Das Internet ist ein grenzenloses Medium, das weltweite Kommunikation ermöglicht. Webseiten aus anderen Ländern können am heimischen Rechner gelesen werden, eigene Inhalte werden weltweit abrufbar. Doch nur wenige bedenken, dass eine Webseite nicht nur der eigenen, sondern auch einer fremden Rechtsordnung unterliegen kann.
Nach dem völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip kann ein Staat seine Hoheitsgewalt immer dann ausüben, wenn eine Handlung auf dem eigenen Staatsgebiet stattfand oder Auswirkungen auf dieses hatte. Dabei findet eine Handlung auch dann auf einem Gebiet statt, wenn sie zwar woanders begangen wurde, ihr Erfolg sich aber auf eben diesem Gebiet manifestiert. Da Webseiten weltweit abrufbar sind, kann der Erfolgsort somit in jedem Land der Welt liegen.
Es ist also möglich und kommt auch nicht selten vor, dass der Urheber einer Webseite wegen deren Inhalts in einem anderen Land, dessen Rechtsordnung er nicht kennt, verklagt wird. So kann der in Deutschland unbedenkliche Inhalt einer Webseite dennoch italienisches Markenrecht, österreichisches Wettbewerbsrecht oder chinesische Persönlichkeitsrechte verletzen. Dies zwingt die Frage auf, ob es Regeln gibt, die die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Landes begrenzen.
Völkerrechtliche Vorgaben
Auch hier bietet das Völkerrecht eine erste Orientierungshilfe. Das Völkerrecht verlangt, dass der Staat bei der Regelung eines Sachverhalts mit Auslandsbezug eine enge Beziehung, einen sogenannten "genuine link", zu diesem Sachverhalt aufweisen muss. Klar ist hierbei zudem, dass der im Inland belegene Erfolgsort alleine als Anknüpfungspunkt nicht ausreicht. Denn durch die weltweite Zugänglichkeit des Internet liegt der Erfolgsort in jedem Land, in dem die Webseite abrufbar ist.
Unterschiedlich beantworten die Gerichte einzelner Staaten jedoch die Frage, wie eine solche "enge Beziehung" zum Forumstaat aussehen muss. Grundsätzlich lassen sich zwei Tendenzen feststellen. Eine Gruppe von Staaten, beispielhaft die USA oder Frankreich, gehen davon aus, dass der Inhalt einer Webseite nur dann der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterfällt, wenn die Webseite auf diesen Staat ausgerichtet war. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Webseitenbetreiber gezielt deutsches Publikum ansprechen will, etwa weil er die Webseite auf Deutsch verfasst oder Informationen zur Zahlungsabwicklung in Euro bereitstellt.
Die andere Gruppe von Staaten, zu denen u.a. England und Australien zählen, stellt hingegen auf die Abrufbarkeit im Inland und die Geeignetheit zur Verletzung inländischer Rechtsgüter ab. Dies geht teilweise so weit, dass z.B. ein russischer Milliardär in England gegen den Autor eines in den USA veröffentlichten Online-Artikels wegen Rufschädigung klagen kann.
Gerade für Klagen wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten ist England ein beliebter Ort. Denn nach englischem Recht kann sich der Verfasser angeblich verleumderischer Worte nicht auf seine Meinungsfreiheit berufen, sondern muss die Wahrheit seiner Worte beweisen. Gelingt ihm das nicht, droht Schadensersatz in Millionenhöhe.
Die Rechtslage in Deutschland
Deutschland nimmt eine Zwischenposition zwischen den beiden Gruppen ein. Die Obergerichte gingen überwiegend davon aus, deutsche Gerichte nur dann international zuständig sind, etwa nach §32 der Zivilprozessordnung (ZPO), wenn die betreffende Webseite sich bestimmungsgemäß im Inland auswirken soll.
Dieser Linie folgt der Bundesgerichtshof (BGH) jedoch zumindest bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts nicht. In einem im März erlassenen Urteil (VI ZR 23/09) argumentiert der BGH, dass die gezielte oder bestimmungsgemäße Ausrichtung auf deutsche Nutzer nur bei marktbezogenen Delikten, etwa Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht, ausschlaggebend sei. Denn dabei gehe es dem Autor der Webseite um die Beeinflussung eines Marktes. Hingegen sei eine Persönlichkeitsrechtsverletzung unabhängig vom Willen des Urhebers und trete mit der Kenntnisnahme durch Dritte ein.
Der BGH möchte den Inlandsbezug daher anhand des tatsächlichen Eintritts der Kollision widerstreitender Interessen des Urhebers der fraglichen Webseite und des Inhabers des Persönlichkeitsrechts feststellen. Damit rückt der BGH eindeutig und bewusst in das "englisch-australische" Lager.
Kritik und Zusammenfassung
Das Urteil des BGH ist bedauerlich, denn mit ihm rückt der BGH von einer klaren und konkreten Rechtsprechungslinie ab. Statt für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit ein anhand objektiver Merkmale nachprüfbares Kriterium der "gezielten Ausrichtung" aufs Inland aufzustellen, stellt der BGH auf eine wertende Einzelfallbetrachtung ab, die keinerlei Rechtssicherheit bietet.
Es bleibt festzustellen, dass es bisher keine international einheitlichen Normen für die Bestimmung der Zuständigkeit nationaler Gerichte bei Rechtsverletzungen im Internet gibt. Der online publizierende Bürger muss dennoch keine schlaflosen Nächte haben. Denn die Vollstreckung etwaiger ausländischer Urteile ist schwierig und zeitraubend. Zudem könnte bald wenigstens in der EU eine einheitliche Linie gelten. Im November 2009 legte der BGH dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vor, wie der Erfolgsort nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) auszulegen ist. Der EuGH soll nächstes Jahr entscheiden.
Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Przemyslaw Roguski, Rechtsverletzungen im Internet: . In: Legal Tribune Online, 23.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1541 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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