Das OLG Naumburg deutete an, dass es meint, dass das antisemitische Relief an der Stadtkirche Wittenberg heute keine Beleidigung mehr darstellt, weil es in ein Gedenkkonzept eingebettet ist. Christian Rath war bei der Verhandlung.
An der evangelischen Stadtkirche von Wittenberg, an der einst Martin Luther gepredigt hat, ist seit dem 13. Jahrhundert in vier Meter Höhe eine antisemitische Skulptur angebracht. Sie stellt unter anderem Juden dar, die an den Zitzen eines Schweins saugen. Umgangssprachlich wird die Skulptur deshalb als "Judensau" bezeichnet.
Schon zu DDR-Zeiten hatte die evangelische Kirchengemeinde entschieden, die Skulptur zu belassen und durch eine künstlerisch gestaltete Bodenplatte zu kommentieren. Später kam noch eine Informationstafel hinzu. Die Schmähplastik wurde inzwischen allerdings auch aufwendig restauriert, sodass sie wieder klar erkennbar ist.
Der heute 77-jährige Bonner Jude Michael Düllmann klagt gegen die Kirchengemeinde als Eigentümerin der Kirche auf Beseitigung der "Judensau"-Skulptur. Düllmann hatte einst evangelische Theologie studiert, war aber nach einem mehrjährigen Kibbuzbesuch zum Judentum konvertiert. Er beruft sich auf § 823 BGB i.V.m. § 1004 BGB. Als Schutzgesetz wirke hier § 185 StGB (Beleidigung).
Es geht hier also also um einen Zivilprozess. Im Zentrum steht aber die strafrechtliche Frage, ob es sich bei der Plastik heute um eine Beleidigung von Juden handelt. Schon in erster Instanz beim Landgericht Dessau-Roßlau scheiterte Düllmann im Mai vorigen Jahres (Urt. v. 24.05.2019, Az. 2 O 230/18). Dagegen hat er Berufung zum Oberlandesgericht Naumburg eingelegt.
"Die Judensau tituliert mich als Saujuden"
Düllmann war persönlich zur Verhandlung nach Naumburg gekommen und griff die Kirchengemeinde frontal an. "Die Judensau tituliert mich als Saujuden." Die Skulptur an der Wand der Kirche sei Teil der Verkündung. "In meinen Augen sind Sie damit antisemitisch", rief Düllmann. Die "Judensau"-Skulptur gehöre in ein Museum, forderte er. "Dort kann sie aufklärerische Wirkung haben, an der Kirchenwand hat sie jedoch aufhetzende Wirkung".
Der Wittenberger Pfarrer Johannes Block versuchte, auf Düllmann zuzugehen. Man sitze doch im gleichen Boot und kämpfe gemeinsam gegen den Antisemitismus. "Es gibt niemand, der die Plastik gut findet", sagte Block. Die Kirchengemeinde, die die Plastik nun mal "geerbt" habe, habe sich für eine besondere "Memorialgeschichte" entschieden. Die Skulptur sei eingebettet in eine "Stätte der Mahnung". Wenn man sie abnehmen würde, wäre das auch eine "Verfälschung der Geschichte", so Block. Allerdings sei die Gemeinde bereit, die Stätte der Mahnung in eine "Stätte der Versöhnung" weiterzuentwickeln. Block lud auch Düllmann ein, daran mitzuwirken. Düllmann blieb aber hart: "Ich habe mit Ihnen nichts, aber auch gar nichts gemeinsam."
Der Vorsitzende Richter Volker Buchloh referierte, was das Gericht vorläufig beraten hat, und ließ dabei wenig Fragen offen.
Düllmann sei klagebefugt. Als in Deutschland lebender Jude gehöre er einer Gruppe an, die die Rechtsprechung als "kolletivbeleidigungsfähig" anerkannt habe. Die beklagte evangelische Kirchengemeinde sei passiv legitimiert. Zwar könne sie strafrechtlich nicht wegen Beleidigung verurteilt werden. Über ihre Organe könnte ihr eine Beleidigung jedoch gemäß § 31 BGB zugerechnet werden. Die Kirchengemeinde sei für den Zustand der Kirche verantwortlich. Es gehe um "positives Tun" der Gemeinde, nicht um ein Unterlassen. "Die Gemeinde hat eine bewusste Entscheidung getroffen, das Relief beizubehalten", argumentierte Richter Buchloh.
OLG: Heute keine Beleidigung mehr
Es liege heute jedoch keine Beleidigung mehr vor, so der Vorsitzende. Der Senat beabsichtige deshalb, die Berufung zurückzuweisen. Wenn man das Relief nur für sich betrachte, so der Richter, würdige es Juden herab. Die Kirchengemeinde habe das Relief aber in eine Gedenkkonzeption eingebettet. In diesem Zusammenhang habe das Judensau-Relief in objektiver Sicht keine beleidigende Wirkung mehr.
Das Gericht setzte sich auch mit der Aussage des evangelischen Landesbischof Friedrich Kramer auseinander, der im Vorjahr gesagt hatte, "eine Beleidigung bleibt eine Beleidigung, ob man sie kommentiert oder nicht". Dieser Auffassung scheint das OLG nicht folgen zu wollen. "Wenn man das konsequent zu Ende denkt, wäre auch die von Düllmann vorgeschlagene Präsentation des Reliefs in einem Museum unzulässig", sagte Richter Buchloh.
Das Urteil wird am 4. Februar verkündet. Buchloh deutete an, dass der Senat die Revision zum Bundesgerichtshof zulassen werde. Düllmann hatte schon im Vorfeld erklärt, er werde den Fall falls nötig bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte tragen.
Verhandlung am OLG Naumburg: . In: Legal Tribune Online, 21.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39809 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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