Dieses Verfahren elektrisiert die Anwaltschaft. Am Freitag will das LG Augsburg verkünden, ob Strafverteidiger Stephan Lucas wegen Strafvereitelung verurteilt wird. Ihm wird vorgeworfen, dass er in einer Revisionsschrift ein Gespräch mit zwei Richtern falsch wieder gegeben habe.
Anwaltsverbände halten das ganze Verfahren für einen Skandal. "Dass ein Strafverteidiger in einem Schriftsatz Dinge aus seiner Sicht schildert, darf niemals Ausgangspunkt für ein solches Strafverfahren sein", sagte Hansjörg Staehle, Präsident der Rechtsanwaltskammer München, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Das Verfahren ist gekennzeichnet von einer kaum glaublichen Parteilichkeit der Strafverfolgungsbehörden gegenüber einem unbescholtenen Rechtsanwalt", heißt es in einer Resolution des jüngsten Strafverteidigertags. Mehrere Verbände, etwa der Deutsche Anwaltverein, hatten Prozessbeobachter nach Augsburg entsandt.
Was ist geschehen? Rechtsanwalt Lucas, den Fernsehzuschauer in seiner Rolle als Staatsanwalt in der Fernsehserie "Richter Alexander Hold" kennen, verteidigte 2006 und 2007 beim Landgericht (LG) Augsburg einen türkischen Angeklagten, dem Drogenhandel vorgeworfen wurde. Der Türke soll in 26 Fällen insgesamt 130 Kilo Marihuana verkauft haben. Am Ende des über einjährigen Prozesses wurde der nicht geständige Mann von der 3. Strafkammer des LG zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt.
Lucas legte Revision ein und rügte unter anderem einen Verstoß gegen das Prinzip des fairen Verfahrens. In einem informellen Vorgespräch nach dem zweiten Prozesstag hätten ihm zwei Richter des Landgerichts eine Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten in Aussicht gestellt, wenn der Angeklagte gestehe. Nachdem dieser jedoch ein Geständnis abgelehnt habe, sei er am Ende mit achteinhalb Jahren zu einer fast doppelt so hohen Strafe verurteilt worden - obwohl sich im Prozess sowohl die Zahl der Handelsfälle von 26 auf sieben als auch die Menge von 130 Kilogramm auf 25 Kilo redzierte. Hier habe sich die "Sanktionsschere" zu weit geöffnet, argumentierte Lucas in seiner Revisionsbegründung.
Aussage gegen Aussage
Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) verwarf die Revision jedoch im Wesentlichen. Er stützte sich dabei auf dienstliche Erklärungen der beiden Richter Karlheinz Haeusler und Johannes Ballis. "Dem Angeklagten wurde seitens VRiLG Haeusler und auch seitens RiLG Ballins zu keiner Zeit ein bestimmtes Strafmaß oder eine bestimmte Strafobergrenze in Aussicht gestellt", heißt es in der Erklärung der beiden Richter, "auch nicht gegenüber Rechtsanwalt Lucas. Und auch nicht geknüpft an irgendwelche Bedingungen wie ein 'umfassendes Geständnis'. Entgegenstehendes Revisionsvorbringen entspricht nicht der Wahrheit." Der BGH unterstellte die Darstellung der Richter als wahr, weil Lucas ihr nicht widersprochen habe (was der Verteidiger allerdings bestreitet).
Der BGH lehnte die Revision allerdings nicht einfach ab, sondern machte Lucas in "ergänzenden Ausführungen" auch noch Vorhaltungen. So sei er für die lange Prozessdauer verantwortlich, Anträge von ihm seien "zu Recht als verspätet und wegen offensichtlicher Verschleppungsabsicht" verworfen worden. Und ganz zum Schluss heißt es mit Blick auf den Vorwurf der Sanktionsschere: der Senat müsse "nun auch noch mit Befremden zur Kenntnis nehmen, dass er mit unwahrem Vorbringen konfrontiert wurde".
