Wer als Strafgefangener im Vollzug arbeitet, verdient weit unter Mindestlohn – und erwirbt vor allem keine Rentenansprüche. Das soll und muss sich jetzt ändern, meint Helmut Pollähne.
Als die Justizminister am 7. Juni 2018 die thüringische Wartburg wieder verließen und die 89. Justizministerkonferenz (JuMiKo) zuende ging, hatten sie eine lange überfällige Entscheidung zugunsten von Strafgefangenen getroffen. Sie erklärten die Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung als "grundsätzlich für sinnvoll". Die Bundesjustizministerin möge sich beim Bundesminister für Arbeit und Soziales dafür einsetzen, dass das 6. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) entsprechend geändert wird.
Das ist das vorläufige Ende eines (zu) langen Beratungsprozesses in der JuMiKo, der bereits 2015 begonnen hatte. Anstoß war eine 2011 breit angelegte Petition des Komitee für Grundrechte und Demokratie, der sich nicht nur viele Gefangene angeschlossen hatten, sondern auch zahlreiche Organisationen, etwa die Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (BAG-S), die Humanistische Union und die Strafverteidigervereinigungen.
Status quo: keine Rente für Gefangene
Die meisten Strafgefangenen arbeiten im Vollzug, sei es freiwillig, sei es im Rahmen einer gesetzlichen Arbeitspflicht. Dafür erhalten sie nur einen erbärmlich niedrigen Lohn, der vom Mindestlohn weit entfernt ist. Als wäre das nicht schon Diskriminierung genug, kommt noch hinzu, dass sie während all der Monate, oft auch langen Jahre der Arbeit im Gefängnis keine Rentenansprüche erwerben: Von Seiten der Justizverwaltung bzw. der von ihr bedienten Unternehmen als Arbeitgeber müssen keine entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden.
Zu all den sozialen Benachteiligungen Gefangener, die sie insbesondere nach der Entlassung zu bewältigen haben und die ihre Wiedereingliederung erschweren, kommt – früher oder später – also auch noch hinzu, dass ihnen nur verminderte Rentenansprüche zustehen. Es ist gut nachvollziehbar, das als Doppelbestrafung zu empfinden.
1976, vor mehr als 40 Jahren, als das erste Strafvollzugsgesetz (StVollzG) verabschiedet wurde, versprach der Bundesgesetzgeber den Gefangenen, sie in die Sozialversicherungen einzubeziehen. Die Vorschriften dafür gab es mit den §§ 190 ff. StVollzG bereits, sie sollten 'nur' noch durch ein "besonderes Bundesgesetz … in Kraft gesetzt" werden. Es blieb ein leeres Versprechen – sozialpolitisch und rechtsstaatlich ein Skandal. Es waren wohl vor allem die Länder, die das Vorhaben all die Jahre blockiert haben, um ihre Landeskassen zu schonen; einschlägige Interessensverbände wie Gewerkschaften oder Sozialverbändefühlten sich nicht zuständig, die Interessen arbeitender Gefangener wahrzunehmen.
Orientierung am Mindestlohn wäre das Mindeste
Nun kommt also endlich (!) Bewegung in die Sache und der Ball liegt wieder im Feld des Bundes: Auch wenn noch dahinsteht, ob und wann dort die entscheidenden Weichen im SGB VI gestellt werden, so kann doch von einem Durchbruch gesprochen werden. Immerhin hatte der Bund bereits mehrfach bekräftigt, dass er das Vorhaben unterstützt, aber immer achselzuckend auf die Länder verwiesen – nun kann und muss er liefern!
Bleibt noch mindestens ein absehbarer Punkt der Auseinandersetzung, von der zu hoffen ist, dass sie nicht wieder auf dem Rücken der Gefangenen ausgetragen wird. In dem JuMiKo-Beschluss deutet sich das allerdings bereits an: Angestrebt wird eine Änderung des SGB VI, die "im Hinblick auf die zu erwartenden Einsparungen für den Bundeshaushalt bei der Grundsicherung im Alter keine zusätzliche Belastung der Länderhaushalte verursacht".
Das klingt nach 'Nullsummenspiel' und nicht gut. Erhielten die ehemaligen Gefangenen von der Rentenkasse später nur das ausgezahlt, was der Bund an Grundsicherung eingespart hat, dann wäre unter dem Strich kaum etwas gewonnen. Dass sich die abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge nicht an den Niedrigstlöhnen im Vollzug orientieren können, sollte sich von selbst verstehen. Und ebenso, dass die Gefangenen selbst deshalb auch keine eigenen Beitragsanteile zahlen können.
Diskutiert wurde in den Ausschüssen der JuMiKo und der mitbeteiligten Finanz- und Sozialministerkonferenz als Bemessungsgrundlage ein Satz von 50 Prozent der sog. Bezugsgröße, also dem Durchschnittseinkommen aller Rentenversicherten. In der Petition des Komitee für Grundrechte und Demokratie aus dem Jahr 2011 waren – in Anlehnung an die Pläne von 1976 – ein Satz von 90 Prozent gefordert worden. Nur dazwischen wird man eine Lösung finden, die dem Rechts- und Sozialstaatsgebot gerecht wird und die sozialversicherungsrechtliche Diskriminierung Straffälliger endlich beendet; eine Orientierung am Mindestlohn, also ca. 70 Prozent, wäre eigentlich das Mindeste.
Der Autor Prof. Dr. iur. habil. Helmut Pollähne ist Privatdozent am Institut für Kriminalpolitik und Rechtsanwalt in Bremen. Er ist außerdem Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Strafvollzugsrechts.
Helmut Pollähne, Nach JuMiKo-Beschluss der Länder: . In: Legal Tribune Online, 20.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29253 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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