Erste OLG-Entscheidung: Wann Filmauf­nahmen von Poli­zei­ein­sätzen strafbar sind

von Dr. Markus Sehl

15.08.2022

Ob Polizeieinsätze in Bild und Ton aufgenommen werden dürfen, haben Amts- und Landgerichte bislang unterschiedlich gesehen – nun entschied ein Oberlandesgericht. Die Richter in Zweibrücken verfolgen eine strenge Auslegung des § 201 StGB.

Knapp 40 Minuten lang ist die Aufnahme, die eine junge Frau in Kaiserslautern im Frühsommer 2020 mit ihrem Smartphone anfertigte. Elizabeth M. findet sich in den frühen Morgenstunden in einem Polizeieinsatz wieder, die Polizisten wollen Verstöße gegen die damals geltenden Corona-Regeln überprüfen, Hinweisen auf Drogenkonsum nachgehen und stellen bei einer Gruppe von rund 20 Personen die Personalien fest. Die Gruppe hatte sich an einem frei zugänglichen Teich nahe der Fachhochschule versammelt. M. wollte die Begegnung mit der Polizei festhalten und filmte, wobei sie die Kamera auf den Boden richtete und vor allem den Ton des Einsatzes aufnahm. Sie betonte immer wieder, keine Portraitaufnahmen anzufertigen.

Es sind 40 Minuten Aufnahme, die nun zum ersten Mal dazu führen, dass ein Oberlandesgericht über die Frage entschieden hat, wann Smartphoneaufnahmen von Polizeieinsätzen nach § 201 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar sind. In dem achtseitigen Beschluss des OLG Zweibrücken (v. 30.06.2022, Az. 1 0LG 2 Ss 62/21), der LTO vorliegt, weicht das OLG von der Rechtsprechungslinie einiger Landgerichte ab. Diese hatten zuletzt die Strafvorschrift eher eng ausgelegt und wollten das Filmen von Polizeieinsätzen größtenteils aus der Strafbarkeit nach § 201 StGB herausnehmen.

Wann sind Gespräche in der Öffentlichkeit "nichtöffentlich"?

Die Gerichtsentscheidungen zu strafbaren Aufnahmen von Polizeieinsätzen hatten vor dem Hintergrund einer Diskussion über Polizeigewalt für Aufmerksamkeit gesorgt. Rechtlich ist umstritten, ob der § 201 StGB für die Aufnahmen angewendet werden kann. Über den Fall aus Kaiserslautern hatte ARD-NDR-Panorama ausführlich berichtet.

§ 201 StGB schützt laut seiner Überschrift im Gesetz die Vertraulichkeit des Wortes – es geht also nur um den Ton, vor allem sollen vertrauliche Gesprächssituationen auch vertraulich bleiben. Bestraft wird, wer das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt.

Knackpunkt bei den bisher rund ein Dutzend Gerichtsentscheidungen von Amts- und Landgerichten in den letzten Jahren ist die Frage: Was heißt "nichtöffentlich"? Vor allem dann, wenn der Polizeieinsatz in der Öffentlichkeit stattfindet. Zuletzt kritisierten Rechtswissenschaftler, dass die Strafvorschrift von vornherein nicht auf Polizeieinsätze in der Öffentlichkeit passe. "Ich halte diese Vorschrift schon von ihrer Grundausrichtung her für nicht anwendbar auf Gespräche zwischen Polizeibeamten im Einsatz", sagt etwa der Polizeirechtsprofessor Markus Thiel von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster.

Zusammengefasst wird die Kritik unter dem Schlagwort "faktische Öffentlichkeit", also einer Situation, in der beliebige weitere Personen von einem öffentlichen Ort aus die Aktion hätten wahrnehmen können. Gespräche, die in einer solchen Umgebung geführt werden, fallen nicht unter die Strafvorschrift. So buchstabierte es zuletzt 2021 das Landgericht (LG) Osnabrück in einem Beschluss mit grundsätzlichen Aussagen noch einmal aus.

Zwar schreiben die Richterinnen und Richter des OLG Zweibrücken: "Wann ein gesprochenes Wort als nichtöffentlich anzusehen ist, ist bislang nicht abschließend geklärt." Für den Fall aus Kaiserlautern legen sie aber einen strengen Maßstab an. Da die Polizeikontrolle um kurz nach 3 Uhr am Morgen und in einem "begrenzten Bereich" stattgefunden habe, sei aus Sicht der Sprechenden nicht davon auszugehen gewesen, dass noch andere als die Personen vor Ort mithören konnten. Das reicht dem OLG bereits aus, um von einem "nichtöffentlichen" Gespräch und damit einer strafbaren Aufnahme auszugehen. Dabei verwundert, dass laut Beschluss ein Anwohner überhaupt erst den Hinweis auf die Gruppe an die Polizei gab.

Abgeschirmte Personenkontrollen gefilmt

Für das OLG kommt erschwerend hinzu, dass die junge Frau mit ihrem Smartphone den Polizeibeamten bei ihrer Kontrolle folgte, um auch Gespräche aufzunehmen, die abseits der Gruppe geführt wurden. In diese Richtung hatten auch Gerichte zuvor entschieden: Wo Gespräche bewusst abgeschirmt werden, kann eine Aufnahme strafbar sein. Das OLG Zweibrücken stellt in seiner Revisionsentscheidung darauf ab, dass es sich dabei um Personenkontrollen gehandelt habe, die getrennt vorzunehmen seien.

