Überraschend sprach das OLG München den Nazi André Eminger im NSU-Prozess in vier von fünf Punkten frei. Das Gericht ist überzeugt, dass er erst Anfang 2007 zum vollen Mitwisser wurde. Kurz zuvor hatten die Richter noch anders argumentiert.
Während die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Freiheitsstrafe für André Eminger gefordert hatte, verurteilte ihn das Oberlandesgericht (OLG) München nur zu zwei Jahren und sechs Monaten (Urt. v. 11.07.2018, Az.: 6 St 3/12). Gesinnungsfreunde auf der Tribüne applaudierten und johlten. Eminger wurde sofort aus der Untersuchungshaft entlassen.
Der weitgehende Teilfreispruch für den wohl wichtigsten NSU-Unterstützer Eminger traf in der Öffentlichkeit vor allem auf Unverständnis. Manche hatten in ihm sogar das vierte Mitglied der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gesehen - neben Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt (beide tot) und Beate Zschäpe, die zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Der NSU hatte von 1998 bis 2011 zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle begangen. Von Zschäpes entscheidender Rolle war das Gericht überzeugt und stufte sie als Mittäterin ein.
Die fünf Vorwürfe gegen Eminger
Als "Nationalsozialist mit Haut und Haaren" wurde Eminger von seinen eigenen Anwälten beschrieben, auf seinen Bauch sind die Worte "Die, Jew, Die" (Stirb, Jude, Stirb) tätowiert. Der damalige Maurerlehrling lernte das NSU-Trio im Frühjahr 1998 kennen, kurz nach dessen Untertauchen. Schon Mitte 1998 war er bei einem Treffen dabei, bei dem über die Beschaffung falscher Pässe gesprochen wurde. Im April 1999 mietete er eine Wohnung in Chemnitz, in der Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe rund ein Jahr lebten, bevor sie nach Zwickau zogen.
Die Bundesanwaltschaft (BAW) klagte Eminger wegen fünf Handlungen an. Dreimal soll er für das NSU-Trio ein Wohnmobil gemietet haben. Die Fahrzeuge wurden im November 2000 und im September 2003 von Mundlos und Böhnhardt für Raubüberfälle in Chemnitz genutzt sowie im Dezember 2000 für einen Sprengstoffanschlag in der Kölner Probsteigasse, bei dem eine junge Frau schwer verletzt wurde. Die Ankläger werteten das als Beihilfe zu den Raubüberfällen und als Beihilfe zu einem Mordversuch.
Außerdem soll Eminger in zwei Fällen den NSU als terroristische Vereinigung unterstützt haben: Im Januar 2007 durch eine Falschaussage bei der Polizei und im Mai 2009 durch die Beschaffung von zwei Bahncards für Zschäpe und Böhnhardt. In ihrem Plädoyer 2017 forderte die Anklage eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren.
Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten ging davon aus, dass Eminger schon vor dem Anmieten der drei Wohnmobile in groben Zügen über die Existenz und die Ziele des NSU informiert war. Es gebe zwar keinen eindeutigen Beweis hierfür, so der Ankläger im Plädoyer, doch man sei davon überzeugt, dass das NSU-Trio "von vornherein einen engen und vertrauensvollen Kontakt" zu ihm gehabt habe. Über 13 Jahre hinweg sei es ein "einzigartiges Näheverhältnis" gewesen. Weingarten bezeichnete Eminger auch als "legalen Arm des NSU".
Freispruch in vier Fällen
Das OLG München sprach Eminger dann aber im Juli 2018 für die ersten vier Tathandlungen frei. Nur die Beschaffung der Bahncards im Jahr 2009 sei als Unterstützung des NSU als Terrororganisation zu werten. Zum vollen NSU-Mitwisser sei Eminger erst 2007 geworden.
In dem 3.025 Seiten dicken schriftlichen Urteil, das LTO vorliegt, widmet das OLG den Teilfreisprüchen Emingers immerhin 139 Seiten. Dabei wird eine überschaubare Zahl an Argumenten und Indizien mehrfach wiederholt.
Bei der Anmietung der Wohnmobile in den Jahren 2000 und 2003 habe Eminger nicht gewusst, so das OLG, dass diese für Überfälle und einen Sprengstoffanschlag benutzt werden sollen. Eminger sei nur bekannt gewesen, dass das Trio untergetaucht war, weil Böhnhardt eine Haftstrafe nicht antreten wollte und weil eine Sprengstoffwerkstatt der drei in einer Jenaer Garage entdeckt worden war. Eminger habe seine damalige Hilfe deshalb als Unterstützung für das Leben im Untergrund verstanden. Das Mieten eines Wohnmobils sei für ihn ein alltägliches Geschäft gewesen, das Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt wegen ihrer auffälligen Nachnamen nicht selbst erledigen wollten.Das OLG stützte sich hierfür vor allem auf die schriftliche Einlassung von Beate Zschäpe. Eminger machte im Verfahren keine Angaben. *a
Das OLG hat es "als fernliegend ausgeschlossen", dass das Trio Eminger vor der Anmietung der Wohnmobile über die geplanten Raubüberfälle und über die Anschlagspläne unterrichtet habe. Die drei NSU-Mitglieder "agierten abgeschottet, vorsichtig und legendiert im Untergrund", heißt es immer wieder im Urteil. Sie wollten so wenig wie möglich Mitwisser haben, um unnötige Risiken zu vermeiden.
