Die neue P2B-Verordnung: Mehr Rechts­schutz für Händler bei Amazon & Co.

Gastbeitrag von Dr. Jakob Bünemann

26.06.2020

Bislang diktieren Online-Plattformen ihren Nutzern ihre Bedingungen auf. Mehr Balance im digitalen Machtgefüge verspricht die ab Juli geltende P2B-Verordnung. Jakob Bünemann findet, dass Europa die richtigen Mittel gefunden hat.

Wer online Waren kauft oder Dienstleistungen bucht, bedient sich dafür sehr wahrscheinlich einer Plattform. Dem Geschäftsmodell der Online-Intermediäre – egal ob nun Suchmaschine, Vergleichsportal oder soziales Netzwerk - kommt eine zentrale Rolle in der digitalen Wirtschaft zu.

Gewerbliche Nutzer generieren dabei erhebliche Umsätze über solche Plattformen. Durch die Verschiebung ihrer Vertriebskanäle sind sie jedoch auch zunehmend von diesen abhängig. Ein familiengeführtes Hotel kann sich eine schlechte Listung im branchenführenden Online-Vergleichsportal Booking nicht wirklich erlauben. Genauso wenig verkraftet zum Beispiel  ein Einzelhändler, der seinen Hauptumsatz über Amazon generiert, eine anlasslose Löschung von der Verkaufsplattform.

Mehr Transparenz und Fairness zwischen Händlern und Online-Plattformen soll die am 12. Juli 2020 in Kraft tretende Plattform-to-Business-Verordnung (im Folgenden: P2B-Verordnung) schaffen. Fest steht: Den Online-Portalen steht eine Menge Anpassungsbedarf ins Haus.

Große Online-Plattformen werden immer mächtiger

Plattformen stehen als Intermediäre zwischen mindestens zwei Marktteilnehmern (z.B. Kaufinteressenten und Händlern auf einer Transaktionsplattform oder Nachfrager von Suchanfragen und Werbetreibende bei Suchmaschinen). Ökonomische Effekte sorgen dafür, dass Plattformmärkte häufig "winner takes it all"-Märkte sind, bei denen ein starker Wettbewerb um den Markt besteht, das sich durchsetzende Unternehmen jedoch kaum mehr Wettbewerb auf dem Markt ausgesetzt sieht.

Besonders stark wirken in diesem Bereich sogenannte Netzeffekte. Diese bedingen, dass die Plattform, die eine große Nutzerbasis auf derselben Marktseite (direkter Netzeffekt, etwa bei sozialen Netzwerke) oder auf der jeweils anderen Marktseite (indirekte Netzeffekte, etwa bei Preisvergleichsseiten) errungen hat, weitere Nutzer anzieht. Die hierdurch entstehende Machtkonzentration führte in der Vergangenheit häufig zu starker einseitiger Verhandlungsmacht bei den Plattformbetreibern. 

Immer wieder beschweren sich auf den Plattformen tätige Händler etwa darüber, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) unangekündigt geändert und Nutzerkonten ausgesetzt werden, teils mit verheerenden Folgen wie massiven Umsatzeinbrüchen. Zudem seien die Rankingkriterien nicht selten undurchsichtig und plattformeigene Dienste würden bevorzugt, kritisieren die gewerblichen Nutzer, die mehr oder weniger machtlos am kürzeren Hebel sitzen. Dabei bestanden bisher kaum wirksame Rechtsschutzmöglicheiten für die wirtschaftlich oft abhängigen gewerblichen Nutzer.

Dass es an Rechtsschutzmöglichkeiten mangelt, liegt auch daran, dass die Machtposition der Plattformbetreiber nicht immer zwingend mit einer marktbeherrschenden Stellung im kartellrechtlichen Sinne einhergeht. Die kartellrechtlichen Werkzeuge zur Verhinderung von Marktmachtmissbräuchen sind daher oftmals nicht oder nur mit erheblichem Begründungsaufwand anwendbar. Um diese Lücke zu schließen und eine Zersplitterung des Rechtsrahmens zu verhindern, sah sich der Europäische Gesetzgeber zum Handeln veranlasst.

Vor allem Ebay, Amazon und Facebook werden sich umstellen müssen

Gerichtet ist die P2B-Verordnung vor allem an Online-Vermittlungsdienste (also Online-Handelsplätze wie Ebay und Amazon oder soziale Netzwerke wie Facebook; im Folgenden: Online-Plattformen oder Plattformen), über die gewerbliche Nutzer, die in der Europäischen Union (EU) ihren Sitz haben, Waren oder Dienstleistungen anbieten. Es kommt somit nicht auf den Niederlassungsort oder Wohnsitz des Plattformbetreibers an, sondern allein auf die (Möglichkeit der) Nutzung der Plattform durch EU-ansässige Gewerbetreibende.

Nur wenige Regelungen betreffen auch Online-Suchmaschinen wie Google, sodass dieser Beitrag vorrangig die für Online-Plattformen geltenden Regelungen im Fokus hat. Ausgeklammert sind zudem Business-to-Business-Plattformen (B2B), Peer-to-Peer-Plattformen (P2P) sowie Online-Werbebörsen, die keine Vertragsanbahnung mit Verbrauchern zum Gegenstand haben (beispielsweise Google AdSense) und Online-Zahlungsdienste wie PayPal.

AGB-Anpassungen und begründete Sperren

Ursprünglich waren auch vergleichsweise schwerwiegende Maßnahmen diskutiert worden, zum Beispiel die Entflechtung von Plattformbetreibern und die Offenlegung von Algorithmen. Letztlich hat sich der europäische Gesetzgeber aber für eine ausgewogene Lösung mit mit ko-regulativem Ansatz entschieden.

Nach Art. 3 Abs. 1 (alle genannten Artikel beziehen sich auf die P2B-Verordnung nach dem oben verlinkten Stand) müssen die AGB von Plattformbetreiber klar und eindeutig gefasst und leicht verfügbar sein.

Eine deutliche Verbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten für die gewerblichen Nutzer dürfte jedoch insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 lit. c) folgen. Hiernach müssen Plattformbetreiber in ihren AGB die Gründe nennen, die zu einem teilweisen oder dauerhaften Ausschluss führen können. Wenn ein Nutzer ausgeschlossen werden soll, muss der Plattformbetreiber diesem künfig unmittelbar eine Begründung dafür liefern (Art. 4).

Diese Regelungen sollen die Geschäftsbeziehung der gewerblichen Nutzer mit der Plattform berechenbarer und tragfähiger machen und zudem die Möglichkeiten unlauteren Verhaltens durch die Plattformen beschränken.

Plattformen müssen ihre Ranking-Kriterien besser erklären

Für die gewerblichen Nutzer ist es von entscheidender Bedeutung zu wissen, wonach die Online-Plattformen ihre Listung gestalten, um möglichst hoch platziert und damit im Fokus der potenziellen Käufer zu stehen. Nicht ohne Grund investieren Unternehmen erhebliche Summen zum Beispiel in Suchmaschinenoptimierung (SEO).

Allerdings handelt es sich bei den zugrunde liegenden Sortierungsalgorithmen der Plattformen um Geschäftsgeheimnisse. Eine umfassende Offenlegung dieser Daten könnte bei Suchmaschinen zudem dazu führen, dass Händler versuchen, die Suchergebnisse zu manipulieren.

Der Kompromiss der Verordnung sieht deshalb so aus: Zwar müssen nun sowohl Online-Plattformen (Art. 5 Abs. 1) als auch Suchmaschinen (Art. 5 Abs. 2) ihre wichtigsten Ranking-Kriterien nebst Gewichtung offenlegen. Gleichfalls stellt Art. 5 Abs. 4 jedoch klar, dass Inhalte, die Geschäftsgeheimnisse beinhalten - also wohl auch die genauen Algorithmen -, außen vor bleiben.

Was ist mit gekauften Listenplätzen?

Dass Plattformen zahlende Kunden und eigene Dienste häufiger bevorzugt anzeigen, ist kaum ein Geheimnis und auch nicht per se unzulässig. Jedoch müssen Online-Plattformen künftig offenlegen, inwiefern eine unterschiedliche Behandlung von entgeltlichen Angeboten (Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1) und eigenen Diensten (Art. 6) erfolgt.

Einschränkungen im Vertrieb müssen nun von Online-Plattformen in den AGB begründet werden (Art. 8). Das betrifft zum Beispiel die häufig vorkommenden Bestpreisklauseln, wonach der Plattformbetreiber den gewerblichen Nutzer verpflichtet, seine Ware oder Dienstleistung auf dessen eigenem Online-Auftritt nicht günstiger als auf der Plattform selbst anzubieten.

Besonders interessant für gewerbliche Nutzer dürften schließlich die neuen Rechtsschutzmöglichkeiten sein. So ist in Art. 9 die Einrichtung eines internen Beschwerdemanagementsystems vorgeschrieben. Die Plattformbetreiber sind dabei gehalten zügig, individuell und sorgfältig auf jede eingegangene Beschwerde zu reagieren.

Dabei dürfte die hierdurch bezweckte Vermeidung von Gerichtsprozessen zu einem erheblichen finanziellen und personellen Mehraufwand für die Plattformbetreiber führen. Darüber hinaus werden die Kooperation mit Mediatoren zur Pflicht (Art. 10) und Verbandsklagen ermöglicht (Art. 12).

Ein Eingriff mit Augenmaß

Die P2B-Verordnung berührt sensible und profitable Geschäftsbereiche der Plattformbetreiber. Dies schien jedoch aufgrund der auseinander driftenden Machtpositionen notwendig. Der europäische Gesetzgeber hat damit die wesentliche Rolle von Plattformen in der digitalen Ökonomie erkannt und ein austariertes Regelungsgerüst geschaffen, das für mehr Stabilität und Fairness in der Plattformwirtschaft sorgen dürfte.

Indem er auf zu harte Regulierungswerkzeuge verzichtet und dafür den Plattformen bei der Umsetzung der Maßnahmen gewisse Spielräume eingeräumt hat, hat er auf das dynamische Marktumfeld Rücksicht genommen. Damit ist auf den ersten Blick ein schwieriger Balanceakt gelungen: Wirtschaftskräfte und Innovationen nicht zu behindern und gleichermaßen auf ein ausgewogeneres Kräfteverhältnis zwischen Plattformen und ihren gewerblichen Nutzern hinzuwirken.

Der Autor Dr. Jakob Bünemann ist Rechtsassessor in Köln und hat sich in seiner Doktorarbeit mit kartellrechtlichen Fragestellungen im Bereich der Plattform- und Datenökonomie beschäftigt.

Zitiervorschlag

Die neue P2B-Verordnung: . In: Legal Tribune Online, 26.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42014 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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