Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, das gilt im 21. Jahrhundert besonders im Internet. Aber ist ein einziges Portal verantwortlich für die Redefreiheit einer ganzen Gesellschaft? Da sind sich auch Deutschlands Gerichte nicht ganz einig.
Im Jahr 2003, als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg noch in seinem Studentenzimmer auf dem Harvard-Campus an seiner Idee eines sozialen Netzwerks tüftelte, war die Welt noch eine andere. Das Internet steckte in den Kinderschuhen und die Dominanz, die es einmal über unser soziales Leben gewinnen sollte, war noch nicht abzusehen. Seitdem ist viel passiert, das Internet hat eine beträchtliche Entwicklung genommen. Es ist in den vergangenen Jahren von einer Möglichkeit, sich Informationen zu beschaffen, zu einer Art globalem Diskussionsraum avanciert. Und das liegt nicht zuletzt an der Entwicklung von Facebook. Mit dieser Entwicklung stellen sich aber auch neue Fragen.
Solche wie: Welches Recht gilt, wenn wir in öffentlichen digitalen Räumen kommunizieren? Und sind diese überhaupt "öffentlich", wenn sie von privaten Unternehmen betrieben werden? Fragen, die derzeit auch in Deutschland eine Vielzahl von Rechtsanwälten, Richtern und – vor allem – Nutzern beschäftigen. Denn die Antworten darauf regeln zu einem guten Teil, wie wir als Gesellschaft miteinander reden können. Sie entzünden sich dann, wenn soziale Netzwerke wie Facebook bestimmen, was auf ihren Plattformen gesagt werden darf – und diese Bestimmung dann auch mittels Löschung eines Kommentars oder Sperrung eines Accounts durchsetzen. So geschieht es täglich mehrfach, auch auf anderen Plattformen wie Youtube oder Twitter.
Unproblematisch ist das noch dort, wo sich staatlich gesetztes Recht und "Gemeinschaftsstandards", wie Facebook es nennt, decken. Kommt es aber zu Abweichungen, entstehen erhebliche Reibungen und Konflikte, die im Zweifel Gerichte auflösen müssen. Im Kern geht es dann darum: Muss ein Netzwerk seinen Nutzern die gleiche Redefreiheit gewähren wie es der Staat tut? Oder kann es, gestützt auf seine Autonomie als privates Unternehmen, nach Belieben einschränken? Anders gefragt: Muss Facebook wie ein Staat behandelt werden?
Hat Facebook das Monopol auf digitale Meinungsäußerung?
Befürworter dieser Ansicht verweisen auf die faktische Monopolstellung, die Facebook mittlerweile innehabe. Die Zahlen sprechen zunächst einmal dafür: Mit rund 2,17 Milliarden monatlich aktiven Nutzern ist Facebook das mit Abstand größte soziale Netzwerk der Welt. Es dient als gesellschaftlicher und politischer Resonanzraum und gewinnt als solcher stetig an Bedeutung, wie sich nicht zuletzt an der großen Sorge in den USA oder auch in Deutschland vor russischen Social Bots zeigt: falschen, algorithmusgesteuerten Accounts, die mit Fake News oder simpler Stimmungsmache in den Kommentarspalten auf Facebook sogar Regierungswahlen beeinflussen könnten.
Doch kann man ein Unternehmen dafür verantwortlich machen, dass es viele Kunden hat und es deshalb in seiner Privatautonomie beschränken? Und wo zieht man die Grenze? Ab wann ist ein soziales Netzwerk für die öffentliche Diskussion überhaupt "systemrelevant"? Youtube beispielsweise hat "nur" rund 1,5 Milliarden monatlich aktive Nutzer – darf dieses nun nach Belieben zensieren?
Die Macht des Internets hat das Gefüge zwischen Staat und privaten Unternehmen verschoben, die Tech-Konzerne haben nicht nur die Oberhand über wesentliche Bereiche unserer Gesellschaft gewonnen, sondern entziehen sich auch weitgehend staatlicher Kontrolle. Nun versucht der Staat, die Macht zurückzuerobern, ganz maßgeblich durch das vom damaligen Bundesjustizminister Heiko Maas entwickelte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das Netzwerken ab einer Größe von mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern die Pflicht auferlegt, bestimmte gegen deutsches Recht verstoßende Inhalte innerhalb einer knappen Frist zu löschen. Dagegen regte sich erheblicher Widerstand, es war die Rede von staatlicher Zensur. Doch wenn Netzwerke von sich aus löschen, wird das ebenso kritisch betrachtet. Man verlangt von ihnen, ihr Löschen von Posts und Accounts am Grundgesetz messen zu lassen.
"Nicht nach Gutsherrenart bestimmen, was gesagt werden darf"
Da liegt allerdings auch schon das Problem. Grundrechte binden unmittelbar einzig und allein den Staat, sie sollen dem Bürger in erster Linie Freiheit vor staatlichen Eingriffen sichern. Allerdings kennt die deutsche Rechtsordnung inzwischen auch eine sogenannte mittelbare Drittwirkung von Grundrechten. Danach haben diese eine Ausstrahlungswirkung und beeinflussen somit auch das Recht zwischen Privaten. Ist also der Weg frei für die Bindung von sozialen Netzwerken an die Meinungsfreiheit?
Für Joachim Steinhöfel, einen der profiliertesten deutschen Anwälte im Umgang mit Löschungen auf Facebook, ist die Sache, jedenfalls hinsichtlich des Zuckerberg-Konzerns, klar: "Das sind quasi monopolistische Strukturen", beschreibt er im LTO-Gespräch die Stellung des Internetriesen auf dem deutschen Meinungsmarkt. "Für die Debatte außerhalb der klassischen Medien gibt es zu Facebook kein Substitut." Daraus folgt für ihn zwingend, dass Facebook sich auch an die Meinungsfreiheit zu halten hat. "Es gilt doch: Jeder soll, wenn es nach Facebook geht, einen Account haben, alle sollen vernetzt sein", so Steinhöfel. "Dann kann man nicht mehr nach Gutsherrenart bestimmen, was dort gesagt werden darf."
Steinhöfel gilt als der erste Anwalt in Deutschland, dem es gelungen ist, Facebook zu zwingen, die Löschung eines Kommentars und die erfolgte Sperrung wieder aufzuheben. Im März dieses Jahres erreichte er eine einstweilige Verfügung für einen Mandanten, der sich unter einem Zeitungsartikel an Flüchtlingen, "linken Systemmedien" und "Fake News" abgearbeitet hatte. Für den Anwalt immer noch ein beachtlicher Erfolg: "Das war eine sehr bedeutende Entwicklung. Zuvor wurde immer in Abrede gestellt, dass das überhaupt gehe."
Gerichte entscheiden widersprüchlich
Nun werden immer wieder Gerichte mit ähnlichen Fällen befasst, eine wirklich einheitliche Rechtsprechung scheint sich aber, auch mangels höchstrichterlicher Klärung, noch nicht herausgebildet zu haben. Jüngst entschied das Landgericht (LG) Frankfurt genau anders herum: Die betreffende gelöschte Äußerung, ebenfalls wenig freundliche Worte in Richtung Flüchtlinge, sei noch von der Meinungsfreiheit gedeckt, befanden die Richter – trotzdem dürfe Facebook den Kommentar aber löschen. Denn als privates Unternehmen, das in Deutschland tätig ist, könne sich auch der amerikanische Internetriese auf die Berufsfreiheit berufen. Diese gebe ihm durchaus das Recht, seine Plattform so zu moderieren, wie er das für erforderlich halte, entschied das LG.
Auch die Oberlandesgerichte (OLG) sind sich bislang nicht einig geworden. Ähnlich wie das LG Frankfurt sah es im Juni noch das OLG Karlsruhe und sprach Facebook qua seiner Autonomie als private Plattform die Befugnis zu, von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerungen zu löschen, wenn sie gegen Gemeinschaftsstandards verstießen. Anders sahen es die Münchener Kollegen, die Anfang September entschieden, Facebook in puncto Redefreiheit dem Staat gleich zu behandeln. Es sei mit der Meinungsfreiheit nicht vereinbar, wenn Facebook "gestützt auf ein 'virtuelles Hausrecht' (...) den Beitrag eines Nutzers (...) auch dann löschen dürfte, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsfreiheit nicht überschreitet", so das OLG.
