Ein Plagiat sei Ansichtssache und ein entsprechender Vorwurf damit kaum widerlegbar, urteilte das OLG Hamburg nun rechtskräftig. Wie man sich dann gegen die Anschuldigung, abgeschrieben zu haben, wehren soll, bleibt strittig.
Der Ausdruck, jemand habe aus fremden Werken einfach "abgeschrieben", "sich bedient" oder "abgekupfert", ist eine vom Grundgesetz gedeckte Meinungsäußerung. Das hat der 7. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) kürzlich entschieden (Urt. v. 29.01.2019, Az. 7 U 192/16).
Er urteilte auch: "Die Aussage, es liege ein Plagiat vor, ist für sich genommen zu substanzarm, als dass ihr auch nur teilweise der Charakter einer Tatsachenbehauptung zukäme." Es gebe "keine allgemeingültige Definition , mit deren Hilfe die Aussage, ein Werk sei ein Plagiat, mit wahr und unwahr beantwortet werden könnte." Denn der Ausdruck "Plagiat" sei "stark meinungsgeprägt".
Im konkreten Fall wollte sich der Ingenieurprofessor Dr. Karl-Otto Edel, ebenso Autor auf dem Gebiet der deutschen Sprachgeschichte, vom Münchner Juraprofessor Volker Rieble nicht mehr als Plagiator verunglimpfen lassen. Das OLG hat Rieble allerdings nur untersagt zu behaupten, Edel habe auch stichwortartige Überschriften in Form einzelner Fachbegriffe ohne Kennzeichnung übernommen. Mit der nun rechtskräftigen Entscheidung blieb Edel ansonsten weitestgehend erfolglos.
Rechtsschutz gegen Plagiatsvorwürfe ausgehebelt
Das Problematische an dieser Entscheidung: Wer unter Plagiatsverdacht steht, an dem bleibt nicht selten etwas haften; und zwar auch dann, wenn er sich später (ggf. juristisch) rehabilitieren kann. Wenn aber, wie nach Ansicht des OLG Hamburg, Plagiatsvorwürfe als bloße Meinungsäußerungen hinzunehmen sind – was soll man dann noch dagegen unternehmen können?
Ein aktuelles Beispiel: Zwei Tage nach Zustellung des OLG-Urteils an die Parteien lautete die Hauptnachricht der Tagesschau zur besten Sendezeit um 20 Uhr, dass Bundesfamilienministerin Franziska Giffey wegen ihrer politikwissenschaftlichen Doktorarbeit vor neun Jahren unter "Plagiatsverdacht" steht.
Na, was denn nun? Ist das alles bloß ein substanzarmer Aufreger im Medienrummel? Die Meldung kam privaten Internetforum Vroniplag Wiki, das laut seinem Untertitel eine "Plagiatsdokumentation" ist - auch nur eine bloße Meinungsplattform?
Meinungsgeprägte Vorwürfe dieser Art können schnell Karrieren knicken. Kein Wunder, dass sich Betroffene in der Regel dagegen wehren wollen, was jedoch, wenn man derselben Auffassung ist wie das Hanseatische OLG, zumindest juristisch erschwert wird.
Wie definiert man "Plagiat"?
Das OLG folgt in seinem Urteil dem gängigen Sprachgebrauch des Ausdrucks "Plagiat", bei dem die begriffliche Substanz verlorengegangen ist. Nach dem lateinischen Grundwort ist der Plagiator aber ganz unmissverständlich ein Dieb. Das Plagiat, lehrte der Jurist Jacob Thomasius im 17. Jahrhundert, ist eine Lüge (mendacium), die Unwahrheit über die Autorenschaft.
Für Rechtsprofessor Dr. Wolfgang Löwer, langjähriger Chef des Ombudsgremiums für die Wissenschaft, hängt der Vorwurf auch heute immer noch entscheidend vom objektiven Tatbestand ab. In diesem Sinne sagt ebenfalls sein Kollege Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz zum OLG-Urteil:
"Jemandem in einem fachlichen Kontext ein Plagiat vorzuwerfen, ist eine Tatsachenbehauptung, die wahr oder unwahr sein kann, aber eben nicht lediglich eine Meinung im Sinne eines wertenden Dafürhaltens." Verwaltungsgerichte seien in der Praxis nötigenfalls immer dabei, den Rechtsbegriff "nachzukonturieren". Nur ist das Verfahren in Hamburg von einer Zivilkammer des OLG entschieden worden.
"Offene Bedeutung" in der Fachliteratur
Was ein Plagiat ist, ist also nicht gesetzlich oder sonst allgemeinverbindlich definiert. Wegen dieser Unbestimmtheit, Dehnbarkeit und den damit verbundenen Fragwürdigkeiten hat das Schlagwort in diesem Jahrzehnt gerade auch in der juristischen Fachliteratur Hochkonjunktur.
