Recht – befürchtet, es werde sich um ein Geheimabkommen handeln, auf das sich deutsche Grundrechtsträger nicht berufen können. Schaar spricht sich für Bemühungen um internationale Abkommen aus, fordert jedoch bei allen Verhandlungen Transparenz und parlamentarische Einflussmöglichkeiten.
Datenschutzrechtliche Meistbegünstigungsklausel gefordert
Zur europäischen Datenschutzreform äußert sich Schaar nur am Rande. Er lässt durchblicken, dass er nicht glaubt, dass es Europa mit einer DS-GVO gelingen kann, die Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste wirksam einzuschränken. Er weist indes darauf hin, dass es bislang keinen europäischen Rechtsrahmen für nachrichtendienstliche Überwachungsmaßnahmen gibt. Hier besteht Handlungsbedarf. Die EU-Mitgliedstaaten sollten sich in einem völkerrechtlichen Abkommen verpflichten, eine "Meistbegünstigungsklausel" einzuführen, wonach für alle EU-Bürger diejenigen Schutzvorschriften anzuwenden sind, die auch für die jeweils eigenen Bürger gelten, wenn es um die zahlreichen europäischen Auslandsdienste geht.
Jeder vor seiner eigenen Haustür: Eine Debatte über die Befugnisse des BND und über eine Verbesserung der Kontrolle ist überfällig. Zu einer Geheimdienstreform bedarf es auch nicht mehr als eines parlamentarischen Konsenses, den Schaar einfordert. Wenn die Parlamentarier in Deutschland, Europa und den USA ihre jeweiligen Geheimdienste verstärkt in die Schranken wiesen, wäre dies ein deutlicher Fortschritt für die Freiheit der Netzkommunikation.
Internationale Abkommen über eine Einschränkung der Geheimdienstbefugnisse werden nicht kurzfristig zu erreichen sein, zumal man dabei auch an schwierige Akteure wie Russland und China denken müsste. Jeder Anfang entsprechender Gespräche wäre jedoch zu begrüßen. Jedenfalls in Europa sollte der Weg zu einem "No Spy"-Vertrag nicht allzu lang sein. Wie soll man es eigentlich als europäischer Bürger verstehen, dass Brüssel mit der geplanten DS-GVO jeden kleinen Unternehmer an die Kontrollkandare nehmen möchte und sich zugleich für unzuständig erklärt, wenn es darum geht, die Kontrollwut der Nachrichtendienste von 28 Mitgliedstaaten zu bändigen?
Der Autor Professor Niko Härting ist Partner bei HÄRTING Rechtsanwälte in Berlin, Lehrbeauftragter und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin) sowie Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin.
Niko Härting, Bericht zu Abhörtätigkeiten: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10125 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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