In Angela Merkels Augen bringt der am Montag beschlossene Fiskalpakt die EU ein "kleines Stück, aber ein feines Stück" weiter. Zwar sind die akut bedrohten Schuldenstaaten nicht gerettet. Der Pakt will aber in Zukunft für mehr Haushaltsdisziplin sorgen und die Schuldenkrise überwinden. Ob das Abkommen hält, was Angela Merkel verspricht, weiß Ralph Alexander Lorz.
Zumindest in zeitlicher Hinsicht war es sicherlich eine Meisterleistung: Erst im Dezember hatten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union im Grundsatz darauf verständigt, einen zusätzlichen völkerrechtlichen Vertrag zu schließen, um die Haushaltsdisziplin in den Mitgliedstaaten zu verbessern. Nun ist der Fiskalpakt schon weitestgehend ausgearbeitet und beschlossen. Selten ist eine zwischenstaatliche Vereinbarung in der Union mit solcher Geschwindigkeit vorangetrieben worden.
Der Zeitdruck kam freilich von außen. Griechenland braucht spätestens im März frisches Geld und der Druck auf die Bundesregierung wächst, einer Ausweitung des allgemeinen Euro-"Rettungsschirms" zuzustimmen. Damit muss auch der Fiskalpakt bis dahin unterschriftsreif sein. Nur so lässt sich der Kritik begegnen, die Hilfsgelder zur Rettung des Euro fielen in ein Fass ohne Boden.
Kaum ist die Tinte der Unterschriften unter dem Abkommen getrocknet, wird dieses aber schon wieder als unzureichend kritisiert. So befürchtet Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) einen "weichgespülten" Pakt, da es automatische Sanktionen und ein Klagerecht der Kommission nicht geben wird.
Der Pakt verpflichtet die Mitgliedstaaten in zweierlei Hinsicht zu mehr Haushaltsdisziplin. Zum einen erhöht er die substantiellen Anforderungen an eine solide Haushaltspolitik. Zum anderen versucht er, die bislang als unzureichend empfundenen Sanktionsmechanismen stärker zu automatisieren.
Schuldenbremsen für alle
Die wesentliche Neuerung des Paktes besteht dabei darin, dass sich die Vertragsstaaten dazu verpflichten, nationale "Schuldenbremsen" nach deutschem Vorbild einzuführen. Zwar wird ihnen die Aufnahme entsprechender Bestimmungen in die Verfassung nicht ausdrücklich vorgeschrieben, sondern nur als bevorzugte Möglichkeit genannt. Der Pakt stellt aber klar, dass die Schuldenbremsen rechtlich bindenden Charakter haben müssen und im Haushaltsverfahren nicht zur einfachen Disposition der parlamentarischen Mehrheit stehen dürfen.
Außerdem wird die Toleranzschwelle für das jährliche Budgetdefizit auf 0,5 Prozent des jeweiligen Bruttosozialprodukts abgesenkt. Für Staaten, deren Gesamtverschuldung über 60 Prozent des Bruttosozialprodukts liegt – also praktisch für alle Unterzeichnerstaaten des neuen Paktes – gilt außerdem, dass sie ihre Verschuldung um 1/20 dieser Abweichung pro Jahr reduzieren sollen.
Würde dies wortgetreu umgesetzt, wäre die Euro-Schuldenkrise wohl schon bald Geschichte und die Staatshaushalte saniert. Entscheidend ist aber, was passiert, wenn ein Staat sich nicht an die strengen Vorgaben hält.
Die Europäische Kommission wäre die naheliegendste Institution, um die Einhaltung des Paktes zu überwachen. Sie wird deshalb auch mit der Aufgabe betraut, eventuelle Verletzungen der Bestimmungen festzustellen. Allerdings erhält sie kein entsprechendes Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Es bleibt also den Mitgliedstaaten überlassen, das Verfahren vor dem EuGH anzustrengen, das Voraussetzung ist, damit Strafzahlungen verhängt werden können.