Dabei plädiert auch der in diesem Fall beklagte Rieble, ein vielbeachteter Stimmführer auf dem Gebiet der Plagiatsforschung, ausdrücklich für die "offene" und meinungsgeprägte Wortbedeutung des "Plagiats" als Würze in der Diskussionskultur. Würde man den Ausdruck hingegen "verrechtlichen", so Rieble, käme es zu einer Fülle beängstigend einschnürender Regelungen im Urheber-, Prüfungs-, Dienst- und Arbeitsrecht.
Das Kernproblem sieht er woanders: Plagiat und Plagiatsabwehr seien eine Frage der "Ehre" und des Anstands. Anders ausgedrückt: Ein anständiger Autor wird sich gar nicht erst mit fremden Federn schmücken, weil er sonst "Beanstandungen" befürchten muss, die wiederum an seiner Ehre kratzen.
Unterschiedliche Rechts- und Empörungstatbestände
Beim "offenen" Plagiatsvorwurf kann der Schutz der persönlichen Ehre hinter der kritischen Auseinandersetzung mit dem fraglichen Text zurückstehen, wie der Fall Edel zeigt.
Der in Ingenieurkreisen hoch anerkannte Experte für Bruchmechanik veröffentlichte 2010 im Ruhestand sein Buch über "Die Macht der Sprache in der Wissenschaft". Eine Sprachwissenschaftlerin behauptete umgehend, Edel habe viel aus ihrer Habilitationsschrift für die Hochschullehrerqualifikation übernommen, ohne sie ausreichend zu zitieren.
Das Landgericht Frankfurt ließ ihrem Plagiatsvorwurf freien Lauf (Urt. v. 05.12.2013, Az.: 2-03 O 26/13): Die Erstautorin dürfe Edel damit die Meinung sagen, auch wenn seine Übernahmen oder Anlehnungen das Urhebergesetz nicht verletzen. Jedenfalls hat die Empörung ihr Recht gefunden, was dem "offenen" Plagiatsverständnis entspricht.
Dass aber die ebenso erhobene Urheberrechtsklage, mit der die Linguistin ihre wissenschaftlichen Meriten gegenüber Edel schützen wollte, vor Gericht nicht durchkam, führte zu massiver Urteilsschelte mehrerer Rechtsprofessoren, darunter auch Rieble selbst.
Aus seiner Sicht wird die ehrliche Kommunikation zwischen Schreiber und Leser im Wissenschaftsprozess erheblich gestört, wenn jemand einfach bei anderen "abschreibt, abkupfert, sich bedient", ohne die Quellen punktgenau nachweisen zu müssen. "Der Zweitautor muss aufdecken, woher er etwas hat", so Rieble – auch wenn das etwa mangels einer originellen "Schöpfungshöhe" der Textvorlage urheberechtlich nicht nötig scheint.
Im konkreten Fall sieht er ein Mahnbeispiel. Neben dem Urheberrecht müsse man für wissenschaftliche Texte eine besondere "Konzeption von Originalität und Lauterkeit zu entwickeln" versuchen, die maßgeblich den Leser schützt. Nur: Die gibt es bislang nicht. So entschied das OLG in Hamburg also zugunsten des Lesers über den breitspurigen Weg der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Grundgesetz.
Warum überhaupt noch zitieren?
Wenn man sich nach der Hamburger Entscheidung einen empörten Plagiatsvorwurf sowieso gefallen lassen muss, wozu dann – überspitzt gesagt – die Mühe mit genauem Zitieren machen?
Eine Frage, an der mehr dran ist, als man zunächst meinen mag, wenn man sich den Fall Edel noch genauer anschaut. Denn laut Untertitel bietet dessen Buch einen "geschichtlichen Abriss von den Anfängen bis zur Gegenwart" über insgesamt mehr als tausend Jahre. Der Autor bezeichnet sein Werk selber als "populärwissenschaftlich", als eine Art Sachbuch, sowenig zu verwechseln mit akademischen Literaturgattungen wie Äpfel mit Birnen.
Was ist in einem solchen Werk aber an Quellenachweisen zu verlangen? Auch dazu schreibt der in Hamburg erfolgreiche Rieble: "Höchste Anforderungen gelten der wissenschaftlichen Monographie und dem Fachaufsatz in einer renommierten Fachzeitschrift." Im Umkehrschluss könnten für andere Textgattungen wie besagte populärwissenschaftliche Sachbücher andere Anforderungen gelten, womöglich pauschale Nachweise genügen statt "beanstandenswert" zu erscheinen.
Nur: Auch in dieser Hinsicht muss man gar nicht so genau nachbohren, wenn denn der Plagiatsvorwurf nichts anderes ist als eine "substanzarme", um Tatsachen unbekümmerte "Meinungsäußerung", wie es die Hamburger Richter nun formulierten.
OLG Hamburg: . In: Legal Tribune Online, 25.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34017 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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