NS-Verharmlosung, Rassismus und Antisemitismus sind unter deutschen Polizisten keine Seltenheit. Das OLG Frankfurt/Main hält das für "schwer erträglich", aber nicht für strafbar. Denn die Chats seien nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.
In einer Whatsapp-Chatgruppe mit dem Namen "Itiotentreff" teilten mehrere Frankfurter Polizisten über Monate rechtsextreme und menschenverachtende Inhalte. Darunter waren Hitler-Abbildungen, Hakenkreuze oder Memes, mit denen sich die Beamten über Vergewaltigungsopfer, Frauen, Geflüchtete, Menschen mit Behinderung und nicht-weiße Personen lustig machten. Das Landgericht (LG) Frankfurt am Main hatte das aus den rund 1.600 Nachrichten sprechende Gedankengut zwar als "nationalsozialistisch, antisemitisch, rassistisch und menschenverachtend" bewertet, in dem Fall sowie bezüglich einiger ähnlicher angeklagter Chatgruppen aber zugleich entschieden, dass die Inhalte keinen Straftatbestand erfüllten. Es hatte deshalb die Anklage der dortigen Staatsanwaltschaft nicht zum Hauptverfahren zugelassen und keinen Prozess eröffnet.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Staatsanwaltschaft blieb beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt nun ohne Erfolg (Beschl. v. 08.07.2024, Az. 1 Ws 171/23 u.a.). Das teilte das OLG am Montag mit. Auch wenn die Inhalte "nur schwer erträglich" seien und "erhebliche Zweifel an der Verfassungstreue" der Beamten begründeten, sei der Nichteröffnungsbeschluss des LG (v. 13.02.2023, Az. 5/6 KLs 6110 Js 249194/18 – 1/22) rechtlich "nicht zu beanstanden". Wie zuvor das LG sah auch das OLG keinen hinreichenden Tatverdacht einer Straftat.
Angeklagt hatte die Staatsanwaltschaft die Beamten wegen Volksverhetzung und wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, jeweils in der Variante des Verbreitens von Inhalten (§§ 130 Abs. 2, 86a Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch, StGB). Die Frankfurter Gerichte verneinten das den Tatbeständen gemeinsame Merkmal des "Verbreitens": Wer Nachrichten in einer privaten Chatgruppe versende, "verbreite" diese nicht.
Keine Mengen- oder Kettenverbreitung
Werden Hitler-Memes und Inhalte, die Menschen mit Trisomie 21 verächtlich machen, privat ausgetauscht, so sind sie auch dann nicht als Volksverhetzung oder Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen strafbar, wenn sie gegen eine Bevölkerungsgruppe hetzen oder den Nationalsozialismus verherrlichen. Doch ist eine Chatgruppe mit mehreren Polizeibeamten wirklich eine private Angelegenheit?
Nach Ansicht der Frankfurter Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft liegen in den Fällen des selbsternannten "Itiotentreffs", der Gruppe "Homies & Friends" u.a. die Voraussetzungen einer sog. Kettenverbreitung vor. Darunter versteht der Bundesgerichtshof (BGH, etwa Beschl. v. 10.01.2017, Az. 3 StR 144/16) einen Kommunikationsvorgang unter vier Augen, bei dem der Absender aber beabsichtigt, dass der Empfänger die Nachricht "einem größeren Personenkreis zugänglich machen werde, oder wenn der Täter mit der Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet". Zu einer tatsächlichen Weiterverbreitung muss es dabei nicht kommen.
Diese Voraussetzungen hatte das LG Frankfurt in den vorliegenden Fällen verneint. Dem schloss sich das OLG an. Der Senat stellte laut der Mitteilung vom Montag klar, ein "Verbreiten" sei "weder in der Form der Mengen- noch der Kettenverbreitung erfolgt. Die Inhalte seien in private, geschlossene Chatgruppen mit überschaubarem Personenkreis eingestellt worden, deren Mitglieder miteinander teilweise sehr eng verbunden gewesen seien."
Bezeichnung als "Itiotentreff" hilft den Beamten
Dabei stellte das OLG maßgeblich auf die Anzahl der Chatmitglieder ab. In der Mitteilung von Montag wird keine konkrete Zahl genannt, das LG hatte aber festgestellt, dass der Itiotentreff zu keinem Zeitpunkt mehr als zehn Mitglieder umfasste. Auch hinsichtlich der ebenfalls angeklagten Mitglieder einer 30-köpfigen Chatgruppe "Homies & Friends" hatte das LG argumentiert, die Gruppe bestünde "aus einem überschaubaren Kreis von Kollegen bzw. ehemaligen Kollegen"; zudem seien die Inhalte "exklusiv gehalten".
Das OLG sieht es nun offenbar genauso. Es lägen "keine konkreten Anhaltspunkte dafür" vor, "dass die Angeschuldigten damit rechneten und es billigend in Kauf genommen hätten, dass die eingestellten Inhalte weitergegeben und einer nicht mehr überschaubaren Anzahl von Personen übermittelt werden würden", teilte das Gericht mit.