Eminger lange nur eine "lockere Bekanntschaft"
Eminger sei auch nicht dabei gewesen, als ab 1996 im engeren Thüringer Umfeld von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kontrovers über den Übergang zum bewaffneten Kampf diskutiert worden war und die drei sich als gewaltbereite Hardliner darstellten. Aus diesem Grund habe das Trio ihm in der NSU-Anfangsphase auch weniger anvertraut als ehemaligen Jenaer Mitstreitern wie Ralf Wohlleben und Holger Gerlach.
Für die NSU-Mitglieder sei Eminger damals nur eine "lockere persönliche Bekanntschaft" gewesen, so das OLG, auch wenn man die rechtsextremistische Einstellung teilte. Dass das Verhältnis zu Eminger später noch eng werden sollte, sei für die Bewertung der NSU-Anfangszeit irrelevant.
Eminger habe zu dieser Zeit auch nicht gewusst oder für möglich gehalten, dass das Trio seinen Lebensunterhalt mit Raubüberfällen finanzierte. Er habe die drei nur ein bis zwei Mal im Monat getroffen und keinen umfassenden Einblick in deren persönliche Verhältnisse gehabt. Eminger sei davon ausgegangen, so die Richter, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ihre Ausgaben zum Beispiel über Finanzmittel von Freunden, den Eltern oder aus der rechtsextremistischen Szene finanzierte.
Enger seien die Kontakte der drei Terroristen zu Eminger erst Mitte 2006 geworden, so das OLG. Eminger war 2005 mit seiner Frau Susann aus dem 55 Kilometer entfernten Johanngeorgenstadt nach Zwickau gezogen, wo auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt lebten. Nach der Geburt des zweiten Kindes des Ehepaars Eminger im Jahr 2006 freundeten sich Beate Zschäpe und Susann Eminger an. Letztere kam mit den Kindern etwa einmal pro Woche zu Besuch in die gemeinseme Wohnung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt.
Verjährt: Eminger tarnte Zschäpe 2007 bei der Polizei
Zu diesem Zeitpunkt habe Eminger einen besseren Einblick in die Lebensverhältnisse der drei NSU-Mitglieder bekommen, so das OLG, und sei nicht mehr davon ausgegangen, dass sie ihren Lebensunterhalt aus legalen Quellen bestritten. Vielmehr habe er jetzt auch das Begehen von Raubüberfällen und die Existenz einer entsprechenden "kriminellen Vereinigung" gem. § 129 Strafgesetzbuch (StGB) für möglich gehalten und sich damit abgefunden.
Eminger habe daher eine kriminelle Vereinigung unterstützt, als er am 11. Januar 2007 Beate Zschäpe zu einer Vernehmung bei der Zwickauer Polizei begleitete, wo sie als Zeugin wegen eines Wasserrohrbruchs aussagen musste. Weil Zschäpe keine passenden Tarnpapiere besaß, gab Eminger sie als seine Frau Susann aus und lieh Zschäpe zu diesem Zweck auch deren Personalausweis.
Damals habe Emingers Hilfe das Auffliegen des NSU verhindert, stellt das Urteil fest. Doch auch wegen dieser Handlung wurde Eminger letztlich freigesprochen - denn die Tat sei bereits verjährt gewesen. Von den Terroranschlägen des Trios habe Eminger zu diesem Zeitpunkt immer noch nichts gewusst.
Das entscheidende Gespräch
Nach Überzeugung der Münchener Richter wurde Eminger erst nach dieser Polizeivernehmung Anfang 2007 bei einem längeren Gespräch mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in vollem Umfang eingeweiht. Eminger habe damals gefragt, wie lange die drei noch im Untergrund leben wollten, ihre Taten seien doch bald verjährt. Das Trio habe sich nun gesorgt, so die Annahme der Richter, dass Eminger die Legendierung nicht mehr ernst genug nehme. Deshalb hätten sie ihn nun über den wahren Grund für die fortdauernde Illegalität aufgeklärt. Nach Emingers großer Hilfe bei der Polizei sei auch das Vertrauen zu ihm "schlagartig" gestiegen, so die Richter.
