Anfang Dezember vereinbarten 26 europäische Staats- und Regierungschefs einen Fiskalpakt, der die Wende in der Eurokrise bringen soll. Durch einen Vertrag außerhalb des Unionsrechts soll die Haushaltsdisziplin verbessert werden. Warum der eingeschlagene Weg juristisch bedenklich ist und eine Lösung auf Basis der bestehenden Verträge besser gewesen wäre, verrät Nick Roguski.
Der 9. Dezember 2011 ist vielfach zum Schicksalstag des Euro ausgerufen worden. Anfang des Monats verkündete etwa der finnische EU-Kommissar Olli Rehn, die EU-Mitgliedsstaaten hätten nur noch zehn Tage, um den Euro zu retten. Der Druck auf die Staats- und Regierungschefs, mit weitreichenden Maßnahmen endlich die Finanzmärkte nachhaltig zu beruhigen, war enorm. Diesen Erwartungen entsprechend wurde hart verhandelt.
Insbesondere Deutschland verfolgte das Ziel, neue verbindliche Regeln für die Haushaltsdisziplin und die engere Koordination der Wirtschaftspolitik in den EU-Verträgen festzuschreiben. Das Vorhaben scheiterte jedoch am Widerstand der Briten und so einigte man sich auf eine Reihe von Maßnahmen, die in einem Vertrag außerhalb des bestehenden Regelwerks festgeschrieben werden sollen.
Doch der Weg über einen gesonderten völkerrechtlichen Vertrag ist juristisch riskant, birgt er doch die Gefahr, mit den neuen Regeln gegen bestehendes Europarecht zu verstoßen. Daher ist der erste Entwurf des neuen Fiskalpaktes mit Spannung erwartet worden.
Ausgeglichener Haushalt und automatische Sanktionen
Der Fiskalpaktentwurf setzt die Beschlüsse des Gipfels vom 9. Dezember 2011 um. Seine zentrale Vorschrift des Art. 3 verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer ausgeglichenen Haushaltspolitik. In Abweichung von den Maastricht-Kriterien soll das zulässige strukturelle Haushaltsdefizit nun nicht mehr 3 Prozent, sondern maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) betragen. Diese Höchstgrenze wollen die Staatschefs in das Recht jedes Mitgliedstaates auf verfassungsrechtlicher oder äquivalenter Ebene integrieren. Außerdem sollen Staaten einander vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen können, wenn einer von ihnen seiner Verpflichtung aus dem Fiskalpakt nicht nachkommt.
Der Pakt verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten, wenn sie über Sanktionen im Rahmen des Defizitverfahrens abstimmen. In diesem Verfahren kann der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit Sanktionen gegen "Defizitsünder" beschließen und im äußersten Fall eine Geldbuße verhängen. Die Mehrheitserfordernisse dreht der Fiskalpakt dabei um: In Art. 7 des Entwurfs verpflichten sich die Vertragsstaaten, stets für Sanktionen zu stimmen, es sei denn, eine qualifizierte Mehrheit der Mitglieder entscheidet sich dagegen.
Neben diesen zentralen Neuerungen regelt der Fiskalpaktentwurf auch Berichterstattungspflichten bei Anleiheemissionen, die Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und die Verpflichtung zum Abbau von Schulden, die 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) überschreiten.
Fiskalpakt verschärft nur schon bestehende Regelungen
Vergleicht man den Entwurf mit den bestehenden europarechtlichen Vorschriften, stellt sich allerdings die Frage nach dem Mehrwert des Vertrages. Viele der im Fiskalpakt vorgesehenen Regelungen bestehen nämlich bereits in ähnlicher Form im europäischen Sekundärrecht, also in Verordnungen und Richtlinien.
Die Verpflichtung zu einer ausgeglichenen Haushaltspolitik wurde bereits mit einer früheren Verordnung am 16. November 2011 (VO 1175/2011) eingeführt. Diese legt etwa fest, dass sich jeder Mitgliedstaat ein differenziertes, mittelfristiges Haushaltsziel setzt, welches zwischen 1 Prozent des BIP und einem ausgeglichenen oder positiven Haushalt liegt. Auch die Auflage, eine Schuldenbremse im nationalen Recht zu verankern, existiert schon in ähnlicher Form. Eine Richtlinie vom 8. November (RL 2011/85) besagt, dass jeder Mitgliedstaat über numerische Haushaltsregeln verfügen soll, die wirksam dazu beitragen, die Haushaltsziele zu erreichen.
