Juristische Schritte gegen Schulmobbing: Zum Anwalt erst, wenn nichts mehr geht

Gastbeitrag von Dr. René Rosenau

03.09.2024

Mobbingopfer bzw. ihre Erziehungsberechtigten versprechen sich oft juristische Hilfe. Aber ist es überhaupt sinnvoll, mit anwaltlicher Unterstützung gegen Schulmobbing vorzugehen? René Rosenau beleuchtet die Optionen.

Immer wieder suchen besorgte Eltern Anwaltskanzleien auf und berichten, dass ihre Kinder in der Schule gemobbt werden. Mobbing – darunter versteht die Rechtsprechung die psychische oder sogar physische Gewaltanwendung durch andere, z.B. Mitschüler (vgl. zum Begriff BVerwG, Urt. v. 28.09.2018, Az. 2 WD 14.17).

Typische Erscheinungsformen sind die verbale Herabwürdigung, soziale Ausgrenzung sowie Cybermobbing. Gerade Letzteres hat dazu geführt, dass das Mobbing eine ganz neue Qualität erreicht hat. Denn während die Misshandlungen früher grundsätzlich mit Schulschluss endeten, finden die Quälereien in den sozialen Medien heute rund um die Uhr statt. Und wenn die Schule ihnen keine angemessene Hilfe anbietet, setzen Eltern auf rechtliche Unterstützung. Doch was können Anwälte in so einem Fall ausrichten?

Der zivilrechtliche Werkzeugkasten

Von Mobbing regelmäßig tangierte Rechte und Rechtsgüter sind die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit, Eigentum und Besitz sowie vor allem die Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Diesen Rechtspositionen ist gemein, dass sie deliktsrechtlichen Schutz genießen, so dass gegen Mobber Schadenersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung in Frage kommen. In besonders gravierenden Fällen haben Betroffene zudem Anspruch auf Geldentschädigung. Darüber hinaus können Mobbingopfer Unterlassungsansprüche geltend machen, um zukünftigen Beeinträchtigungen vorzubeugen.  

Zu beachten ist, dass die Täter meist minderjährig sein werden. Allerdings ist die Deliktsfähigkeit im BGB großzügig ausgestaltet: Nur derjenige, der das siebte Lebensjahr nicht vollendet hat, ist für den einem anderen zugefügten Schaden nicht verantwortlich. Im Übrigen hängt dies davon ab, ob der Minderjährige über die notwendige Einsichtsfähigkeit verfügt. Entscheidend ist, ob der Mitschüler die geistige Entwicklung aufweist, die ihn generell das Unrecht seiner Handlungen und seine Verantwortung für sein eigenes Tun erkennen lässt (BGH, Urt. v. 28.02.1984, Az.VI ZR 132/82).  

Irrelevant ist dem Bundesgerichtshof (BGH) zufolge, ob der Minderjährige die Fähigkeit zur realen Vorstellung von den rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen seines Verhaltens hatte. Bei typischen Mobbinghandlungen wird man dabei davon ausgehen können, dass der Täter die erforderliche Einsichtsfähigkeit hinsichtlich seines Tuns besitzt. Andernfalls hätte er vor Gericht darzulegen und zu beweisen, dass dies gerade nicht zutrifft. Dementsprechend bejahte seinerzeit das Landgericht (LG) Memmingen die Deliktsfähigkeit eines 12-Jährigen in einem Fall von Cybermobbing und begründete dies u.a. damit, dass der Täter im Unterricht über das Thema informiert worden sei (Urt. v. 03.02.2015, Az. 21 O 1761/13).

Einsichtsfähigkeit und Verschulden 

Hervorzuheben ist, dass die Einsichtsfähigkeit im Deliktsrecht vom konkreten Verschulden zu differenzieren ist. Beurteilungskriterium ist insoweit, ob ein durchschnittlich entwickeltes Kind im Alter des Täters die Gefahrenlage hätte voraussehen und sich gemäß dieser Einsicht hätte verhalten können und müssen. Anders als bei der Einsichtsfähigkeit ist also kein individueller, sondern ein gruppenbezogener Maßstab anzuwenden. Da man von durchschnittlich entwickelten Schülern – gerade auf der weiterführenden Schule – jedoch erwarten kann, dass ihnen die Grundregeln sozialer Interaktion bekannt sind, wird man davon ausgehen können, dass Mobber regelmäßig schuldhaft handeln, zumal in vielen Schulen inzwischen für dieses Problemfeld sensibilisiert wird.  

Die Minderjährigkeit der Beteiligten kann außerdem bei einer gegebenenfalls vorzunehmenden Interessenabwägung eine Rolle spielen. Das LG Memmingen hat dazu ausgeführt, dass Verletzungen des Persönlichkeitsrechts unter Kindern nicht uneingeschränkt nach den für Volljährigen geltenden Maßstäben beurteilt werden können: "Denn unter Kindern sind der Gebrauch von Schimpfwörtern oder von Formulierungen, die strafrechtlich als Beleidigungen einzuordnen sind, oft üblich. Sie sind in gewissem Umfang Teil einer jugendtümlichen Sprache und geprägt auch von einem noch kindlichen bzw. jugendtypischen Verhalten, in dem sich häufig eine gewisse Sorglosigkeit der Äußerung offenbart." Kindern, so das LG Memmingen, seien auch die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts und die mit seiner Verletzung verbundenen Gefahren noch nicht in dem Umfang bewusst, wie man dies bei einem Erwachsenen erwarten könne.

