Die GroKo will Unternehmen per Gesetz dazu verpflichten, im Rahmen ihrer Tätigkeit künftig mehr auf menschenrechtliche Standards zu achten. Warum das die Wirtschaftsverbände in Panik versetzt, kann Leonard Feld nicht nachvollziehen.
Eine kurze Passage aus dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung erregt gegenwärtig die Gemüter deutscher Wirtschaftsverbände. Der fragliche Abschnitt beschäftigt sich mit einer gesetzlichen Regelung aus dem Bereich Wirtschaft und Menschenrechte – ein Thema, das es eigentlich selten ins Rampenlicht des politischen Tagesgeschäfts schafft.
Doch der Absatz im Koalitionsvertrag zum sogenannten Lieferkettengesetz treibt deutschen Wirtschaftslobbyisten den Schweiß auf die Stirn. Im Falle einer Umsetzung der fraglichen Klausel prophezeien sie das Ende der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Nicht nur Vertreter der Zivilgesellschaft, auch namhafte Firmen sehen das komplett anders. Und in der Tat: Es besteht für deutsche Unternehmen kein Grund zur Panik.
Der Passus im Koalitionsvertrag betrifft den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung aus dem Jahr 2016. Darin wird unter anderem die Verantwortung deutscher Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte betont. Der Aktionsplan stützt sich dabei auf die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN). Diese wurden unter Einbeziehung von Staaten, Unternehmen und der Zivilgesellschaft entwickelt und 2011 einstimmig vom UN-Menschenrechtsrat beschlossen. Ausgehend von diesen Prinzipien formuliert der Aktionsplan der Bundesregierung die gesellschaftliche Erwartung, dass die Geschäfte deutscher Unternehmen keine negativen Auswirkungen auf grundlegende Rechte haben dürfen. Unternehmen sollen Menschenrechte daher im Rahmen ihrer eigenen Tätigkeit sowie im Zusammenspiel mit ihren Geschäftspartnern in der Wertschöpfungskette achten.
Auf Einhaltung menschenrechtlicher Standards hinwirken
Dies bedeutet, dass ein deutscher Betrieb auch darauf hinwirken soll, dass Tochterfirmen, Lieferanten und Sublieferanten grundlegende Standards einhalten. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, sollen deutsche Unternehmen in der Praxis "menschenrechtliche Sorgfalt" walten lassen. Im Englischen spricht man hierbei von human rights due diligence. Hinter diesem Ausdruck verbirgt sich nichts weiter als ein Managementprozess. Unternehmen sollen sich in einem öffentlichen Statement zu ihrer Verantwortung bekennen und regelmäßig prüfen, ob ihr Geschäftsmodell negative Auswirkungen auf Menschenrechte haben kann oder bereits hat.
Sofern dies der Fall sind geeignete Präventiv- oder Abhilfemaßnahmen zu treffen. Zur Herstellung von Transparenz sollen Unternehmen zudem öffentlich darlegen, wie sie ihrer Verantwortung in der Praxis gerecht werden. Dieser Managementprozess richtet sich vor allem an große Unterneh-men, die in der Regel bereits vergleichbare Prozesse – zum Beispiel zur Korruptionsbekämpfung – etabliert haben.
Bei der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfalt setzt der Nationale Aktionsplan der Bundesregie-rung auf das freiwillige Engagement deutscher Unternehmen. Es ist daher jedem Betrieb selbst überlassen, ob und wie er Menschenrechte in der Praxis berücksichtigt. Allerdings sieht der Aktionsplan auch die Möglichkeit einer gesetzlichen Regelung vor. Sofern die Mehrheit deutscher Großunternehmen bis 2020 keine entsprechenden Prozesse umsetzt, so heißt es, "wird die Bundesregierung weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen prüfen". Diese Ankündigung greift der aktuelle Koalitionsvertrag auf. Die Bundesregierung soll danach gesetzlich tätig werden, sofern die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht.
Freiwillige Selbstverpflichtung gescheitert
Nach Ansicht von Vertretern der GroKo ist ein Mangel an freiwilligem Engagement Anfang 2020 Realität: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) beurteilen die Lage als "ernüchternd". Die Minister beziehen sich dabei auf eine staatliche Erhebung vom Herbst 2019, in der mehr als 3.000 Großunternehmen zu ihrer menschenrechtlichen Sorgfalt befragt wurden. Insgesamt gaben lediglich 464 Firmen überhaupt Auskunft. Von diesen erfüllten wiederum nur 20 Prozent die erstrebten Anforderungen. Die Ergebnisse der Befragung sind ein Schlag ins Gesicht derjenigen Politiker, die auf die freiwilligen Bemühungen deutscher Unternehmen vertraut haben. Im ersten Halbjahr 2020 wird es noch eine zweite Umfrage geben. Sollten deren Ergebnisse ebenfalls hinter den Erwartungen des Nationalen Aktionsplans zurückbleiben, wird es zu einer gesetzlichen Regelung kommen, wie Heil und Müller nunmehr angekündigten. Dabei können die Minister sich auf die Zustimmung ihrer Regierungsparteien stützen, denn die Bundesparteitage von CDU und SPD haben sich im Herbst 2019 für eine verbindliche Lösung ausgesprochen.
