Extremismus in Sicherheitsbehörden: Radikal raus

Gastbeitrag von Simon Gauseweg

19.09.2020

Polizei und Bundeswehr haben ein Rechtsextremismus-Problem – aber Beamten und Soldaten kann man nicht einfach so entlassen. Simon Gauseweg vergleicht die rechtlichen Möglichkeiten der unterschiedlichen Behörden. 

"Die Menschen verlassen sich auf Sie", sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) erst vorige Woche bei der Vereidigung von rund 600 Kommissaranwärtern vor dem Schloss Augustusburg in Brühl. Und weiter: "Die Grundlage Ihrer Arbeit ist unsere Verfassung, unser Grundgesetz, die Menschenwürde." 

In dieser Woche musste er (erneut) schmerzlich feststellen, dass man sich wohl nicht auf alle Polizisten verlassen kann. Und dass zu viele von ihnen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes vielleicht zur Grundlage ihrer Arbeit, nicht aber ihres privaten Handelns machen. 

Durch Zufall waren Ermittler auf teils seit Jahren betriebene Chatgruppen von mindestens 30 Polizeibeamten gestoßen. Sie hatten Bilder von Adolf Hitler, von Hakenkreuzen oder Reichskriegsflaggen oder Montagen von Flüchtlingen in Gaskammern geteilt. Der Fall habe "eine Dimension in einer Abscheulichkeit, die ich nicht für möglich gehalten habe", sagte der Minister. 

Dabei vergeht leider kaum eine Woche, ohne dass Angehörige von Polizei und Militär mit rechtsextremen Sprüchen, menschenverachtenden Bildern oder Ermittlungen wegen Terrorverdachts Schlagzeilen machen. 

Minister Reul kündigt nun "radikale Aufklärung" an. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), ist mit der Umstrukturierung des zuletzt besonders auffälligen Kommando Spezialkräfte (KSK) schon einen Schritt weiter. 

Alle Verantwortlichen sind sich einig: Für Rechtsextremisten ist in deutschen Sicherheitsorganen kein Platz. Doch was kann der Staat gegen Rechtsextreme in seinen Reihen tun? 

Beamte auf Widerruf: Die Ausbildung darf beendet werden

Im Falle der Polizeibehörden richtet sich das nach dem Bundesbeamtengesetz (BBG) bzw. nach dem Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), das vom jeweiligen Landesbeamtengesetz ergänzt wird*. Es gilt die Faustformel: Je länger die Dienstzeit, desto schwerer die Entlassung. Denn der Staat bietet seinen Beamten besondere berufliche Sicherheit, die je nach Beamtenverhältnis gestuft ansteigt. 

Am einfachsten fällt die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis "auf Widerruf". Diesen Status verleiht der Staat vorrangig während der Ausbildung. Der Widerruf kann gemäß § 23 Abs. 4 S. 1 BeamtStG jederzeit und ohne weitere Voraussetzungen ausgesprochen werden. Normalerweise darf aber die Ausbildung dennoch beendet werden. 

Wohl damit ist es zu erklären, dass die Hochschule Polizei Brandenburg einen durch antisemitische Sprüche aufgefallenen Polizeischüler weiter ausbilden muss: Das Land habe nicht ausreichend dargelegt, dass die Äußerung Ausdruck einer rechtsextremen Gesinnung war und keine "einmalige Sache", hatte das Verwaltungsgericht (VG) Potsdam Medienberichten zufolge bereits Ende August entschieden. 

Beamte auf Probe: Es kommt auf Charakter und Treue an 

Auf die Ausbildung erfolgt die Ernennung in ein Beamtenverhältnis "auf Probe". Diese Probezeit dauert mit zwischen drei und fünf Jahren zwar deutlich länger als die sechsmonatige Probezeit für Angestellte. Dafür liegen aber die Voraussetzungen einer Kündigung deutlich höher: Der Staat muss sie begründen. 

Ein möglicher Entlassungsgrund ist fehlende Verfassungstreue. Denn § 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG legt als eine Grundpflicht fest: "Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten." Trifft der Dienstherr die Prognose, dass ein Beamter auf Probe hierzu nicht bereit sein wird, darf er ihn entlassen. 

Sowohl der Charakter als auch die Verfassungstreue der Beamten auf Probe ist aber in der Gesamtschau der Probezeit zu beurteilen. Die Mängel müssen sich als gefestigt und nicht mehr korrigierbar erweisen. Besteht also noch Anlass zur Hoffnung, der Beamte könne auf den Pfad der Tugend – also zurück zur Verfassungstreue – geführt werden, müsste der Dienstherr zunächst eine verlängerte Probezeit erwägen. 

In der Probezeit ist auch die Entlassung wegen einer einzelnen disziplinaren Verfehlung möglich. Allerdings nur dann, wenn im Vergleich ein Beamter auf Lebenszeit für eine entsprechende Verfehlung mindestens eine Kürzung seiner Dienstbezüge zu erwarten hätte. Das ist keine unerhebliche Schwelle. Im Fall in NRW könnte sie erreicht sein. Sie wäre dennoch für jeden Fall einzeln zu prüfen. 

Chatgruppen in NRW: Nicht strafbar, aber Dienstpflichtverletzung? 

Nach dem was über die Chatgruppen in NRW bekannt geworden ist, kann man davon ausgehen, dass sich die wenigsten Beteiligten noch im Beamtenverhältnis auf Probe befinden. Die Chatgruppen wurden teils bereits 2013–2015 gegründet. Die Probezeit dauert jedoch längstens fünf Jahre. Die meisten, wenn nicht alle Beteiligten, dürften daher inzwischen auf Lebenszeit ernannt sein. In diesem Fall beendet nur eine strafrechtliche Verurteilung oder eine erfolgreiche Disziplinarklage des Dienstherren das Dienstverhältnis. 

Die Verurteilung muss bei den in Rede stehenden Delikten gemäß § 24 Abs. 1 BeamtStG auf mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe lauten. Das ist auch angesichts der Schwere der Fälle in NRW nicht ausgemacht. Denn da sich die Taten wohl außer Dienst in geschlossenen Chatgruppen abgespielt haben, könnten sie gänzlich straflos bleiben. 

Was bleibt, ist die auf "Entfernung aus dem Dienstverhältnis" gerichtete Disziplinarklage. Sie setzt eine gravierende Dienstpflichtverletzung (§ 47 Abs. 1 S. 1 BeamtStG) voraus. Führt diese zur Unzumutbarkeit der Fortführung des Dienstverhältnisses, kann der Beamte entfernt werden. 

Darunter fallen auch Taten, die mangelnde Verfassungstreue zum Ausdruck bringen. Für außerdienstliches Verhalten gilt aber ein strengerer Maßstab. Andererseits darf der Dienstherr gerade auf Verharmlosung oder Billigung der NS-Zeit besonders sensibel reagieren. Das ergibt sich daraus, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung gerade einen Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft darstellt. 

Es ist gut möglich, dass diese Schwelle in einigen Fällen in NRW erreicht ist. Wer sich an montierten Bildern mit Flüchtlingen in Gaskammern ergötzt, rüttelt an der Menschenwürdegarantie und damit dem Grundpfeiler der Verfassung. 

Die Bundeswehr kann härter durchgreifen 

Auch die Bundeswehr entfernt Extremisten aus ihren Reihen. Obwohl Soldaten keine Beamten sind, gelten ähnliche Regeln. Ähnlich den Beamten auf Widerruf und auf Probe können Soldaten innerhalb ihrer ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden. Voraussetzung sind gemäß § 55 Abs. 5 Soldatengesetz (SG), eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung und dass der Verbleib im Dienstverhältnis "die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde." 