Strafrechtliche Ansatzpunkte

Auch ein strafrechtliches Vorgehen gegen Schulmobbing kommt in Betracht. Je nach Fallkonstellation einschlägig dürften insbesondere die Ehrschutz-, Köperverletzungs- sowie Eigentumsdelikte sein. Schutz vor dem unerlaubten Verbreiten von Foto- und Videoaufnahmen bieten außerdem die § 201a Strafgesetzbuch (StGB) und § 33 Kunsturhebergesetz (KUG). 

Allerdings gelten für die strafrechtliche Schuldfähigkeit andere Maßstäbe als für die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit: Schuldunfähig ist laut § 19 StGB, wer bei Begehung der Tat noch nicht 14 Jahre alt ist. Die strafrechtliche Schuldfähigkeit setzt also wesentlich später als die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit an. Selbst wenn diese Hürde genommen ist, bestehen jedoch ernstliche Zweifel an der Effektivität strafrechtlicher Schritte beim Thema Schulmobbing. Denn während sich eine zivilrechtliche Abmahnung schnell verschicken und eine einstweilige Verfügung binnen weniger Tage erwirken lässt, dauern Strafverfahren in der Regel zu lange, um Mobbing schnell und wirksam einen Riegel vorzuschieben.

Schule in der Pflicht

Die Aufnahme des Schülers in eine öffentliche Schule begründet ein öffentlich-rechtliches Schulverhältnis einschließlich Fürsorgepflicht der Schule. Da Mobbing das Wohlergehen des Betroffenen beeinträchtigt, haben Lehrkräfte mit angemessenen Maßnahmen darauf zu reagieren. In Betracht kommen vor allem erzieherische Maßnahmen und – im nächsten Schritt – Ordnungsmaßnahmen gegenüber dem Täter.  

Das Verwaltungsgericht (VG) München führte in einem Fall, in dem ein den Mitschüler kompromittierendes Video in den Klassenchat eingestellt wurde, aus: „Die Schule durfte dem in Rede stehenden Fehlverhalten des Klägers im Interesse des Schulfriedens und ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags mit der Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung wirksam und mit aller Deutlichkeit entgegentreten“ (Urt. v. 29.01.2019, Az. M 3 K 17.3829). In einer anderen Angelegenheit hielt dasselbe Gericht sogar den Schulverweis für gerechtfertigt (Beschl. v. 12.03.2018, Az. M 3 S 17.5918).

Zu Hause bleiben als Option? 

Viele Betroffene stehen allerdings vor dem Problem, dass die Schulen gerade keine ausreichenden Maßnahmen ergreifen. Können Mobbingopfer den Schulbesuch dann verweigern? Laut Gerichten nicht ohne Weiteres (vgl. VG Ansbach, Beschl. v. 12.12.2006, Az. AN 2 S 06.01862). Stattdessen sollte die Schulleitung stets unverzüglich und nachweislich über Missstände in Kenntnis gesetzt werden. Die nächste Eskalationsstufe bildet die Schulaufsicht.  

Führt auch dies nicht zu einer Verbesserung, sollte man folgenden kreativen Ansatz in Erwägung ziehen: Laut Art. 17 GG hat jedermann das Recht, sich schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und die Volksvertretung zu wenden. Fühlt man sich von der Verwaltung ungerecht behandelt, hat man also die Möglichkeit, wegen seines Anliegens das jeweilige Landesparlament bzw. die dort eingerichteten Petitionsausschüsse anzurufen. Die adressierte Stelle wird sich zwecks Sachverhaltsaufklärung wiederum an das Schulministerium wenden, das sodann Erkundigungen bei den nachgeordneten Behörden einholen wird. Solcher "Druck von oben" hat in der hierarchisch organisierten Verwaltung schon in vielen Fällen Wunder bewirkt.

Juristische Schritte emotional belastend

Ob eine anwaltliche Intervention bei Schulmobbing sinnvoll ist, lässt sich nicht pauschal sagen. Zumeist dürften anwaltliche Maßnahmen jedenfalls nicht die erste oder beste Lösung darstellen. Denn auch juristische Schritte können emotional belastend sein und die Situation zunächst sogar noch verschärfen.  

Im Regelfall sollten Betroffene daher vorrangig auf schulinterne Maßnahmen (Gespräche mit Lehrern, Schulpsychologen o.ä.) setzen, um das Problem direkt und auf eine Weise zu lösen, die den Schulalltag nicht weiter belastet. Auch ein Klassen- oder Schulwechsel sollte stets in Erwägung gezogen werden. Erst wenn alle sinnvollen Alternativen ausgeschöpft sind, kann und sollte ein in der Thematik erfahrener Anwalt konsultiert werden, der mit den Betroffenen das Für und Wider der in Frage kommenden juristischen Maßnahmen abwägt.

Der Autor ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und arbeitet in der auf Marken- und Medienrecht spezialisierten Kanzlei HÖCKER Rechtsanwälte. Er ist zudem Dozent für Medien- und Presserecht an der Fachhochschule des Mittelstands in Köln sowie für IT- und Medienrecht an der FOM Hochschule in Düsseldorf. An der Kölner Universität unterrichtet Dr. Rosenau das Fach "Gesetzliche Schuldverhältnisse (im Medienbereich)".

Zitiervorschlag

Juristische Schritte gegen Schulmobbing: . In: Legal Tribune Online, 03.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55326 (abgerufen am: 09.09.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen