Die Opposition im Hessischen Landtag will die Pflicht abschaffen, Leichen in einem Sarg zu begraben. Bestattungen in weißen Tüchern, wie es im Islam üblich ist, sollen generell zugelassen werden. Die Landesregierung hält eine Gesetzesänderung dagegen nicht für notwendig. Torsten Barthel sieht in dem Vorschlag der SPD dennoch ein wichtiges Zeichen für die Integration der Muslime in Deutschland.
Menschliche Leichen in Särgen zu bestatten oder einzuäschern, scheint in Deutschland selbstverständlich zu sein. Nur wenige Bundesländer schreiben dies überhaupt explizit vor. Hessen kennt mit § 9 des Hessischen Friedhofs- und Bestattungsgesetzes eine solche ausdrückliche Pflicht, von der die Opposition nun eine Ausnahme für Muslime machen will.
Die Gesetzgebungskompetenz fürs Einsargen liegt bei den Ländern, damit diese eigene Wertungen und landestypische Besonderheiten umsetzen können. Bundeseinheitliche Regelungen sind allenfalls aus Infektionsschutzgründen zulässig. Allerdings sind alle Gesetzgeber an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden, wobei die Sargpflicht vor allem mit der Religionsfreiheit kollidieren kann.
Immer mehr Muslime in Deutschland beerdigt
Die Bestattung gilt als letzter Akt der Religionsausübung des Verstorbenen. Seit etwa zehn Jahren wird daher kritisiert, dass der Zwang zum Sarg werde den Bestattungsriten der in Deutschland lebenden Muslime nicht gerecht; die klassische muslimische Bestattung ist sarglos, die Leiche wird in ein weißes Tuch gehüllt und der Erde übergeben.
Zwar lässt sich der Zentralrat der Muslime immerhin auf einen nicht-verschlossenen Sarg als Kompromiss ein – diesen lehnen jedoch viele Gläubige ab. In der Vergangenheit ließen sich nur relativ wenige Muslime in Deutschland beisetzen. Mittlerweile nimmt ihre Zahl aber immer mehr zu und liegt derzeit zwischen zehn und 15 Prozent.
Deshalb fordert die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) nun Rechtssicherheit für die muslimische Tradition. In vielen europäischen Ländern und auch in anderen Bundesländern sei eine Bestattung ohne Sarg inzwischen selbstverständlich, sagte IRH-Vorsitzender Ramazan Kuruyüz: "Muslime und der Islam gehören zu Hessen." Auch Hamza Wördemann vom Zentralrat der Muslime Deutschland sagte bei einer Anhörung im Wiesbadener Landtag: "Heimat ist da, wo man leben und auch sterben darf."
Auch ohne Särge keine Seuchengefahr
Die SPD will den Muslimen mit einer Gesetzesänderung entgegen kommen. Aus der Möglichkeit, Ausnahmen von der Sargpflicht zulassen zu können, soll ein gebundener Anspruch werden: "Der Gemeindevorstand hat auf Antrag … eine Bestattung ohne Sarg zuzulassen."
Der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) äußerte sich skeptisch. Den rituellen Vorschriften des islamischen Bestattungsrechts würden die Ausnahmetatbestände des geltenden Friedhofsrechts gerecht. Richtig ist, dass Ausnahmen vom Sargzwang aus religiösen Gründen nach einigen Landes-Bestattungsgesetzen heute schon möglich sind. Allerdings haben die Behörden bei der Zulassung dieser Ausnahmen einen Ermessensspielraum, der nur begrenzt gerichtlich überprüfbar ist.
Eine gesundheitliche Gefahr sind die Tuchbestattung übrigens nicht. Auch Angst vor Seuchen muss niemand haben. Einen Anspruch auf sarglose Bestattung soll es nur geben, wenn das zuständige Gesundheitsamt sein Okay gegeben hat.
Mit der von der Opposition beabsichtigten Neuregelung würde ein wichtiges Zeichen zur Integration der Muslime gesetzt und endlich ein verbrieftes Recht eingeräumt, mit dem die Verfassungsrealität auch im Bestattungsrecht ankommen könnte.
Der Autor Torsten F. Barthel, LL.M., ist Rechtsanwalt in Berlin und spezialisiert auf das Friedhofs- und Bestattungsrecht. Er hat Kommentare zu mehreren Landes-Bestattungsgesetzen verfasst.
Torsten Barthel, Muslime wollen in Tüchern beerdigt werden: . In: Legal Tribune Online, 13.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7528 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag