Nach wie vor erhitzt die Affäre rund um die Ermittlungen gegen netzpolitk.org die Gemüter. Was wussten Innen- und Justizminister? Immer wenn die Regierung in Erklärungsnöte gerät, schlägt die Stunde der Fragerechte des Bundestages.
Gerne wüssten wir, wer auf die Idee kam, mit dem schweren Geschütz des Verdachts auf Landesverrat auf die Blogger von netzpolitik.org zu zielen. Und was es mit dem Gutachten auf sich hat, das der Generalbundesanwalt erst in Auftrag gab und dann auf mehr oder minder zarten Druck des Justizministers doch nicht mehr haben wollte. Die Affäre rund um die Ermittlungen gegen netzpolitik.org hat viele irritierende Aspekte und die Aussagen der Hauptakteure - von Verfassungsschutzchef Maaßen über Noch-Generalbundesanwalt Range über Innenminister de Maizière bis hin zu Justizminister Maas - bringen wenig Licht ins Dunkel und widersprechen einander auch teilweise eklatant.
Einiges von diesem Wirrwarr versucht jetzt die Bundestagsfraktion der Grünen aufzuklären. Sie hat dazu einen ziemlich detaillierten, acht Seiten starken Katalog mit 35 Fragen an die Bundesregierung verfasst. Aber wie eine Antwort bekommen?
Dazu gibt es verschiedene Instrumente. Die Grünen im Bundestag haben hier das Mittel der sogenannten "Kleinen Anfrage" gewählt. Sie muss mindestens von einer Fraktion oder von einer Gruppe von Abgeordneten in Fraktionsstärke eingereicht werden, kann ein Bündel von Fragen beinhalten und muss von der Bundesregierung im Regelfall innerhalb von zwei Wochen beantwortet werden, und zwar nicht nur gegenüber den Antragstellern, sondern gegenüber dem gesamten Bundestag. Dasselbe gilt auch für die "Große Anfrage", nur dass die Antwort der Bundesregierung in diesem Fall auch im Plenum debattiert werden kann. Die Große Anfrage zielt also in stärkerem Maße darauf, die Antwort direkt öffentlichkeitswirksam politisch zu verwerten. Neben den Fraktionen dürfen auch die einzelnen Abgeordneten kurze Fragen an die Bundesregierung richten, allerdings nur limitiert: Zwei mündliche Fragen pro Sitzungswoche und vier schriftliche Fragen im Monat beträgt das Kontingent für jeden Volksvertreter.
Fragerechte für Minderheiten im Bundestag
Wichtig ist, dass die genannten Frage- oder Interpellationsrechte, die in §§ 100 bis 105 und Anlage 4 der Geschäftsordnung des Bundestages (GO BT) geregelt sind, einer Minderheit im Bundestag, nämlich den Fraktionen und einzelnen Abgeordneten zustehen. Abgeleitet wird dies aus dem freien Mandat gemäß Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz (GG), nach dem jeder Abgeordnete das Volk vertritt und dafür eben auch entsprechend informiert sein muss.
Die Bundesregierung muss die Fragen der Abgeordneten grundsätzlich beantworten, sofern die Bundesregierung für die Materie zuständig ist. Ausnahmen bestehen vor allem für den sogenannten Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 17. Juni 2009 (Az. 2 BvE 3/07) formulierte, darf es nicht zu einem "Mitregieren Dritter bei Entscheidungen" kommen, "die in der alleinigen Kompetenz der Regierung liegen." Daher muss die Regierung in der Regel nicht antworten, solange die fragliche Regierungsentscheidung noch nicht getroffen ist, sondern weiterhin vorbereitet wird. Dass eine Sache geheimhaltungsbedürftig ist, berechtigt die Bundesregierung nur ausnahmsweise zum Schweigen, nämlich dann, wenn selbst die Geheimschutzmaßnahmen, die der Bundestag treffen kann, unzureichend wären.
Die Beantwortung von Großen und Kleinen Anfragen oder Fragen der Abgeordneten kann mit dem Mittel eines Organstreitverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht durchgesetzt werden.
Eine qualifizierte Minderheit von mindestens einem Viertel der Bundestagsmitglieder kann ein besonders scharfes Schwert schwingen und nach Art. 44 GG die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu einem bestimmten Thema verlangen. Das bietet verschiedene Vorteile. Zunächst wird über Untersuchungsausschüsse immer wieder in den wichtigen Medien berichtet. Sie garantieren also ein höheres Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit als die anderen Instrumente. Vor allem aber kann der Untersuchungsausschuss auch selbst Beweise erheben, Akten einsehen oder Zeugen vernehmen, ähnlich wie ein Gericht. Dafür steht ihm im Bedarfsfall auch das bekannte Arsenal an "Folterwerkzeugen" zur Verfügung: Unwillige Zeugen kann der Ausschuss mit Ordnungsgeld belegen, vorführen lassen und im Fall, dass sie die Aussage grundlos verweigern, sogar mit dem Antrag auf Erzwingungshaft bei dem zuständigen Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof bedrohen, siehe §§ 21, 27 Parlamentarische Untersuchungsausschüssegesetz (PUAG). Die Kombination aus öffentlicher Beachtung und selbständigem Beweiserhebungsrecht macht den Untersuchungsausschuss zu einem mächtigen politischen Instrument in den Händen einer aktiven Opposition.
Sebastian Roßner, Grüne wollen Vorgänge um netzpolitik.org aufklären: . In: Legal Tribune Online, 21.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16685 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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