Bislang galt: Solange Arbeitgeber ihren Angestellten die private Nutzung von IT-Systeme gestatten, machen sie sich strafbar, wenn sie auf die dienstlichen E-Mail-Zugänge zugreifen. Zwei LAG haben nun entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Arbeitgeber doch kontrollieren darf. Ganz so einfach wird es also nicht, sagt Tim Wybitul.
E-Mails werden im modernen Berufsleben immer wichtiger. Der klassische Geschäftsbrief hat weitestgehend ausgedient, und an seine Stelle ist der elektronische Brief in Form der E-Mail gerückt. Die digitale Post wird in der Folge aber auch immer wichtiger als Beweismittel; sei es in einem Gerichtsverfahren oder im Wege von Aufsichtsmaßnahmen des Unternehmensinhabers nach § 130 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG), um im Betrieb Straftaten oder sonstige Delikte zu verhindern. Schließlich kann es auch nötig werden, auf die Geschäftskorrespondenz zuzugreifen, wenn ein Mitarbeiter unvorhergesehen krank oder in sonstiger Weise abwesend ist.
Problematisch wird es dann, wenn der Angestellte den Büro-PC auch für die private Konversation nutzt. Immer häufiger erlauben Arbeitgeber ihren Angestellten, betriebliche E-Mail-Systeme auch privat zu nutzen. Oftmals wird es zumindest geduldet. Schwierig wird es dann, wenn für Privatmails die geschäftlichen E-Mail-Zugänge gebraucht werden. Wenn die Chefs die Korrespondenz kontrollieren möchten, mussten sie sich bei Fragen der Zulässigkeit bislang an der juristischen Fachliteratur orientieren. Urteile zu dieser Frage gab es nicht. Die Meinungen in der Literatur ließen erkennen, dass sich Arbeitgeber strafbar machen, wenn sie auf Mitarbeiter-E-Mails zugreifen. Demnach sind die betroffenen Unternehmen so genannte Anbieter von Telekommunikationsdiensten, wenn sie die private Nutzung ihrer E-Mail-Systeme erlauben. Damit unterliegen sie dem Telekommunikationsgesetz (TKG) und müssen bei E-Mails ihrer Arbeitnehmer nach § 88 TKG das Fernmeldegeheimnis beachten.
Die umstrittene Einordnung des Arbeitgebers als Diensteanbieter hat jedoch noch weiterreichende Folgen. Nach § 206 Strafgesetzbuch (StGB) wird die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe geahndet. Zudem soll die erlaubte private Nutzung auch den Zugang zu geschäftlichen E-Mails verbieten. Denn falls sich die privaten nicht von den dienstlichen E-Mails trennen lassen, so sollen nach Stimmen in der Fachliteratur sämtliche E-Mails einem Kontrollverbot unterliegen.
Arbeitgeber müssen in Notsituationen kontrollieren dürfen
Dabei gibt es durchaus Situationen, in denen der Chef ein berechtigtes Interesse daran haben kann, auf E-Mails ihrer Mitarbeiter zuzugreifen. Über einen solchen Fall hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg kürzlich zu entscheiden (Urt. v. 16.02.1011, Az. 4 Sa 2132/10). Es ging um einen Autohersteller und eine bei ihm angestellte Verkaufsberaterin. Entgegen einer Anweisung des Unternehmens hatte die Verkaufsberaterin nicht sichergestellt, dass dienstliche E-Mails auch in ihrer Abwesenheit bearbeitet werden konnten. Eine eingerichtete Stellvertreterregelung hatte sie deaktiviert. Der Autohersteller hatte mit seinem Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die die Kontrolle dienstlicher E-Mails in eingeschränktem Umfang erlaubte.
Die Verkaufsberaterin erkrankte. Sie reagierte nicht auf E-Mails des Arbeitgebers. In diesen teilte der Chef ihr mit, dass er auf den E-Mail-Zugang der Angestellten zugreifen müsse, um Kundenaufträge weiterhin zu bearbeiten. Erstaunlicherweise schickte die erkrankte Mitarbeiterin aber ihre Krankmeldung jedoch per E-Mail an den Arbeitgeber. Nach knapp zwei Monaten Abwesenheit öffnete die IT-Abteilung dienstliche E-Mails und druckte diese aus, um deren weitere Bearbeitung zu ermöglichen. Der betriebliche Datenschutzbeauftragte war dabei anwesend, der Arbeitgeber hatte vorher auch den Betriebsrat informiert.
Abwägung zwischen Unternehmens- und Persönlichkeitsinteressen
Gegen diese Sichtung ihrer E-Mails klagte die Arbeitnehmerin. Sie verlangte, dass ihr Arbeitgeber künftig keinen Zugriff auf ihren dienstlichen E-Mail-Zugang nehmen darf. Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage der Verkaufsberaterin ab, das LAG Berlin-Brandenburg bestätigte dieses Urteil. Die Gerichte beurteilten den Arbeitgeber nicht als Anbieter von Telekommunikationsdiensten. Das Sichten der E-Mails der Klägerin habe auch nicht gegen § 88 TKG verstoßen. Weder der Vorgesetzte, der den Zugriff auf die E-Mails angeordnet hatte, noch der IT-Mitarbeiter, der ihn durchführte, hätten sich strafbar gemacht. Vielmehr hätte das Unternehmen zutreffend zwischen den eigenen Interessen und dem Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiterin abgewogen.
Das LAG Berlin-Brandenburg bezog sich auf ein ähnliches Urteil des LAG Niedersachsen vom 31. Mai 2010 (Az. 12 Sa 78/09). Auch dort waren die Richter zu ähnlichen Ergebnissen gelangt – leider ohne dieses Ergebnis näher zu begründen. Das LAG Berlin-Brandenburg bezeichnete das Urteil aus Niedersachsen kühn als herrschende Meinung, jedoch auch wiederum ohne näher auf die Gegenmeinung aus der Literatur einzugehen.
Im Ergebnis muss man den Gerichten zustimmen. Es ist kaum sinnvoll, die Unternehmensleitung so zu behandeln wie professionelle Telekommunikations-Anbieter. Zudem haben beide Urteile deutlich klargestellt, dass Arbeitgeber genau zwischen den eigenen Interessen und dem Persönlichkeitsrecht des betroffenen Mitarbeiters abwägen müssen. Sofern ein Betriebsrat eingerichtet ist, muss dieser beteiligt werden. Vor allem müssen Unternehmen den betrieblichen Datenschutzbeauftragten einbinden. Dieser sollte im Rahmen einer gesetzlich vorgeschriebenen so genannten Vorabkontrolle die datenschutzrechtliche Zulässigkeit genau prüfen. Auch nach der neuen Rechtsprechung müssen Unternehmen ausgesprochen vorsichtig vorgehen. Andernfalls drohen ihnen bis zu 300.000 Euro Bußgeld.
Tim Wybitul ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von Mayer Brown und Lehrbeauftragter für Datenschutz im Studiengang Compliance der Deutschen Universität für Weiterbildung in Berlin.
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PC-Kontrolle des Chefs: . In: Legal Tribune Online, 23.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4374 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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