In den vergangenen Wochen kam es bundesweit zu Durchsuchungen bei Verkäufern von Nutzhanfprodukten. Sebastian Sobota erläutert die rechtlichen Hintergründe und fragt sich, wie sinnvoll ein grundsätzliches Cannabisverbot noch ist.
Stellen wir uns einmal Folgendes vor: Angesichts von circa 75.000 Alkoholtoten pro Jahr und mehreren Millionen Alkoholkranken beschleichen den Gesetzgeber eines Tages Zweifel, ob die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts, in Deutschland dominiere "eine Verwendung des Alkohols, die nicht zu Rauschzuständen führt" (BVerfG, Beschl. v. 09.03.1994, Az. 2 BvL 43/92 u. a.), tatsächlich zutrifft. Er sieht deshalb keinen anderen Ausweg, als die "Volksgesundheit" durch ein strafrechtliches Alkoholverbot zu schützen.
Weil sich die Bürger ihr Feierabendgetränk nur ungern nehmen lassen, blüht fortan der Handel mit alkoholfreiem Bier, das freilich – seiner Bezeichnung zum Trotz – produktionsbedingt regelmäßig geringe Restmengen an Alkohol enthält (< 0,5 Prozent). Solche Getränke können zwar selbst beim Konsum noch so vieler Flaschen keinen Rausch herbeiführen, sind aber wegen ihres bierähnlichen Geschmacks auch ohne Alkoholwirkung beliebt.
Das florierende Geschäft ruft wiederum die Strafverfolgungsbehörden auf den Plan, die befürchten, das grundsätzliche Verbot könnte durch den Verkauf alkoholfreien Bieres aufgeweicht werden. Es kommt zu Beschlagnahmen in Supermärkten und Kiosken. Der Vorstandsvorsitzende einer großen Brauerei landet sogar wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft.
Bei Alkohol undenkbar, bei Cannabis Realität
Zugegeben, diese Vorstellung erscheint absurd – aber nur bezogen auf ein strafbewehrtes Alkoholverbot, das in Deutschland tatsächlich kaum vorstellbar wäre (vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.03.1994, Az. 2 BvL 43/92 u. a.). Denn alles andere ist bereits Realität – wenn man "Alkohol" durch "Cannabis" ersetzt. So fanden in den vergangenen Wochen zahlreiche Razzien gegen Headshops und Hanfläden statt, in denen bestimmte Produkte auf (Nutz-)Hanfbasis angeboten wurden:
In Trier rückte die Polizei mit drei Einsatzfahrzeugen an, um Deutschlands ersten Cannabisautomaten abzubauen. Auch in Bayern und Baden-Württemberg gab es Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Headshops. In Braunschweig wurde der Betreiber der "Hanfbar" wegen wiederholten Verkaufs von Hanfblütentee gar verhaftet.
Aber wie kommt es, dass viele Verkäufer augenscheinlich meinen, sie dürften Hanfprodukte ganz legal in ihren Geschäften anbieten, während Polizei und Staatsanwaltschaft strafbaren Handel mit Betäubungsmitteln wittern?
Ein Gesetz – zwei Meinungen
Der Konflikt resultiert aus einem abweichenden Verständnis der Rechtslage. In der Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ist einerseits geregelt, dass der Umgang mit Cannabis grundsätzlich verboten ist. Andererseits enthält das Gesetz eine Reihe von Ausnahmen. Eine von ihnen betrifft Pflanzen(-teile), deren Gehalt des Rauschwirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) nicht mehr als 0,2 Prozent beträgt, solange der Verkehr mit ihnen ausschließlich gewerblichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen (2. Alternative der lit. b).
Bei unbefangener Lektüre könnte man also meinen, dass der Verkauf von THC-armen Hanfprodukten strafrechtlich unbedenklich ist. Denn der Verkäufer handelt ohne Zweifel gewerblich und bei einem Gehalt von maximal 0,2 Prozent THC erscheint ein Missbrauch zu Rauschzwecken (ohne ihrerseits eindeutig strafbare Weiterverarbeitung) ebenso praktisch ausgeschlossen wie bei alkoholfreiem Bier.
Blühender Handel mit Hanfprodukten
Gestützt auf diese Ausnahmeregelung werden seit langem diverse Produkte wie Kleidung und Kosmetika aus Hanf hergestellt und verkauft, ohne dass sich jemand daran stört. Cannabis wird immerhin seit Jahrhunderten als Rohstoff kultiviert. Speziell in den vergangenen Jahren haben findige Hanffreunde allerdings – einem Trend aus dem europäischen Ausland folgend – vermehrt auch Öle sowie Liquids und getrocknete Hanfblüten, z.T. als Tee oder Duftbeutel, angeboten.
Letztere werden insbesondere wegen der therapeutischen Wirkung des darin enthaltenen nicht rauschwirksamen Cannabidiols (CBD) teilweise explizit als Genussmittel beworben und eignen sich obendrein zu denselben Konsumformen, wie sie auch bei illegalem Cannabis üblich sind. Die mehr oder minder unverarbeiteten Blüten enthalten zwar nur minimale Anteile des psychoaktiven Wirkstoffs THC, sind berauschendem Cannabis aber im Übrigen zum Verwechseln ähnlich.
Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen!