Öffentlicher Druck gegen diplomatische Rücksichtnahme
In der Vergangenheit waren die Mitgliedstaaten viel zu zögerlich dabei, Sanktionsverfahren gegen Defizitländer einzuleiten. Deshalb scheint der Pakt auf den ersten Blick eine Schwachstelle aufzuweisen, wenn die Kommission nicht selbst klagen kann. Allerdings findet das Abkommen originelle Lösungen, um diesen Bedenken zu begegnen.
Noch bis März soll ein Verfahren vereinbart werden, das in solchen Fällen eine quasi automatische Klageerhebung auslöst. Stellt die Kommission eine Paktverletzung fest, könnte zum Beispiel der jeweilige Ratsvorsitz verpflichtet werden, die Konsequenzen zu ziehen.
Auch der an diese Feststellung anknüpfende öffentliche Druck ist ein wirksames Mittel , um die Sparziele durchzusetzen. Die politischen Zwänge innerhalb der anderen Staaten müssen aufgrund dieses Drucks so stark werden, dass sie den natürlichen Reflex der diplomatischen Rücksichtnahme überwinden und gegen Defizitsünder vorgehen. Die Chancen dafür stehen unter dem Eindruck der Schuldenkrise gar nicht schlecht.
Noch kreativer wird der Pakt, wenn es darum geht, mit den Anforderungen der EU-Verträge an Defizitverfahren fertigzuwerden. Nach bisherigem EU-Recht ist eine qualifizierte Mehr-heit der Mitgliedstaaten nötig, um ein solches Verfahren bei einer Verletzung der "Maastricht-Kriterien" in Gang zu setzen. Der Fiskalpakt soll den Prozess nun so automatisieren, dass er zukünftig nur noch mit einer qualifizierten Mehrheit soll gestoppt werden können.
Das neue Abkommen kann aber die existierenden Verträge nicht ändern. Daher hat man sich einfach wechselseitig dazu verpflichtet, alle Vorschläge und Empfehlungen der Kommission zu unterstützen, die diese im Fall eines übermäßigen Haushaltsdefizits in einem Euro-Mitgliedstaat vorlegt. Diese Verpflichtung soll nur dann nicht greifen, wenn sich eine qualifi-zierte Mehrheit dagegen ausspricht. . Dabei handelt es sich um das innovative Konstrukt, die Mitgliedstaaten rechtlich zu verpflichten, eine eigentlich bestehende Befugnis politisch nicht auszunutzen.
Kein großer Wurf, aber ein wichtiger Schritt
Diese Konstruktion ist juristisch heikel und gerichtlich sicherlich nicht durchsetzbar. Damit hängt dieser Punkt letztlich weiterhin vom guten Willen der Beteiligten ab. Aber auch hier könnte der öffentliche Druck dafür sorgen, dass dieser gute Wille in Zukunft eher vorhanden ist als bisher.
Die Bedenken von Norbert Lammert wird der Fiskalpakt in seiner vorliegenden Form allerdings nicht beseitigen können. Juristisch wasserdicht und innerhalb der bestehenden Verträge ließ er sich nämlich nicht schließen. Zwar hat das Abkommen das erklärte Ziel, binnen fünf Jahren in Unionsrecht überführt zu werden. Solange das jedoch nicht geschehen ist und der Pakt nicht von allen Mitgliedern der Union getragen wird, müssen seine Regelungen Stückwerk bleiben.
Die Vereinbarung erhöht aber die Sichtbarkeit der selbst gewählten haushaltspolitischen Begrenzungen und setzt zukünftige Defizitsünder einem gesteigerten Rechtfertigungsdruck aus. Mit etwas Glück und vor allem einem nach der Krise hoffentlich auf Dauer verstärkten Engagement der Öffentlichkeit könnte das reichen.
Im Ergebnis muss man daher der Bewertung der Bundeskanzlerin auf ihrer Pressekonferenz zustimmen: Der Fiskalpakt ist ein kleines Stück auf dem Weg der Euro-Staaten zurück zu mehr Vertrauen in ihre Haushaltsdisziplin. Ob er auch ein feines Stück ist, wie sie meinte, wird die Zukunft noch zeigen. Mehr war derzeit aber wohl nicht drin.
Univ.-Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz, Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Ausländisches Öffentli-ches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
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Ralph Alexander Lorz, Neuer Fiskalpakt: . In: Legal Tribune Online, 06.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5497 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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