Fast jedes dritte Kind wird außerhalb einer Ehe geboren. Das Sorgerecht für ihr Kind erhalten nichteheliche Väter gegen den Willen der Mutter aber nur in Ausnahmefällen. Nach Urteilen aus Karlsruhe und Straßburg haben die Koalitionsfraktionen ihre Reformpläne vorgestellt: Schnell und unkompliziert sollen nichteheliche Väter das Sorgerecht bekommen. Nicht ganz zuende gedacht, meint Herbert Grziwotz.
Der Gesetzgeber muss nachbessern, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und im Anschluss auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Vormachtstellung der Mutter in Bezug auf das Sorgerecht für nicht mit den Rechten nichtehelicher Väter vereinbar erklärt hatten. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) votierte für ein alleiniges Sorgerecht der Mutter, eine Option des Vaters für ein gemeinsames Sorgerecht und eine Widerspruchsmöglichkeit der Mutter. Dagegen regte sich in der Union erheblicher Widerstand.
Im Koalitionsausschuss am Sonntag haben die Fraktionen sich auf ein gemeinsames Sorgerecht für nicht verheiratete Eltern geeinigt. Auf der Verfahrensseite sieht das Papier ein erleichtertes familiengerichtliches Antragsverfahren vor.
Der Vater kann sich nach Abgabe einer Sorgeerklärung zunächst an das Jugendamt wenden. Er kann aber auch direkt das Familiengericht anrufen, wenn die Mutter mit einer gemeinsamen Sorge nicht einverstanden ist. Diese muss sich im gerichtlichen Verfahren innerhalb einer Frist von sechs Wochen zum Antrag des Vaters äußern. Unterlässt sie das ganz oder bringt sie keine potentiell kindeswohlrelevanten Gründe gegen das gemeinsame Sorgerecht vor, entscheidet das Familiengericht in einem beschleunigten schriftlichen Verfahren, ohne das Jugendamt oder die Eltern anzuhören.
Es spricht dem Vater das Sorgerecht zu, wenn seine Mitsorge dem Kindeswohl nicht widerspricht. Die Situation entspricht der beim Tod eines Elternteils, wenn das Familiengericht die Alleinsorge im Rahmen einer Trennungssituation einem Elternteil zugewiesen hat. Dem Vater würde die elterliche Mitsorge also nur dann verweigert, wenn nicht zu erwarten ist, dass er die Belange des Kindes ernsthaft wahrnehmen würde.
Vom Bastard zum Standard
In Deutschland gibt es immer mehr Kinder, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind. Grund ist die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts gestiegene Zahl der Scheidungen. Zudem werden Kinder immer häufiger auch in nichtehelichen Lebensgemeinschaften geboren. Schließlich hat auch die Zahl der Regenbogenfamilien, das heißt von gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern, zugenommen. Ehescheidungen und außereheliche Zeugung werden anders als noch vor einigen Jahrzehnten nicht mehr als "Makel" angesehen. Auch gleichgeschlechtliche Beziehungen mit Kindern werden in zunehmendem Maße toleriert.
Die früheren traditionellen Unterscheidungen zwischen Kindern miteinander verheirateter, geschiedener oder nie miteinander verheirateter Eltern spielen gesellschaftlich nahezu keine Rolle mehr. Eheliche Kinder, Scheidungskinder und außereheliche Kinder existieren – aus Sicht der Kinder Gott sei Dank - nicht mehr.
Dafür gibt es immer mehr Patchworkfamilien. Rechtliche und faktische Vater- und Mutterrollen verdoppeln oder vervielfachen sich. Jedenfalls in Bezug auf die Kinder gibt es wegen der diversen Sorgerechte längst "bigamische Verhältnisse". So kann ein Mann neben seiner Ehe das gemeinsame Sorgerecht mit der Exfrau und zusätzlich eventuell auch der Exfreundin oder sogar der Geliebten haben.
Grundrechte: Nichteheliche Kinder sind ehelichen gleichzustellen
Der Gesetzgeber muss den unehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Gleichstellung in der Gesellschaft schaffen wie den ehelichen. Dieser Gleichstellungsauftrag des Artikel 6 Abs. 5 Grundgesetz (GG) verbietet die Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern. Die verfassungsrechtliche Forderung an den Gesetzgeber, gleiche Rahmenbedingungen für Kinder unabhängig davon zu schaffen, ob sie innerhalb oder außerhalb einer Ehe geboren werden, ist verglichen mit dem Zivilrecht nahezu revolutionär. Kein Wunder, dass es Jahre brauchte, bis sie überhaupt zur Kenntnis genommen wurde.
Das Bürgerliche Gesetzguch (BGB) in seiner ursprünglichen Fassung trennte Vater und Kind noch durch ein rechtliche Fiktion: "Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt" (§ 1589 Abs. 2 BGB a.F.). Der Vater war nur zur Zahlung von Unterhalt für das Kind verpflichtet.
Der uneheliche Vater war nach dem BGB ein reiner Zahlvater. Er hatte nur monatlich brav die Alimente zu überweisen. Ein Umgangs- oder gar Sorgerecht für sein Kind stand ihm nicht zu. Auch die nichteheliche Mutter hielt das Zivilrecht bis zum 1. Juli 1970 für unfähig, die volle elterliche Sorge auszuüben. Die gesetzliche Vertretung und die Vermögenssorge für das Kind wurden einem Vormund übertragen.
Die neuen ledigen Mütter und das Zivilrecht
Das gesellschaftliche Bild von der unverheirateten Mutter als unerfahrenes und hilfloses junges Wesen hat sich zwischenzeitlich jedoch entscheidend gewandelt. Auch ledige Frauen entscheiden sich häufig bewusst für die Mutterschaft, die angesichts der Verhütungsmöglichkeiten immer weniger "passiert". Aber auch das Vaterbild ist verändert. Der nicht mit der Mutter verheiratete biologische Vater ist zunehmend an seiner Vaterschaft interessiert, erkennt diese freiwillig an und übernimmt auch tatsächlich ganz oder zeitweise die Betreuung des Kindes.
Aus diesen Gründen hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts bereits zum 1. Juli 1998 die Unterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern abgeschafft. Begrifflich gibt es seitdem im BGB keine nichtehelichen Kinder mehr. Sie sind vielmehr "Kinder, deren Eltern zur Zeit ihrer Geburt nicht miteinander verheiratet sind".
Dennoch knüpft das Gesetz an die Frage, ob Eltern miteinander verheiratet sind oder nicht, weiterhin Unterscheidungen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Kinder miteinander verheirateter Eltern regelmäßig in eine stabile elterliche Paarbeziehung hineingeboren werden.
Das alleinige Sorgerecht als Konsequenz der Emanzipation
Das Verhältnis nicht miteinander verheirateter Eltern zueinander kann demgegenüber höchst unterschiedliche Ausprägungen haben. Das Spektrum reicht dabei von eheähnlichen Verhältnissen über die künstliche Befruchtung bis zum One-Night-Stand. Bei den letztgenannten Formen der Vaterschaft kennt die Mutter den Kindesvater häufig gar nicht. Deshalb sollte nach der Reform von 1998 allein die Mutter sorgeberechtigt sein, wenn sie mit dem Vater des Kind nicht verheiratet ist (§ 1626a Abs. 2 BGB). Die gemeinsame elterliche Sorge konnte der Vater im Regelfall nur mit Zustimmung der Mutter erlangen, der dagegen quasi ein Vetorecht zustand.
Solche Sorgeerklärungen waren erst nach der Zeugung, also nicht für alle gemeinsamen Kinder möglich. Nicht wenige Familienrichter warnten die nichteheliche Mutter davor, sie abzugeben. So schreibt beispielsweise der angesehene Regensburger Familienrechtler Dieter Schwab: "Die nichteheliche Mutter, die sich auf das gemeinsame Sorgerecht einlässt, geht ein nicht geringes Risiko ein. Beim Elternstreit hat sie die bei weitem schlechteren Karten, als wenn sie bei der Alleinsorge bliebe. Der Elternstreit kann sogar darin enden, dass bei Trennung dem Vater das Sorgerecht eingeräumt wird (§ 1671 BGB) und die Mutter dann nicht nur den Barunterhalt für das Kind, sondern auch dem Kindesvater den Betreuungsunterhalt schuldet (§ 1615 Abs. 5 BGB)".
Das Bundesverfassungsgericht hielt diese Vormachtstellung der nichtehelichen Mutter in Bezug auf das Sorgerecht zunächst für verfassungsgemäß (Urt. v. 29.01.2003, Az. 1 BvL 20/99 u.a.). Erst nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Beschwerdesache Zaunegger gegen Deutschland (Urt. v. 3.12.2009, Az. 22028/04) diese Rechtslage für nicht mit dem Vaterrecht vereinbar erklärte, hat Karlsruhe sich im Jahr 2010 angeschlossen (Beschl. v. 21.07.2010, AZ. 1 BvR 420/09).
Verpasste Chancen
Der Koalitionskompromiss, der diese Rechtsprechung umsetzen soll, regelt nur das Sorgerecht nichtehelicher Väter. Das gesellschaftliche Spektrum familiärer Verhältnisse ist jedoch zwischenzeitlich längst breiter. Neben der nichtehelichen Vaterschaft gibt es inzwischen zahlreiche Fälle einer sozialen Elternschaft. In ganz unterschiedlichen Konstellationen übernehmen Erwachsene Verantwortung für ein Kind, auch ohne "Mitwirkung an seiner Entstehung".
Diese erkennt der Gesetzgeber nur hinsichtlich des kleinen Sorgerechts bei Stiefeltern an. Der Partner aber, der mit der Mutter mit und ihrem Nachwuchs in häuslicher Gemeinschaft lebt, Verantwortung für das Kind übernimmt, es betreut und auch für dessen Alltagsbedarf aufkommt, findet auch weiterhin im Gesetz keine Berücksichtigung.
Die Neuregelung lässt auch offen, welche Rechte Großeltern oder andere Verwandte haben, die elterliche Funktionen übernehmen. Umgekehrt regelt jedenfalls das vorläufige Papier des Koalitionsausschusses auch nicht, wie das Verhältnis von Sorgeerklärung und sozialer Elternverantwortung ist. Kann die Zufallsbekanntschaft später noch seine Vatergefühle entwickeln, auch wenn ein anderer Mann zunächst die Betreuung des Kindes übernommen hat? Und wie soll das Familiengericht im schriftlichen Verfahren, also nur nach der Aktenlage entscheiden, ob die Mitsorge dem Kindeswohl dient?
Im Interesse des Kindes könnte der Gesetzgeber insoweit zumindest einvernehmliche Regelungen zwischen den biologischen und den sozialen Eltern ermöglichen. So könnte er dem Partner der Mutter mit Zustimmung des leiblichen Vaters relativ unproblematisch ein kleines Sorgerecht auch ohne Trauschein einräumen. Der faktische Vater, der das Kind im Alltag ständig begleitet, könnte auf diese Weise seine Rolle auch rechtlich absichern und in Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes mitentscheiden.
Der Gesetzgeber kann kein neues Familienverständnis formen. Er sollte aber umgekehrt auch nicht bereits bestehende neue gesellschaftliche Familienstrukturen ignorieren. Im Vordergrund sämtlicher Reformen muss jedoch stets das Kindeswohl stehen und nicht die Selbstverwirklichung der Eltern. Sie haben nämlich die Pflicht und das Recht, für minderjährige Kinder zu sorgen. Es geht auch in der Reform nicht in erster Linie um Rechte, sondern um Pflichten im Interesse des Kindes.
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel und Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen u.a. zum Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft.
Herbert Grziwotz, Neues Sorgerecht für nichteheliche Väter: . In: Legal Tribune Online, 06.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5710 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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