Wo verläuft sie nun also, die Grenze zwischen dem, was gesagt werden darf, und dem, was Facebook löschen darf? Rechtsanwalt Steinhöfel steht klar auf der Seite des OLG München und erwartet sich künftig Unterstützung durch eine Klärung seitens des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Zwar war das Gericht mit der Frage bislang noch nicht befasst. Im April dieses Jahres aber, kurz nach der Berliner Verfügung gegen Facebook, veröffentlichten die Karlsruher Richter einen Beschluss, der einen Fingerzeig enthalten könnte.
Vorgegebene Marschroute aus Karlsruhe?
In dem Fall ging es auf den ersten Blick um etwas völlig anderes: Ein Stadionverbot für einen 16-Jährigen, der infolge einer Auseinandersetzung zwischen zwei Fangruppen vom Deutschen Fußball Bund (DFB) mit einem zweijährigen bundesweiten Stadionverbot belegt worden war. Seine Klagen dagegen hatten keinen Erfolg, auch in Karlsruhe nicht. Und doch erlaubte sich der 1. Senat in seinem Beschluss einen interessanten Hinweis: Einerseits hielt er fest, dass es Privaten grundsätzlich freistehe, zu entscheiden, mit wem man Verträge eingehen wolle, und dabei kein objektives Gleichbehandlungsprinzip vorgeschrieben werden könne. Andererseits, so führte der Senat aus, könne etwas anderes gelten, "wenn einzelne Personen mittels des privatrechtlichen Hausrechts von Veranstaltungen ausgeschlossen werden, die von Privaten aufgrund eigener Entscheidung einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden und wenn der Ausschluss für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entscheidet".
Diese Formulierung war zwar im konkreten Fall auf ein Fußballspiel bezogen, lässt sich aber erkennbar auch auf Facebook übertragen. Angesichts der sehr meinungsfreiheitsfreundlichen Rechtsprechung des BVerfG erscheint es damit zumindest nicht ausgeschlossen, dass das Gericht eines Tages auch Facebook derartige Restriktionen seiner Privatautonomie auferlegen könnte.
Die Entscheidung lässt sich aber auch anders lesen. Denn wenn der Ausschluss, wie im Fall des Fußballfans, durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist und nicht willkürlich geschieht, scheinen auch Deutschlands Verfassungshüter kein Problem damit zu haben. Damit hinge es wesentlich von der breiten Löschpraxis von Facebook ab, ob man Nutzer vom öffentlichen Diskurs ausschließen darf. Eine Praxis, die gleichwohl von vielen als oft willkürlich kritisiert wird.
"Facebook ist kein Monopolist"
Eine Stellungnahme von Facebook war bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht zu erhalten. Marc Liesching, Professor für Medienrecht an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, hält die Entscheidung des BVerfG aber nur für bedingt übertragbar. Was für die Teilnahme an Sportevents gelte, müsse nicht auf die Meinungskundgabe in Netz übertragbar sein. "Ein argumentum a maiore ad minus funktioniert ja nur dann, wenn beide Konstellationen vergleichbar sind", so Liesching. Das sei hier aber nicht der Fall, weshalb eine Entscheidung des BVerfG zu Facebook seiner Meinung nach keineswegs vorgezeichnet ist.
Auch der Prämisse, Facebook habe eine monopolistische Stellung in Bezug auf die Meinungsäußerung im Netz, widerspricht er klar: "Facebook ist kein Monopolist für Meinungsfreiheit. Man muss sich ja fragen, ob eine Facebook-Mitgliedschaft zwingend ist für die Partizipation. Und dem ist nicht so. Ich könnte ja beispielsweise zu einem anderen Portal gehen oder einen Blog gründen." Zudem komme auch die Löschung einzelner Beiträge nicht einem Stadionverbot gleich, das den Nutzer eben komplett ausschließe.
So halte er es "eher mit der Vertragsfreiheit", führt Liesching aus. "Die Meinungsfreiheit erlaubt ja sehr viel, auch Dinge, die wir als Hate-Speech einordnen. Da muss es Facebook doch möglich sein, so etwas auf seiner Plattform zu löschen."
Meinungsfreiheit im Internet: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31095 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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