Am Montag beginnt der Prozess gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Die Anklage ist hart: Er soll kinderpornografisches Material erworben und besessen haben. Der Fall stellt den Rechtsstaat vor eine Bewährungsprobe. Denn er muss einen fairen Prozess garantieren, der mit einem gerechten Urteil endet. Die Medien machen es den Richtern aber schwer, findet Volker Boehme-Neßler.
Die Causa Edathy ist eine Tragödie. Es geht um einen gefallenen Helden, um gesellschaftliche Tabus, politische Verschwörungstheorien und zerbrochene Freundschaften. Kein Wunder, dass dieser Prozess im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht.
Sebastian Edathy hat sich als Bundestagsabgeordneter einen Namen gemacht. Er war als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses unerschrocken, akribisch, hartnäckig, neugierig, bissig, polemisch und sehr erfolgreich. Der Abschlußbericht des Ausschusses ist eindrucksvoll – und sehr erschreckend. Er ist als "Dokument eines beispiellosen Versagens der Sicherheitsbehörden" charakterisiert worden.
Danach war Edathy eine Nachwuchshoffnung der SPD für höhere Ämter. Im Oktober 2013 sickerten die ersten Informationen an die Öffentlichkeit: Der Abgeordnete Edathy steht auf der Kundenliste eines kanadischen Anbieters von Kinderpornografie.
Danach war der Absturz nicht mehr aufzuhalten. In den Augen der Öffentlichkeit verwandelte sich der unerschrockene Held des NSU-Ausschusses in einen politischen und gesellschaftlichen Paria, mit dem niemand mehr etwas zu tun haben wollte. "Für jemanden, der so etwas tut, ist in der SPD kein Platz." Mit diesen Worten forderte SPD-Parteichef Gabriel schon früh einen Ausschluss von Edathy aus der Partei, lange bevor die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgeschlossen waren.
Kinderpornographie – zu Recht ein absolutes Tabu
Kinderpornografie ist ein scheußliches Verbrechen. Es beschädigt – das sagen uns die Psychologen – die Kinderseelen stark und häufig irreparabel. Völlig zu Recht ist sie deshalb mit einem starken Tabu belegt und in § 184b Strafgesetzbuch (StGB) und im Jugendschutzrecht unter Strafe gestellt.
In Europa ist es gesellschaftlicher und politischer Konsens, dass Kinderpornografie nicht einmal ansatzweise geduldet wird. Die EU hat deshalb 2011 eine Richtlinie verabschiedet, die europaweit einen umfassenden und effektiven Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Ausbeutung und Missbrauch erreichen will.
Dass die Taten so furchtbar sind, ist sicher ein wichtiger Grund dafür, dass schon der reine Verdacht ausreicht, einen mutmaßlichen Täter für lange Zeit zu stigmatisieren.
Politische Verschwörungstheorien
Rechtsstaatliches Denken ist eine wichtige zivilisatorische Errungenschaft. Eine Justiz, die nicht rechtsstaatlich ist, ist oft eine barbarische Justiz. Das Beispiel Edathy zeigt: Trotzdem ist es im Einzelfall schwer, rechtsstaatlich und fair mit Verdächtigen umzugehen.
Als ob es nicht genug Probleme für einen fairen Prozess gäbe, kommen noch politische Verwicklungen und Verschwörungstheorien dazu. Es geht um die klassische Frage, die in fast jedem politischen Skandal eine wichtige Rolle spielt: Wer wusste wann was und wer hat wem was wann erzählt?
Der Verdacht steht im Raum, dass die SPD-Spitze und Sebastian Edathy frühzeitig über das Ermittlungsverfahren informiert waren. Das ist keine Kleinigkeit. Immerhin ist Geheimnisverrat nach § 353b StGB strafbar. Ein damaliger Innenminister ist wegen dieser Verwicklungen bereits zurückgetreten. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages versucht gerade, Licht ins Dunkel zu bringen.
Edathys verheerende PR in eigener Sache
Sebastian Edathy ist nicht lautlos abgetaucht. Er hat aktiv auf die Meinungsbildung der Öffentlichkeit eingewirkt. Allerdings war seine Litigation-PR in eigener Sache verheerend. Am Anfang stand ein großes Spiegel Interview: "Ich bin nicht pädophil", hat er dort betont und auf die Bedeutung männlicher Aktbilder in der Kunstgeschichte verwiesen. Damit hat er in der Öffentlichkeit nur Hohn und Spott geerntet.
Auch seine Facebook-Kommentare in eigener Sache haben nur negative Reaktionen hervorgerufen. Genauso schlimm waren seine Pressekonferenz und die Auftritte vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. In der Öffentlichkeit hat sich der Eindruck verfestigt: Sebastian Edathy hat etwas zu verbergen, bereut nichts, empfindet kein Mitleid mit den missbrauchten Kindern und schiebt die Schuld auf andere. Schlimmer kann ein Image in der Öffentlichkeit kaum sein.
Sein Kardinalfehler war: Er hat die Bilder nicht veröffentlicht, auf denen die Anklageschrift beruht. Durch größtmögliche Transparenz hätte er alle Spekulationen stoppen und den Verdacht entkräften können. Die Macht der Bilder hätte ihm geholfen, die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Voraussetzung dafür wäre aber gewesen, dass die Fotos tatsächlich harmlos sind. Das ist aber wohl nicht so eindeutig. Immerhin hat die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage dieser Bilder tatsächlich Anklage erhoben.
Volker Boehme-Neßler, Tragödie oder Strafprozess? : . In: Legal Tribune Online, 23.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14766 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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