Dennoch sieht sich das Vorhaben erheblichem Gegenwind ausgesetzt. Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) betrachten die Pläne als "realitätsfremd". Dabei ist das Konzept menschenrechtlicher Sorgfalt für viele Unternehmen bereits gängige Praxis. Zudem kann sich das deutsche Gesetzesvorhaben an internationalen Grundsätzen orientieren. Die Leitprinzipien der UN bieten hierfür eine umfassende Basis. Sie definieren genau, was menschenrechtliche Sorgfalt bedeutet und was nicht. Zudem kann der deutsche Gesetzgeber vergleichbare Gesetze oder Initiativen in Frankreich, in den Niederlanden und in der Schweiz heranziehen. Auch die Europäische Union hat bereits ähnliche Sorgfaltsanforderungen für Importeure von sogenannten Konfliktmineralien in Gesetzesform gegossen. Ein rechtlicher Rahmen für menschenrechtliche Sorgfalt ist daher weder realitätsfremd noch ein politisches Novum.
Des Weiteren wird kritisiert, dass ein Lieferkettengesetz deutsche Unternehmen vor die unlösbare Aufgabe stellt, die gesamte Wertschöpfungskette eines Produkts vollständig zu überwachen. Im Falle eines Menschenrechtsverstoßes müssten deutsche Unternehmen zudem für die Fehler Dritter geradestehen. Doch auch diese Befürchtung ist unbegründet: Menschenrechtliche Sorgfalt bedeutet nicht, dass Großunternehmen mit Tausenden von Subunternehmen in globalen Wertschöpfungsketten alle Abläufe überwachen und ohne Einschränkung für die Vergehen Dritter haften müssen.
Stattdessen sehen die Leitprinzipien vor, dass große Betriebe sich aus Gründen der Machbarkeit auf die gravierendsten Risken konzentrieren, wie zum Beispiel bestimmte geographische Regionen (zum Beispiel Krisengebiete) oder relevante Problemfelder (Kinderarbeit, Menschenhandel, etc.). Für die Frage einer Haftung oder Sanktionierung wäre daher lediglich entscheidend, ob große Unternehmen ihren "menschenrechtlichen Fußabdruck" systematisch untersuchen und im Rahmen des Möglichen vermeiden oder nicht. Von einer Pflicht zur absoluten Kontrolle oder einem ausufernden Haftungsrisiko kann daher keine Rede sein.
Begriff des "Ehrbaren Kaufmanns" neu definieren
Ein anderer Kritikpunkt der Wirtschaftsverbände betrifft den Zugang zu Informationen. So wird hervorgehoben, dass deutsche Unternehmen überhaupt nicht wissen können unter welchen Bedingungen in der Wertschöpfungskette Produkte hergestellt und Dienstleistungen erbracht werden. Diese Behauptung wirkt im gegenwärtigen Informationszeitalter abstrus. Firmen sind sehr gut in der Lage dafür zu sorgen, dass ihre Lieferanten und Sublieferanten weltweit die gewünschten Qualitätsstandards einhalten. Unternehmen sollen dabei auch nicht die Nadel im Heuhaufen suchen, sondern lediglich systematisch Risiken bewerten und im Einzelfall Gegenmaßnahmen ergreifen. Und überhaupt: Moderne Informationstechnologien sollten es jedem deutschen Großbetrieb erlauben, ohne viel Aufwand einen Lieferanten oder Sublieferanten einmal näher unter die Lupe zu nehmen. Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und andere Unternehmen der Branche könnten dabei behilflich sein.
Verletzungen grundlegender Rechte im Kontext globaler Wirtschaftstätigkeit sind ein Paradebeispiel für ein komplexes transnationales Problem ohne Allheilmittel. Auch ein deutsches oder europäisches Lieferkettengesetz wird die vielschichtigen Ursachen des Problems nicht vollständig beheben. Richtig formuliert kann ein gesetzlicher Rahmen jedoch verantwortungsvolles Wirtschaften fördern. Zudem schafft er Wettbewerbsgleichheit zwischen Unternehmen, die sich für menschenrechtliche Belange einsetzen und solchen, die es nicht tun. Aus diesem Grund unterstützen auch namhafte Firmen wie Kik, Nestlé oder Tchibo das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung. Statt eine Regelung – am besten auf europäischer Ebene – weiter zu bekämpfen, sollten sich die Wirtschaftsverbände konstruktiv in den Gesetzgebungsprozess einbringen. Eine konsensbasierte Regelung böte die Chance den Grundsatz des Ehrbaren Kaufmanns für das 21. Jahrhundert neu zu definieren.
Der Autor Leonard Feld ist Diplomjurist und Master of Laws (LL.M.). Derzeit arbeitet er als Doktorand am Europäischen Hochschulinstitut (EUI) in Florenz. In seiner rechtswissenschaftlichen Promotion befasst er sich mit der Regulierung menschenrechtlicher Sorgfalt.
Geplantes Lieferkettengesetz: . In: Legal Tribune Online, 21.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39779 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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