Kein Wunder also, dass die Polizei durch entsprechende Funde alarmiert wurde. Angesichts der "Dreistigkeit" der Händler (über die Inbetriebnahme des ersten Cannabisautomaten in Trier wurde in der überregionalen Presse berichtet; der o.g. Betreiber der "Hanfbar" setzte den Verkauf nach der ersten Beschlagnahme einfach mit neuer Ware fort) waren sich die Strafverfolger ihrer Sache offenbar nicht ganz sicher, wie etwa die monatelangen Vorermittlungen vor dem Einsatz in Trier zeigen.
Dabei ist die Rechtslage vermeintlich eindeutig – jedenfalls wenn man einen Blick in einen Gesetzeskommentar oder den Online-Blog des früheren Oberstaatsanwalts und BtMG-Kommentators Jörn Patzak wirft.
Konsum ist kein Gewerbe
Die Rechtsprechung legt die Ausnahme für "gewerbliche Zwecke" nämlich besonders eng aus und verlangt, dass nicht nur der Verkäufer, sondern auch der Käufer ausschließlich gewerbliche Zwecke verfolgt. Der Gesetzgeber habe lediglich im Sinn gehabt, "das Marktpotenzial des Rohstoffes Hanf und seine Verwendungsmöglichkeiten zur industriellen und möglicherweise energetischen Verwendung [zu] erschließen und nicht die Bevölkerung mit THC-schwachen Zubereitungen zu persönlichen Konsumzwecken [zu] versorgen" (OLG Zweibrücken, Urt. v. 25.05.2010, Az.: 1 Ss 13/10).
Zudem solle das grundsätzliche Cannabisverbot nicht aufgeweicht werden. Während man bei Endprodukten wie Cremes oder Kleidung wohl schon keine echte Gefahr des Konsums sieht, wollen es die Gerichte bei verzehrfähigem Rohhanf lieber gar nicht erst riskieren, dass ein Konsument auf den Geschmack kommen und in der Folge zu illegalem Cannabis greifen könnte. Der Verkauf von CBD-Blüten zu Konsumzwecken ist nach derzeit herrschendem Verständnis also illegal.
Strafverfolgung von Nutzhanf zeitgemäß?
Auch wenn diese Gesetzesauslegung keineswegs zwingend erscheint, ist sie rechtlich nicht unvertretbar und steht vermutlich sogar im Einklang mit dem Willen des (historischen) Gesetzgebers, der den Umgang mit Cannabis umfassend verbieten wollte und dem BtMG seinerzeit ein striktes Abstinenzdogma verordnete.
Angesichts der gesellschaftlichen Realität, die sich – trotz der stetig verschärften Kriminalisierung – in seit Jahren ansteigenden BtMG-Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) abbildet, erscheint allerdings höchst zweifelhaft, ob die strafrechtliche Verfolgung von Nutzhanf irgendeinen Nutzen entfaltet. Weil er sich nicht dazu eignet, einen Rausch herbeizuführen, ist die Ausdehnung der Strafbarkeit auch nicht materiell geboten.
Die bloße Gefahr, das allgemeine Cannabisverbot durch die Duldung von THC-armen CBD-Blüten aufzuweichen, rechtfertigt schwerlich den Einsatz des Strafrechts als der "schärfsten dem Staat zur Verfügung stehenden Waffe" (BVerfG, Urt. v. 25.02.1975, Az. 1/74 u. a.). Das verfassungsrechtliche ultima ratio-Gebot streitet daher eindeutig für eine weniger strenge Auslegung der Ausnahmeregelung.
Chance für die Gerichte und das Parlament
Gleichwohl greift es zu kurz, mit Blick auf das zum Teil unverhältnismäßige Vorgehen allein Polizei und Staatsanwaltschaft zu kritisieren, die nun einmal durch das Legalitätsprinzip zur Strafverfolgung verpflichtet sind. Eine echte Gelegenheit, mehr Augenmaß im Umgang mit CBD-Hanf zu zeigen, bietet sich erst den Gerichten, die künftig über die o.g. Fälle zu urteilen haben werden.
Gestützt auf die langfristig positiven Befunde der Entkriminalisierung in Portugal oder den Niederlanden wäre es darüber hinaus an der Zeit, über einen insgesamt deutlich liberaleren Umgang mit Cannabis nachzudenken. Immerhin hat auch dessen vollständige Freigabe in Nordamerika entgegen allen Unkenrufen nicht zum Dauerrausch der Bevölkerung geführt, sondern allenfalls zu moderaten Anstiegen in der Prävalenz (womöglich Verlagerungen?) und einem florierenden neuen Industriezweig.
Während andernorts Milliarden an Steuern auf Hanfprodukte in die Staatskasse fließen und tausende neue Arbeitsplätze entstehen, wendet Deutschland jedes Jahr Milliarden für eine evident wirkungslose Strafverfolgung auf, die nicht einmal vor rauschuntauglichen Hanfprodukten Halt macht. Bei den nächsten Wahlen kann deshalb jeder Bürger mit darüber entscheiden, ob sich unsere chronisch überlastete Justiz weiterhin mit Hanfblütenteeverkäufern beschäftigen soll.
Der Autor Dr. Sebastian Sobota ist Akademischer Rat a.Z. an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und nebenberuflich Rechtsanwalt in Wiesbaden.
Razzien in Headshops: . In: Legal Tribune Online, 17.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34963 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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