Der Fiskalpaktentwurf geht daher nur insoweit weiter, als er die Einführung solcher Regeln in die Verfassungen der Mitgliedstaaten fordert. Letztlich ist aber auch das bereits vorgesehen: Ein Kommissionsentwurf zur Haushaltsüberwachung (COM (2011) 821) sieht vor, dass die oben genannten Haushaltsregeln in bindender und "vorzugsweise" verfassungsrechtlicher Form in nationales Recht eingeführt werden.
Ähnliches gilt für den Mechanismus der "automatischen Sanktionen". Bereits jetzt bestimmt eine Verordnung (VO 1173/2011), dass einige Maßnahmen gegen Defizitsünder in Kraft treten, wenn der Rat eine entsprechende Empfehlung der Kommission nicht innerhalb von 20 Tagen mit einer qualifizierten Mehrheit seiner Stimmen ablehnt.
Die Mitgliedstaaten greifen in EU-Befugnisse ein
Der sich aufdrängenden Frage, inwieweit der Fiskalpakt vor diesem Hintergrund mit den diese Punkte bereits regelnden europäischen Verträgen und dem Sekundärrecht vereinbar ist, begegnet der Entwurf dadurch, dass die Bestimmungen nur insoweit gelten sollen, als sie nicht gegen Europarecht verstoßen. Er stellt auch klar, dass nicht in die Zuständigkeit der EU eingegriffen werden soll.
Die Zweifel an der Europarechtskonformität beseitigt das nicht. Bereits bei anderer Gelegenheit hat der EuGH festgestellt, dass solche Trennungsklauseln nicht darüber hinweghelfen können, dass die Mitgliedstaaten im Bereich der EU-Zuständigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge gar nicht befugt sind (EuGH, Gutachten 1/2003 zum Lugano-Abkommen).
Entscheidend ist daher, ob der Fiskalpakt eine Materie regelt, die in den Zuständigkeitsbereich der Union fällt. Dafür sprechen einige gewichtige Argumente. So ist das Defizitverfahren im Art. 126 AEUV samt Mehrheitserfordernissen bei Ratsbeschlüssen abschließend geregelt und fällt somit in die Zuständigkeit der Union. Die Verfahrensregeln sind bindend und können nur durch eine Änderung der EU-Verträge selbst, nicht aber durch eigenständige Verträge modifiziert werden.
Zudem ist die Rechtsprechung des EuGH so zu verstehen, dass den Mitgliedstaaten schon die Kompetenz zum Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages fehlt, der EU-Zuständigkeiten tangiert. Diese Fragen nach der mitgliedstaatlichen Befugnis stellen sich ebenfalls bei den Haushaltsregeln, die in ähnlicher Form bereits in anderen Verordnungen existieren.
Es bleibt der Eindruck, dass die meisten Fragen bereits sekundärrechtlich normiert wurden und eine parallele – auch verschärfte – Regelung im Fiskalpakt somit europarechtswidrig ist. Anders als bei den sekundärrechtlichen Bestimmungen, deren Einhaltung im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens durchgesetzt werden kann, gibt es zudem keinen Durchsetzungsmechanismus für die Regelungen des Fiskalpaktes. Lediglich die Pflicht zur Einführung einer Schuldenbremse in nationale Verfassungen soll durch den EuGH überprüfbar sein.
In Anbetracht der Wiederholung vieler im Europarecht bereits bestehender Regelungen im neuen Fiskalpakt und der damit verbundenen juristischen Probleme drängt sich die Frage auf, welchen Mehrwert der Fiskalpakt bringt. Es scheint, als sei ein neuer Pakt unter Ausschluss der Briten insbesondere für Frankreich politisch opportun gewesen. Ob der Fiskalpakt allerdings jene "harte" Regelung bietet, die von Deutschland bevorzugt wurde, bleibt zweifelhaft. Eine Lösung auf Basis der bestehenden Verträge, wäre juristisch in jedem Fall die bessere Lösung gewesen.
Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
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Przemyslaw Roguski, Neuer Fiskalpakt: . In: Legal Tribune Online, 04.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5226 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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