Zudem stellte das OLG auf den Zweck der Chatgruppen und im Fall des "Itiotentreffs" auch auf dessen Namen ab. "Zweck der Gruppe war es, durch Einstellen schockierender Inhalte die Chatmitglieder zu 'belustigen', so der Senat. Das habe sich bereits aufgrund des Namens "Itiotentreff" aufgedrängt. Insofern hilft den Beamten also die die geteilten Inhalte verharmlosende Bezeichnung als Treff von Idioten.
Dienstrechtliche Konsequenzen weiter offen
Daneben berücksichtigte das OLG außerdem das Bewusstsein der Chatmitglieder, "dass eine Weiterleitung insbesondere der nationalsozialistischen und ausländerfeindlichen Inhalte dienstrechtliche Konsequenzen hätte haben können". Insofern gereicht es den Angeschuldigten strafrechtlich also zum Vorteil, dass ihre Chat-Nachrichten derart menschenfeindlich waren, dass sie möglicherweise dienstrechtlich zu beanstanden sind.
Allerdings ruhten die Disziplinarverfahren gegen die Frankfurter Beamten bis zum Abschluss des Strafverfahrens. Dieser Zeitpunkt ist nun erreicht, da der Beschluss des OLG unanfechtbar ist. Wie die dpa berichtet, werden die Verfahren laut Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) nun fortgesetzt. Ob die Frankfurter Polizei die Beamten aus dem Dienst entlassen oder sonstige Konsequenzen ziehen wird, ist damit zunächst weiter offen. Der OLG-Senat äußerte dazu am Rande eine Tendenz, ohne jedoch konkret zu werden: Das Verhalten der Chatteilnehmer "begründet erhebliche Zweifel an der Verfassungstreue der im Polizeidienst tätigen Angeschuldigten und erfordert dienstrechtliche Konsequenzen".
Klar ist dagegen: Im Fall des "Itiotentreffs" und in den weiteren in Frankfurt angeklagten Fällen wird es keinen Strafprozess geben. Für die strafrechtliche Behandlung weiterer, ähnlicher Fälle ist der Beschluss nicht bindend, präzisiert aber die Voraussetzungen einer Kettenverbreitung im Rahmen von Whatsapp-Gruppenchats.
Neue Diskussion über eine Gesetzesänderung?
Bislang gibt die Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte kein einheitliches Bild ab, insbesondere was die Anzahl der Chat-Teilnehmer angeht. Wie die Leipziger Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven im Zusammenhang mit rechtsextremen Polizei-Chats feststellt, hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft bei einer Chatgruppe mit 14 Teilnehmenden ein "Verbreiten" bejaht und das Amtsgericht einen Strafbefehl erlassen. Berliner Ermittlern reichten zwölf Chat-Mitglieder für eine Durchsuchung, in Münster hingegen waren 21 nicht genug.
Um diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen, haben die Landesregierungen in NRW und Schleswig-Holstein den Bundesrat davon überzeugt, für eine Änderung des StGB zu stimmen. Wie LTO im Oktober 2023 berichtete, sieht der Gesetzentwurf vor, einen neuen § 341 ins StGB einzufügen, der nur für Amtsträger gilt. Dieser soll schon die Äußerung und das "Zugänglichmachen" von volksverhetzenden Inhalten und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellen, wenn dies "im Zusammenhang mit einer Dienstausübung" steht und objektiv dazu geeignet ist, "das Vertrauen der Allgemeinheit in rechtstaatliches Handeln von Behörden […] zu erschüttern".
Dazu wird es in dieser Legislaturperiode aber wohl nicht kommen. Dass sich zeitnah ein Ausschuss oder das Plenum damit befasst, ist nach LTO-Informationen nicht in Sicht. Wie LTO im März berichtete, liegt der Entwurf auf Eis. Das federführende Bundesjustizministerium hatte auf LTO-Anfrage auf die ablehnende Stellungnahme der Bundesregierung verwiesen. Demnach schieße der Vorschlag des Bundesrats über das mit ihm verfolgte Ziel hinaus. Kritisiert wird insbesondere, dass "bereits Gespräche oder Chats eines Amtsträgers bzw. einer Amtsträgerin mit nur einer weiteren Person" erfasst wären. Auch aus der Rechtswissenschaft gibt es Kritik. So sei unklar, wie das Merkmal der "Eignung, das Vertrauen der Allgemeinheit [...] zu erschüttern", auszulegen ist. Auch schränke das Delikt die Meinungsfreiheit unverhältnismäßig ein.
Womöglich wird der Beschluss des OLG Frankfurt die Debatte nach einer entsprechenden Gesetzesänderung neu entfachen. Poseck jedenfalls bekräftigte die Forderung nach einer Schließung der Gesetzeslücke am Montag. "Hass-Chatgruppen im öffentlichen Dienst sind unerträglich. Sie sind strafwürdig und zwar unabhängig davon, ob ein öffentliches Verbreiten von Inhalten erfolgt", sagte er laut dpa.
OLG lehnt Strafprozess wegen "Itiotentreff" ab: . In: Legal Tribune Online, 15.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55002 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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