Nach einer Einigung zwischen der EU-Kommission und Deutschland schreitet die Einführung der Pkw-Maut voran. Doch der Kompromiss benachteiligt EU-Ausländer nach wie vor, und ist auch aus anderen Gründen misslungen, meint Christian Kahle.
Die deutlichen Zugeständnisse Deutschlands bei der Pkw-Maut haben nach Auskunft der EU-Kommission den Vorwurf der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit beseitigt. Damit ist der Streit zwischen der EU-Kommission und Deutschland beendet.
Dem Streit vorausgegangen war die Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen am 8. Juni 2015. Mit dem Gesetz wurde eine Infrastrukturabgabe eingeführt, welche nach Art des Motors (Fremd- oder Selbstzündungsmotor), Schadstoffklasse und Hubraum differenzierte. Zugleich wurde die Kfz-Steuer erheblich modifiziert, um die Belastung durch die Infrastrukturabgabe für Inländer auszugleichen. Die deutschen Autobesitzer sollten in dem Umfang von der Kfz-Steuer entlastet werden, in dem sie mit der Pkw-Maut belastet würden. In einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland argumentierte die EU-Kommission, die Entlastung verstoße gegen das Recht der EU-Bürger auf Gleichbehandlung ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft (Art. 18 AEUV). Zudem sei auch die Preisgestaltung diskriminierend, da die Kurzzeitvignetten, die vorwiegend von Ausländern gekauft werden würden, unverhältnismäßig teuer seien.
Keine 1:1-Entlastung für Deutsche, Staffelung nach Schadstoffklasse
Der zwischen Deutschland und der EU-Kommission geschlossene Kompromiss sieht nun eine Reduzierung der Preise für die Vignetten vor. Eine 10-Tages-Vignette soll beispielsweise nur noch 2,50 statt 5 Euro kosten; statt drei soll es nunmehr fünf Preisstufen für Kurzzeitvignetten geben, die nach Umweltkriterien gestaffelt sind. Ferner verzichtet Deutschland auf die 1:1-Entlastung für deutsche Autofahrer bei der Kfz-Steuer. Stattdessen sollen Halter besonders umweltfreundlicher Fahrzeuge (Schadstoffklasse Euro 6) stärker entlastet werden. Die Infrastrukturabgabe bestimmt sich für Pkw nach dem Hubraum und den Umwelteigenschaften des Fahrzeuges. Es gilt ein Höchstbetrag von 130 Euro. Je angefangene 100 ccm Hubraum beträgt die Abgabe für Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6 1,80 EUR (Ottomotor) und 4,80 EUR (Dieselmotor), für Fahrzeuge der Schadstoffklassen Euro 4 und Euro 5 2,00 EUR (Ottomotor) und 5,00 EUR (Dieselmotor) beziehungsweise für Fahrzeuge der Schadstoffklasse 3 oder schlechter 6,50 EUR (Ottomotor) und 9,50 EUR (Dieselmotor).
Mit dem Kompromiss hat die EU-Kommission das Vertragsverletzungsverfahren ausgesetzt. Sobald Bundestag und Bundesrat der Gesetzesänderung zugestimmt haben, wird die EU-Kommission das Verfahren gänzlich einstellen. Bis dahin bleibt der Vollzug des Gesetzes aufgeschoben.
Ursprüngliches Maut-Konzept war eindeutig diskriminierend
Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist nach Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verboten. Die Vorschriften über die Gleichbehandlung von In- und Ausländern verbieten nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen.
Nach Ansicht der EU-Kommission lag ein solcher Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach der ursprünglichen Konzeption vor, weil deutsche Autobesitzer in exakt dem Ausmaß von der Kfz-Steuer befreit werden sollten, in dem sie durch die Maut belastet würden. Eine entsprechende Entlastung konnten Angehörige anderer Mitgliedstaaten naturgemäß nicht beanspruchen, da sie in Deutschland ohnehin keine Kfz-Steuer entrichten. Effektiv hätte dies dazu geführt, dass die Pkw-Maut ausschließlich von ausländischen Autobesitzern hätte entrichtet werden müssen. Die Argumentation der Bundesregierung, die Pkw-Maut würde für alle Nutzer des deutschen Bundesfernstraßennetzes und damit auch für Deutsche gelten, war zwar formal zutreffend, wirtschaftlich betrachtet aber Augenwischerei.
2/2: Kompromiss beseitigt Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nicht
Doch auch nach der vergangene Woche vom Bundeskabinett beschlossenen Kompromisslösung bleibt die Koppelung von Be- und Entlastung bestehen. Eine vollständige Entlastung in Höhe der Maut können nach dem Kompromiss weiterhin alle Autobesitzer beanspruchen; Fahrer besonders schadstoffarmer Pkw werden nun sogar in einem stärkerem Ausmaß entlastet, als sie durch die Maut belastet werden sollen. Die Behauptung, es würde nicht mehr nach der Staatsangehörigkeit differenziert, sondern vorrangig nach der Schadstoffklasse, erweist sich daher als Taschenspielertrick.
Wird ein schadstoffarmer Pkw genutzt, wirkt sich dies zwar auch für ausländische Autofahrer günstig aus, weil sie dann nur den günstigeren Preis für die 10-Tages-Vignette entrichten müssen. Damit soll die Lösung der Pkw-Maut nach Aussage der Bundesregierung für alle Nutzer deutscher Autobahnen künftig Anreize für die Verwendung umweltfreundlicher Kfz setzen.
Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass alleiniges Ziel der Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes die Entlastung deutscher Autobesitzer von der Infrastrukturabgabe ist. Damit bleibt der Vorwurf der Diskriminierung bestehen. Die Koppelung lässt sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass es einem Mitgliedstaat möglich sein müsse, sein Steuersystem grundlegend umzugestalten. Dass das beschlossene Gesetzespaket dieses Ziel verfolgt, lässt sich nicht erkennen.
Neue und verbleibende Kritikpunkte: Zu kompliziert, fehlende Lenkungswirkung
Die geplante Änderung von Pkw-Maut und Kfz-Steuer führt daneben zu neuen Kritikpunkten. Insbesondere die Berechnungen des Aufkommens der Pkw-Maut weichen nunmehr deutlich von den vom Bundesverkehrsministerium prognostizierten Zahlen ab und lassen erhebliche Mindereinnahmen befürchten.
Wegen mangelhafter Beteiligung von Verbänden und Gewerkschaften an dem Gesetzesentwurf zur Änderung des Pkw-Maut-Gesetzes drohen diese mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Änderungsgesetz.
Die Infrastrukturabgabe verfehlt aber auch nach dem Kompromiss mit der EU-Kommission ihr Ziel. Wesentliche Kritikpunkte bestehen fort. Diese lauten: Zu kompliziert, zu wenig Steuerungswirkung. Wünschenswert wäre es gewesen, eine Maut gänzlich unabhängig von Schadstoffklassen zu erheben. Als Infrastrukturabgabe setzt die Maut an der Nutzung der Verkehrsinfrastruktur an. Der Beitrag wird somit für die Kosten der Abnutzung, Unterhaltung und Instandhaltung erhoben. Warum Autobesitzer mit schadstoffarmen Kfz eine geringere Maut zahlen sollen, als Autobesitzer mit weniger schadstoffarmen Kfz, erschließt sich nicht. Die Abnutzung bzw. Inanspruchnahme des Verkehrsweges verringert sich durch schadstoffärmere Kfz nicht.
Wollte man ökologische Aspekte berücksichtigten, sollte die Kfz-Steuer, die ebenfalls als Infrastrukturabgabe gedacht ist, vollständig abgeschafft und die Mineralölsteuer im Gegenzug deutlich erhöhen. Die Lenkungswirkung wäre um ein Vielfaches höher und es bedürfte keiner komplizierten Staffelung von Abgaben und Steuern anhand von Schadstoffklassen und Hubraum.
Diesen Mut bringt die Politik aus Rücksicht vor dem drohenden Unmut der Bürger und Wähler aber nicht auf. Stattdessen wird sie sich dem Zorn der Nachbarländer stellen müssen, die zum Teil bereits Klagen angedroht haben. Klärung wird dann wohl erst ein Urteil des EuGH bringen.
Dr. Christian Kahle, LL.M., Rechtsanwalt bei BRL BOEGE ROHDE LUEBBEHUESEN Partnerschaftsgesellschaft mbB in Hamburg. Der Autor verantwortet den Bereich des Öffentlichen Wirtschaftsrechts bei BRL.
Tätigkeitsschwerpunkte: Umwelt- und Planungsrecht, Vergabe- und Beihilfenrecht
Dr. Christian Kahle, LL.M., PKW-Maut und das EU-Recht: Ökologischer, aber immer noch diskriminierend . In: Legal Tribune Online, 01.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21959/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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