Das LG Kassel hatte 2019 in einer ähnlichen Konstellation nähere Ausführungen zur Strafbarkeit nach § 201 StGB speziell bei Personenkontrollen gemacht. Schützenswert seien nur die Angaben der Betroffenen. Die Fragen der Polizisten hätten "hingegen nur einen hinführenden Charakter ohne eigenen nennenswerten Erklärungsgehalt; was damit gemeint ist, dass die Polizei Personalien erhebt, ist ohnehin jedermann geläufig." Somit kam es für das LG Kassel nur auf eine Einwilligung der Betroffenen an. Mit diesem Argument setzt sich der Beschluss des OLG Zweibrücken nicht auseinander und berücksichtigt insoweit auch nicht die Entscheidung aus Kassel.

Auch eine Notwehr oder Notstandslage habe nicht vorgelegen. Es hätten "keinerlei Anhaltspunkte" dafür vorgelegen, dass die Beamten rechtswidrig handelten. Auch hätte sich die Angeklagte nicht in Beweisnot befunden. Dass die aus Angola stammende Frau angab, "schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit" gemacht zu haben, überzeugte das Gericht nicht.

Passt die Strafvorschrift überhaupt auf das Filmen von Polizeieinsätzen?

Aufgenommen worden seien laut OLG Gespräche in quasi allen Konstellationen, Betroffene untereinander, Polizisten und Betroffene und Polizistinnen und Polizisten untereinander. Auch für die Polizeikommunikation legt das OLG einen strengen Maßstab an.

Das LG Osnabrück hatte dazu 2021 ausgeführt: "Das im Zuge einer im öffentlichen Verkehrsraum vorgenommenen Diensthandlung geäußerte Wort ist in faktischer Öffentlichkeit gesprochen, wenn dieser Ort […] frei zugänglich war." Eine weniger enge, den Bereich der Strafbarkeit erweiternde Auslegung sei nicht angezeigt. Und speziell für Polizeibeamte als Grundrechtsverpflichtete: "Eines Schutzes der Unbefangenheit bedarf ein Amtsträger, dessen Handeln rechtlich gebunden ist und als solches der rechtlichen Überprüfung unterliegt, indes nicht."

Außerdem argumentierte das LG mit einem drohenden Wertungswiderspruch des § 201 StGB zu seinem Nachbarparagrafen. In § 201a StGB werden Filmaufnahmen von Personen nur bestraft, wenn sie damit in eine Wohnung oder in einen besonders geschützten Raum eindringen. Filmaufnahmen in der Öffentlichkeit sind erstmal strafrechtlich nicht relevant (sie können gleichwohl Persönlichkeitsrechtsverletzungen darstellen, die vor den Zivilgerichten verfolgt werden können). Warum sollten Tonaufnahmen in der Öffentlichkeit so viel strenger bestraft werden als Filmaufnahmen, fragte sich das LG. Diese Überlegung hat das OLG in seiner Entscheidung ausgespart. Auch zum Bodycam-Einsatz durch die Polizei, der die "Nichtöffentlichkeit" möglicherweise ausschließt, hat das OLG nichts weiter ausgeführt.

Keine Grundsatzentscheidung vom OLG, Unsicherheit bleibt

Am Ende lehnte es mit seiner Entscheidung die Sprungrevision gegen das Urteil des Amtsgerichts (AG) als unbegründet ab. Damit bleibt es bei der Entscheidung des AG Kaiserslautern. Das hat die Frau wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten mit Bewährungsaussetzung verurteilt. Sie hatte sich gegen die Beschlagnahme ihres Smartphones gewehrt, das die Beamten ihr wegen des Verdachts auf eine strafbare Aufnahme nach § 201 StGB entwendeten. Die Anklage wegen § 201 StGB wurde beim Amtsgericht eingestellt. Die Rechtsfrage tauchte aber wieder inzident auf, weil geklärt werden musste, ob die Beamten von einem Anfangsverdacht auf strafbare Aufnahmen ausgehen durften.

Zwar hat das OLG einige Ausführungen zur Strafbarkeit nach § 201 StGB gemacht, generelle Aussagen nach Art einer Grundsatzentscheidung aber eher vermieden. Auch haben die Richterinnen und Richter sich mit einigen Argumenten anderer LG-Entscheidungen nicht auseinandergesetzt, obwohl sie ähnliche Fallkonstellationen betrafen und grundsätzliche Bedenken an der Strafbarkeit ignoriert. Damit bleibt für Betroffenen und Polizeikräfte im Einsatz weiter unsicher, ob und wann gefilmt werden darf.

"Im Zweifel für die Unsicherheit". Zum Kommentar von Markus Sehl zur OLG-Entscheidung geht es hier.

Zitiervorschlag

Erste OLG-Entscheidung: . In: Legal Tribune Online, 15.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49325 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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