Diese Hürden sind weitaus niedriger als bei Beamten; es fehlt etwa die Soll-Vorschrift zur Beendigung eines Vorbereitungsdienstes. Zudem hat das Bundeskabinett Anfang Juni eine Verschärfung vorgeschlagen. Künftig sollen Soldaten in besonders schweren Fällen bis zu acht Jahre nach Diensteintritt fristlos entlassen werden können. 

Zeit- oder Berufssoldaten mit längerer Dienstzeit können nur durch ein Truppendienstgericht aus dem Dienst entfernt werden. Voraussetzungen und Verfahren liegen ähnlich wie bei Beamten. 

Sicherheitsüberprüfung vor der Einstellung  

Übernehmen könnte die Polizei vom Militär etwa einen Entlassungstatbestand zum Schutz von Dienstbetrieb und Ansehen der Polizei. Das könnte es erleichtern, Extremisten zu entlassen. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass § 55 Abs. 5 SG von der Rechtsprechung äußerst weit ausgelegt wird. Nicht ganz unberechtigt läuft der Deutsche BundeswehrVerband (DBwV) gegen den jüngsten Änderungsvorschlag Sturm. Eine Übertragung auf die Polizei sollte dem Rechnung tragen und die Entlassung wegen Bagatellen verhindern. 

Im Hinblick auf Prävention verstärkt die Bundeswehr ihr Engagement derzeit weiter. Schon seit einiger Zeit unterzieht der Militärische Abschirmdienst alle Bewerber einer Sicherheitsüberprüfung. Wie in dieser Woche bekannt wurde, plant das Verteidigungsministerium eine Ausweitung auf Reservisten. Würden alle Polizeibewerber nach Vorbild der Bundeswehr durch den Verfassungsschutz überprüft, könnten einschlägig aufgefallene oder vernetzte Extremisten schon vor Dienstantritt herausgefiltert werden. Lediglich NRW soll damit begonnen haben – im vergangenen Jahr.*

Bereits übernommen hat die Polizei NRW das Konzept des Polizeibeauftragten nach Vorbild des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Letzterer ist Teil der Bundestagsverwaltung, hat umfassende Informationsrechte und ist eine unabhängige Petitionsinstanz für alle Soldaten. Die Identität von "Whistleblowern" darf er verschweigen – so konnten in den letzten Jahrzehnten einige Skandale in der Truppe ans Licht kommen. Auch andere Bundesländer haben in den letzten Jahren vergleichbare Stellen für ihre Polizei eingerichtet. 

Der erste Polizeibeauftragte Nordrhein-Westfalens wurde 2019 ernannt. Anders als sein Vorbild ist er aber dem Innenministerium und nicht dem Parlament angegliedert. Und erst im Juni lehnte der Landtag einen Gesetzesentwurf der Grünen ab, den Polizeibeauftragten aufzuwerten. Gerade wenn beklagt wird, Polizisten verstünden den Korpsgeist falsch oder vertrauten ihren Vorgesetzten nicht, sollte eine möglichst unabhängige Kontrollinstanz in Betracht gezogen werden. 

Zudem hat politische Bildung in der Bundeswehr einen hohen Stellenwert. Sie ist Aufgabe aller Vorgesetzten und in die regulären Dienstpläne fest einzuplanen. Für die Vorgesetzten selbst sind mehrere Fortbildungstage pro Jahr eingeplant. Polizeiwissenschaftler sehen hier noch Nachholbedarf bei der Polizei.

*Klarstellung am 21.09.2020, 12.32 Uhr: Aus der Ursprungsfassung des Textes ging nicht hervor, dass NRW als einziges Bundesland bereits seit 2019 Sicherheitsüberprüfungen von Polizeibewerbern durchführt.

*Missverständliche Formulierung deutlicher gemacht, am 29.09.2020, 10.55 Uhr.

Der Autor Simon Gauseweg ist akademischer Mitarbeiter an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht, Europarecht und ausländisches Verfassungsrecht. Er ist Reserveoffizier der Bundeswehr. 

Zitiervorschlag

Extremismus in Sicherheitsbehörden: . In: Legal Tribune Online, 19.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42842 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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