Wegen Berlins Plänen, eine Migrantenquote für den öffentlichen Dienst einzuführen, diskutiert man über die Landesverfassung. Sebastian Roßner meint indes, dass schon das Grundgesetz diesem Vorhaben entgegensteht.
Weit hinaus in verfassungsrechtliches Neuland will sich die Berliner Senatorin für Arbeit, Integration und Soziales Elke Breitenbach mit dem Gesetzentwurf ihres Hauses zu einer Migrantenquote für den öffentlichen Dienst in Berlin vorwagen.
Die Quote soll dem Vernehmen nach für die Berliner Verwaltung und Justiz, aber auch für landeseigene Unternehmen eingeführt werden und "atmend" sein, also stets in Höhe des jeweiligen Migrantenanteils an der Berliner Bevölkerung gelten. Das sind nach Aussage der Senatorin Breitenbach gegenwärtig etwa 35 Prozent. Als Migrant soll dabei zählen, wer nicht als deutscher Staatsbürger geboren ist oder bei dem dies zumindest für einen Elternteil gilt.
Solange Migranten im öffentlichen Dienst weniger stark repräsentiert sind, als dies ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht, sollen sie bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt werden, ähnlich wie dies schon bei verschiedenen Regelungen zur Gleichstellung von Männern und Frauen vorgesehen ist.
Problem: Wie will man den Migrantenanteil ausreichend genau bestimmen?
Einige juristische Schwierigkeiten lauern hier im Detail. So lässt sich schon der bereits erreichte Migrantenanteil im öffentlichen Dienst ebenso wenig ohne weiteres ermitteln wie der Migrantenanteil in der Berliner Bevölkerung. Denn anders als das Geschlecht der Bürger oder Bediensteten wird sich die ursprüngliche Staatsbürgerschaft der Eltern meist nicht ohne weiteres aus den vorhandenen Unterlagen ermitteln lassen. Praktisch wie rechtlich dürfte esschwierig sein, entsprechende verlässliche Angaben von allen Bürgern oder Bediensteten zu erheben. Damit die geplante flexible Quote rechtssicher angewandt werden kann, muss der jeweilige Migrantenanteil jedoch feststehen.
Eine anderes Detailproblem besteht darin, die organisatorische Einheit im öffentlichen Dienst festzulegen, auf die sich die Quote jeweils beziehen soll. So haben nach Medienberichten Migranten gegenwärtig einen Anteil von 38 Prozent in der Berliner Polizei. Die Quote wäre in der Berliner Polizei also gegenwärtig nicht anzuwenden, wenn nur die Polizei der Bezugspunkt wäre. Diente hingegen der gesamte öffentliche Dienst als Referenzgröße, so müssten weiterhin Migranten bevorzugt auch bei der Polizei eingestellt werden. Diese Lösungsvariante könnte also dazu führen, dass Migranten in unterschiedlichen Bereichen des öffentlichen Dienstes sehr unterschiedlich stark vertreten sind.
Derartige technische Probleme sind nicht zu unterschätzen: Macht der Gesetzgeber Fehler in diesem Bereich, kann das die Migrantenquote praktisch unanwendbar machen.
Es gibt keinen grundgesetzlichen Auftrag zur Gleichstellung von Migranten
Vor allem aber wird die Migrantenquote wohl vor eine verfassungsrechtliche Wand laufen. Eine Quotenregelung für Berlin fiele nämlich unter Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Diese Vorschrift garantiert jedem Deutschen "nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte" und gilt für den Bereich des Bundes wie auch für den der Länder und ihrer Kommunen. Der Begriff des öffentlichen Amtes ist weit zu verstehen und erfasst die Beamten, Richter und Soldaten ebenso wie die angestellten Arbeitnehmer der öffentlichen Hand. Art. 33 Abs. 2 GG zielt darauf, ausschließlich die persönliche Qualifikation der Bewerber ausschlaggebend dafür zu machen, wer eingestellt oder befördert wird.
In diese sogenannte Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG darf der Gesetzgeber nur eingreifen, falls das im Grundgesetz angelegt ist wie in Art. 36 Abs. 1 S. 1 GG. Dort wird angeordnet, dass das Personal der obersten Bundesbehörden "in angemessenem Verhältnis" aus den verschiedenen Ländern zu rekrutieren ist. Die Migrationsgeschichte von Bewerbern hingegen stellt keine Rechtfertigung dar, in die Bestenauslese einzugreifen.
Allerdings gibt es Fälle gleicher Qualifikation, in denen auch eine gründliche und genaue Bewertung der Bewerber nach den Kriterien von Art. 33 Abs. 2 GG zu keiner Entscheidung führt. Dann dürfen Hilfskriterien herangezogen werden, um eine Auswahl zu treffen. Anerkannt sind etwa das Dienst-, unter Umständen auch das Lebensalter. In diesem Bereich sind auch die sogenannten Frauenquoten angesiedelt, die bei gleicher Qualifikation der Bewerber eingreifen und dann Frauen den Vorzug bei der Einstellung oder Beförderung geben.
Solche Hilfskriterien, die bei einem Unentschieden in der Bestenauslese zum Zuge kommen, müssen aber entweder einen direkten sachlichen Bezug zum Amt haben, wie etwa das Dienstalter, oder im Grundgesetz angelegt sein, wie Geschlechterquoten, die sich auf das Gebot der faktischen Gleichstellung von Männern und Frauen aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG stützen können.
An diesem Punkt stieße eine Migrantenquote auf erhebliche verfassungsrechtliche Hindernisse.Denn anders als für die Gleichstellung von Männern und Frauen gibt es keinen Auftrag zur Gleichstellung von Migranten und Nicht-Migranten. Vielmehr verbietet Art. 3 Abs. 3 S.1 GG es sogar, jemanden wegen seiner Abstammung oder Herkunft zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Nur mit einem interpretatorischen salto mortale ließe sich dieses Verbot, rechtliche Unterschiede an eines der sogenannten verpönten Merkmale zu knüpfen, in ein Gebot zur faktischen Gleichstellung von Migranten umdeuten (vgl. BVerfG zum verpönten Merkmal "Sprache" v. 17.05.1983, Az. 2 BvR 731/80).
Gegen eine solche neuartige Auslegung spricht systematisch vor allem die Sonderstellung der faktischen Gleichstellung von Männern und Frauen, für die das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG einen ausdrücklichen Auftrag erteilt, während dies für eine Gleichstellung von Migranten gerade nicht gilt.
Es gibt Gruppen, die bedürfen keiner Quote
Aber selbst dann, wenn man diese Schwierigkeiten beiseite lässt, müssen sich die Urheber des Berliner Quotenentwurfs fragen lassen, ob sie den Begriff des Migranten nicht zu weit fassen wollen. Denn es gibt nennenswerte Gruppen, die keiner Quote bedürfen. So leuchtet es nicht ein - um plakative Beispiele zu bringen -, dass etwa die Abkömmlinge eines schwedischen Arztes oder einer kanadischen Professorin durch eine Quote besonders gefördert werden müssten, falls sie in den öffentlichen Dienst des Landes Berlin streben.
Zwar darf der Gesetzgeber grundsätzlich typisieren und muss bei einer Quotenregelung nicht alle möglichen Konstellationen trennscharf erfassen. Aber das Gesetz darf auch nicht allzu ungenau sein. Bei Quoten gilt "des einen Freud', des anderen Leid". Eine Migrantenquote mindert die Chancen der Nicht-Migranten, die ihre Rechte aus Artt. 3 und 33 Abs. 2 GG auch mit der Verfassungsbeschwerde verteidigen können. Einer Quote muss daher, um vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen zu können, ein hinreichend genauer und sachgerechter gesetzlicher Begriff des Migranten zugrundeliegen.
Ohne eine Ergänzung des Grundgesetzes um das Gebot, die faktische Gleichstellung von Migranten zu fördern, kann eine Quote, wie sie die Senatorin für Arbeit, Integration und Soziales für Berlin ins Auge fasst, wohl nicht eingeführt werden. Mit einem solchen Zusatz wäre es vor dem Hintergrund von Art. 33 Abs. 2 GG zumindest verfassungsrechtlich gerechtfertigt, den migrantischen Hintergrund von Bewerbern als Hilfskriterium bei der Vergabe öffentlicher Ämter zu berücksichtigen. Der Berliner Gesetzgeber wiederum hätte dann einen grundgesetzlichen Migrantenbegriff, an den er für seine Quotenregelung anknüpfen könnte.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner arbeitet als Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR Rechtsanwälte in Köln. Einer seiner Schwerpunkte ist das Staats- und Verfassungsrecht.
Öffentlicher Dienst in Berlin: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44110 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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