Diesen Kommentar des BGH nahm die Staatsanwaltschaft Augsburg zum Anlass, wenige Tage später gegen Lucas ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und in der Folge auch Anklage wegen Strafvereitelung zu erheben. Lucas und die Anwaltsverbände werteten dies als Versuch, einen lästigen Verteidiger aus dem Verkehr zu ziehen. Die Staatsanwaltschaft erklärte dagegen, auch ein Verteidiger, der die Möglichkeiten der Strafprozessordnung voll ausnutze, dürfe Sachverhalte nicht bewusst falsch darstellen. Letztlich stand Aussage gegen Aussage.
Trotz 13 befangener Richter: Das LG Augsburg blieb zuständig
Die Staatsanwaltschaft klagte den Fall beim LG Augsburg an und nach Geschäftsverteilung war ausgerechnet die 3. Strafkammer für den Fall zuständig. Richter Karl-Heinz Haeusler, der im damaligen Verfahren den Kammervorsitz inne hatte, kam als Richter natürlich nicht in Frage. Aber auch auch zwölf weitere Richter erklärten sich für befangen, da sie entweder mit Haeusler im gleichen Spruchkörper säßen oder privat befreundet seien. Nach einigem Hin und Her beschlossen die Richter Thomas Junggeburth und Michael Schneider, dass das Landgericht Augsburg örtlich unzuständig sei.
Lucas und seine Verteidiger Jan Bockemühl und Hartmut Wächtler fanden auch, dass Augsburg kein guter Ort für diesen Prozess sei. Immerhin hatte der Präsident des LG, Frank Arloth, gleich nach dem BGH-Beschluss die Münchener Rechtsanwaltskammer aufgefordert, Maßnahmen gegen Stephan Lucas zu ergreifen. Auch das deutete auf eine gewisse Voreingenommenheit der Augsburger Justiz hin.
Doch das Landgericht wurde das Verfahren nicht los. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde gegen den Unzuständigkeits-Beschluss ein. Und das Oberlandesgericht München gab den Staatsanwälten recht. Das LG Augsburg sei vielleicht nicht das einzig mögliche Gericht, aber jedenfalls nicht unzuständig.
Dienstliche Erklärung der Richter in Teilen widerlegt
Seit dem 13. Januar wurde nun in Augsburg gegen Stephan Lucas verhandelt. Die beiden Richter Haeusler und Ballis (Letzterer ist inzwischen als Staatsanwalt tätig) blieben bei ihrer Darstellung, konnten sich aber an viele Details nicht mehr erinnern.
Für eine Wende im Prozess hat aber wohl die Aussage der damaligen Staatsanwältin Katharina Klokocka gesorgt. Nach ihrer Darstellung gab es schon am Ende des ersten Prozesstages des Drogen-Verfahrens ein erstes Deal-Gespräch zwischen den Richtern, Verteidiger Lucas und ihr. Bei diesem Gespräch habe sie auch mögliche Strafobergrenzen genannt.
Diese Darstellung widerspricht aber der dienstlichen Erklärung von Häusler und Ballis, in der es heißt: "VRiLG Haeusler und RiLG Ballis ist nichts darüber bekannt, ob es zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung gegeben hat. Herangetreten wurde an die Kammer jedenfalls insoweit nicht." Zumindest insoweit dürfte nun aber
die Aussage der beiden Richter als widerlegt gelten.
"Wenn es mit rechtsstaatlichen Dingen zugeht, muss mein Mandant freigesprochen werden - wegen erwiesener Unschuld", plädierte Verteidiger Jan Bockemühl. Die Staatsanwaltschaft forderte jedoch weiter eine Verurteilung von Stephan Lucas. Oberstaatsanwalt Günther Zechmann beantragte eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten -
verbunden mit einem dreijährigen Berufsverbot.
Nur an einem Punkt ruderte Zechman nach einem Hinweis des Gerichts zurück. Es komme wohl doch nur versuchte Strafvereitelung in Betracht, weil der Revisionsantrag von Lucas ja gar nicht erfolgreich war.
Die Urteilsverkündung beginnt am Freitag um 14 Uhr.
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Anwalt freigesprochen: Kein "Hau den Lucas" in Augsburg
Prozess am LG Augsburg: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2923 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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