Dass es im Januar 2007 ein derartiges Gespräch gegeben hat, stützte der Senat auf die Aussage von Beate Zschäpe. Allerdings hatte diese erklärt, man habe Eminger nur in die Raubüberfälle eingeweiht, nicht in die Mordanschläge. Das werteten die Richter jedoch als Schutzbehauptung. Bei "lebensnaher Betrachtung" sei anzunehmen, dass das Trio Eminger auch über die "ideologisch motivierten Taten" informierte. Schließlich hätten sie vor ihrem Freund nicht als "gewöhnliche Kriminelle" dastehen wollen.
Die Beschaffung der beiden Bahncards im Mai 2009 wertete das OLG dann entsprechend als Unterstützung einer "terroristischen Vereinigung" gemäß § 129a StGB. Die Bahncards lauteten auf die Namen Andre Eminger und Susann Eminger, trugen aber Fotos von Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt, sodass diese die Karten nutzen konnten. Für Zschäpe, die immer noch keine Tarnpapiere hatte, war die Bahncard zugleich eine Art Ersatzausweis, den sie bei Bedarf vorzeigen konnte.
Im September 2017 sah das OLG noch einen dringenden Tatverdacht
Die Feststellungen des OLG wirken zwar in sich widerspruchsfrei: Die Richter sind offenbar überzeugt, dass Eminger bis 2007 nichts von den NSU-Morden und Anschlägen wusste. Doch nicht nur die BAW hatte in ihren Plädoyers Ende August 2017 ein ganz anderes Bild von Emingers Tatbeteiligung gezeichnet: Auch das OLG hatte dessen Rolle zwischenzeitlich ganz anders beurteilt als später im Urteil. Nachdem die BAW eine zwölfjährige Freiheitsstrafe gefordert hatte, erging im September 2017 ein Haftbefehl gegen ihn. Begründung: angesichts der erheblichen Strafandrohung bestehe nun Fluchtgefahr. Die Richter stellten einen "dringenden Tatverdacht" wegen Beihilfe zum Mordversuch und zweifacher Beihilfe zum Raub fest. Es ging dabei um das dreimalige Anmieten von Wohnmobilen in den Jahren 2000 und 2003.
Das OLG nahm dabei auch an, dass Eminger Gehilfen-Vorsatz hatte: Er habe damit gerechnet, dass Mundlos und Böhnhardt die Wohnmobile zum Begehen von Anschlägen und Raubüberfällen benutzen würden. Auch das Gericht nahm damals an, dass Eminger "zu dem engen Kreis der vertrauten Personen" um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehörte. Er habe sich gegenüber den Untergetauchten "in einer Vertrauensstellung" befunden, "auf Grund der er mit Tätigkeiten beauftragt wurde, die eine besondere Verschwiegenheit erforderten".
Eminger müsse auch von einem in Nürnberg gescheiterten Sprengstoff-Anschlag des Trios erfahren haben, heißt es in dem Haftbefehl, der LTO vorliegt. Die Richter schlossen dies daraus, dass Mundlos und Böhnhardt sogar dem jungen Unterstützer Carsten Schultze von diesem so genannten "Taschenlampen-Anschlag" erzählten, obwohl sie Schultze nicht besonders gut kannten.
Der Haftbefehl aus dem September 2017 ist von den selben fünf Richtern unter Vorsitz von Manfred Götzl unterzeichnet, die ein dreiviertel Jahr später einen Vorsatz von Eminger für diese Taten als "fernliegend" ausschlossen. Als der Haftbefehl erging, war die Beweisaufnahme abgeschlossen, auch die Aussagen Zschäpes lagen längst vor.
Der BGH kann die Beweiswürdigung nur eingeschränkt überprüfen
Die BAW hat gegen den Teilfreispruch von Eminger Revision eingelegt und hat nun - ab Zustellung des schriftlichen Urteils – einen Monat Zeit, die Revision zu begründen. Ob sie dies tun wird oder ob sie die Revision zurückzieht, hat die Behörde noch nicht erklärt. Die betroffenen Nebenkläger, insbesondere die in Köln schwer verletzte junge Frau und ihre Familie, haben schon nach der mündlichen Verkündung 2018 auf eine Revision verzichtet.
Beim Bundesgerichtshof (BGH) kann die Beweiswürdigung des OLG-Urteils nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BGH, Urt. v. 01.02.2017, Az.: 2 StR 78/16) nur sehr eingeschränkt überprüft werden. Wenn die Schlussfolgerungen des OLG "möglich" sind, müssen sie in der Revision akzeptiert werden. Der BGH hat die tatrichterlichen Feststellungen auch dann hinzunehmen, "wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre".
Die tatrichterliche Beweiswürdigung können die Richter in Karlsruhe beanstanden, wenn Rechtsfehler vorliegen, das heißt, "wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt". Mit einem Urteil des BGH ist frühestens 2021 zu rechnen.
Das Urteil im NSU-Prozess, Teil II: . In: Legal Tribune Online, 27.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41429 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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