Nach der zweiten Vergabe der Presseplätze haben FAZ, Welt und FR keinen sicheren Zugang zum NSU-Prozess. Gleich mehrere Medien prüfen nun die Rechtsaussichten einer Klage auf Übertragung der Verhandlung in einen Nebenraum. Gestritten wird darüber seit Wochen, für einklagbar hält sie kaum jemand, für möglich einige. Für Heiner Alwart ist sie unzulässig. Und so sollte es auch bleiben. Ein Kommentar.
Am kommenden Montag, den 6. Mai 2013 beginnt die öffentliche Hauptverhandlung gegen "Beate Z. u.a." wegen "Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung u.a." vor dem Oberlandesgericht (OLG) München – so ist jedenfalls zu hoffen. Immerhin will ein freier Journalist Verfassungsbeschwerde erheben, auch mehrere überregionale Medien, die keine Presseplätze erhalten haben, erwägen die Einleitung rechtlicher Schritte. Eine weitere Verschiebung wäre dann wahrscheinlich.
Das Gericht hat bei diesem spektakulären Verfahren naturgemäß nicht genügend Platz für alle, die gerne dabei sein würden. Es bemüht sich daher um eine willkürfreie, sachgerechte Vergabe der zur Verfügung stehenden Plätze, damit der wichtige Grundsatz der Öffentlichkeit unangetastet bleibt und die Hauptverhandlung nicht von vornherein unter dem bedrückenden Vorzeichen von Anfechtbarkeit und Vorläufigkeit steht.
Bekanntlich hatte sich der zuständige Richter bei der Akkreditierung zunächst für das Prioritätsprinzip entschieden. Dieses auch Windhundprinzip genannte Verfahren zogen die Medien teilweise geradezu ins Lächerliche. Nach dem erfolgreichen Eilantrag der türkischen Zeitung Sabah beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das OLG München in einem zweiten Anlauf die Plätze verlost. Nun suggerierten einige Presseorgane, die Durchführung einer „Lotterie“ sei der Justiz doch eigentlich unwürdig.
Acht Plätze für "werktäglich erscheinende Printmedien"
Das Losverfahren sah – ohne Differenzierung nach regionaler Reichweite oder intellektuellem Niveau der Zeitungen – lediglich acht Plätze für "ein werktäglich erscheinendes Printmedium" vor. Schon die ersten Reaktionen darauf zeigten, dass in Anbetracht des recht schmalen Presse-Kontingents die Diskussionen über eine zeitgleiche Videoübertragung in einen weiteren Raum nicht zur Ruhe kommen werden. Die im zweiten Anlauf nicht zum Zuge gekommene taz kündigte sofort an, zu prüfen, ob man gegen die Platzvergabe klage, um eine Videoübertragung in einen Nebenraum zu erwirken, wie die Medienvertreter schon seit Wochen fordern.
Ginge das nach geltendem Recht? Falls nicht, wäre eine solche Lösung nicht zumindest für die Zukunft wünschenswert? Der anstehende sogenannte NSU-Prozess wird sehr lange dauern, so dass der Gesetzgeber die notwendigen Voraussetzungen sogar noch mehr oder weniger rechtzeitig schaffen könnte.
In dem Verfahren gegen "Beate Z. u.a." sind gemäß richterlicher Verfügung "Ton-, Film- und Bildaufnahmen [...] vor und im Sitzungssaal im Rahmen einer Pool-Lösung bis zum Beginn der Sitzung gestattet." Das entspricht der Linie des BVerfG, wonach solche Aufnahmen vor Beginn der eigentlichen Sitzung geeignet sind, ein legitimes Informationsinteresse der Bürger zu befriedigen: "Derartige Bilder, gegebenenfalls auch die sie begleitende Geräuschkulisse, sind seit langem zum typischen Inhalt der Gerichtsberichterstattung im Fernsehen geworden und prägen mittlerweile entsprechende Erwartungen der Fernsehzuschauer", urteilten die Karlsruher Richter schon im Jahr 2007 (Beschl. v. 19.12.2007, Az. 1 BvR 620/07).
Der erste Schritt zum Gerichtsfernsehen nach amerikanischem Muster
Wenn aber am Montag die eigentliche Verhandlung beginnt, dann stehen die Kameraleute vor den geschlossenen Türen des Sitzungssaales. Müssten sie nun mit ansehen, wie die Kollegen der schreibenden Zunft in einem Nachbarraum verschwänden, um das weitere Geschehen dort am Bildschirm zu verfolgen und auf dieser Basis ihre Reportagen zu schreiben? Ihnen würde sich zwangsläufig die Frage aufdrängen, warum nicht sie auf ihre Art von der Hauptverhandlung berichten, nämlich die Bilder in jedes Wohnzimmer übertragen dürfen.
Das macht doch den Kern ihrer journalistischen Tätigkeit aus. Sie brauchen die Bilder, um übliche Fernsehformate bedienen und den Erwartungen des Publikums entsprechen zu können. Dann könnten sich alle Bürger selbst ein „Bild“ machen und nicht nur einige wenige Journalisten. Ihre Frage, warum man ihnen einen solchen Wettbewerbsnachteil gegenüber den Kollegen von den Printmedien zumutet, wäre ebenso naheliegend wie nachvollziehbar.
Damit wäre die Videoübertragung einer Hauptverhandlung in einen zusätzlichen Raum de facto der erste Schritt in die Abschaffung des gegenwärtigen gesetzlichen Verbots eines Gerichtsfernsehens nach amerikanischem Muster. Dem satirischen TV-Voyeurismus mit dem exponentiellen Multiplikationsfaktor des Internets würde das ungeahnte neue Möglichkeiten eröffnen.
Höchste Richter würden zunehmend Gefahr laufen, zu Kultfiguren in Scherzsendungen zu werden. Am Bundesverfassungsgericht, wo man sich dem Fernsehen seit längerem weit geöffnet hat, kann man davon schon heute ein Lied singen. Es ist gewiss manchmal viel leichter, über Richter und Gerichte wie auch über Politiker und Politik zu lachen, als den Versuch zu unternehmen, das moderne Recht und die gegenwärtigen Lebensverhältnisse ernsthaft zu verstehen.
Videoübertragung beim NSU-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8642 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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