Am Freitag stand das Netzwerkdurchsetzungsgesetz im Bundestag zur 1. Lesung an. Die Debatte bestätigt mindestens einen Vorwurf der Kritiker: Die verbleibende Zeit, um das umstrittene und komplexe Vorhaben umzusetzen, ist reichlich knapp.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) soll eine zivile Debattenkultur befördern – und löst selbst Debatten aus wie aktuell kein zweites Gesetzesvorhaben. Schon am Donnerstag, einen Tag vor der ersten Lesung im Bundestag, hatte Justizminister Heiko Maas auf Facebook versucht, sein Projekt zu verteidigen und der teils massiven Kritik entgegenzutreten, welche in den vergangenen Wochen von Berufsverbänden, Juristen, NGOs und zahlreichen Medien geäußert worden war.
In seinem Post und später im Bundestag trat Maas u.a. der Behauptung entgegen, durch das NetzDG würden genuin staatliche Aufgaben in die Hände Privater gelegt. In diese Richtung hatte u.a. der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz argumentiert: "Wir müssen die großen Anbieter hart in die Pflicht nehmen, dürfen sie aber nicht in eine Richterrolle pressen." Maas betonte demgegenüber, dass die Pflicht, strafbare Inhalte nach einem Hinweis zu löschen, schon nach derzeitiger Rechtslage besteht; das NetzDG solle lediglich gewährleisten, dass diese Pflicht künftig auch konsequent erfüllt werde.
Gesetzesbegründung an mehreren Stellen entschärft
Viele fürchten allerdings, dass diese Pflichten angesichts der potentiell drakonischen Bußgelder – bis zu fünf Millionen Euro für Verantwortliche der Unternehmen, bis zu 50 Millionen für die Unternehmen selbst – eher zu konsequent erfüllt werden könnten. Die Gefahr eines sog. "Overblocking", also der Löschung sämtlicher irgendwie fragwürdiger Posts zwecks Bußgeldvermeidung, hält Maas schon aus ökonomischen Gründen für gering: "Die Betreiber der sozialen Netzwerke haben ein wirtschaftliches Interesse an allem, was bei Ihnen erscheint. Mit jedem einzelnen post, tweet oder Beitrag verdienen sie Geld", schrieb er auf Facebook.
Es bestünde auch keine Notwendigkeit zur Übervorsicht, da das NetzDG nicht einzelne Fehlentscheidungen bei Löschverlangen sanktioniert, sondern nur ein systemisches Versagen bei der Bearbeitung dieser Anträge. Ab wann von einem derartigen systemischen Versagen gesprochen werden kann, lässt der an unbestimmten Rechtsbegriffen reiche Entwurf allerdings offen. Die nachträgliche Änderung der Gesetzesbegründung stellt zwar - im genauen Gegensatz zu früheren Entwurfsfassungen - klar, dass "bei einem einmaligen Verstoß [gegen die Löschpflicht] regelmäßig nicht davon ausgegangen werden kann, dass kein wirksames Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorgehalten wird". Sie bietet darüber hinaus aber keine weitere Orientierung.
Praktisch sind aber in vielen Fällen Bestimmungsschwierigkeiten bei der Frage zu erwarten, ob ein Posting eine der 23 im NetzDG genannten Katalogstraftaten erfüllt. Kritiker verweisen etwa auf die zahlreichen Verfahren, in denen Verurteilungen wegen Beleidigung in den letzten Monaten vom Bundesverfassungsgericht wegen unzureichender Beachtung der Meinungsfreiheit aufgehoben wurden. Wenn selbst Strafrichter sich mit der Subsumtion unter § 185 Strafgesetzbuch bisweilen schwer täten, könne eine ordentliche Prüfung dieses und 22 weiterer Tatbestände durch einfache Sachbearbeiter kaum erwartet werden.
Entsprechende Kritik äußerte am Freitag nicht nur die Opposition, sondern auch der Regierungspartner, namentlich in Gestalt der bayerischen Wirtschaftsministerin Isle Aigner (CSU): "Ich kann nicht erkennen, was beispielsweise Facebook dafür qualifiziert, Inhalte daraufhin zu überprüfen, ob sie rechtswidrig sind." Auch in diesem Punkt wurde der Gesetzesentwurf – allerdings wiederum nur in der Begründung – gegenüber früheren Fassungen bereits angepasst: "Unterbleibt eine Entfernung oder Sperrung, weil das soziale Netzwerk den Inhalt vertretbar nicht für rechtswidrig hält, kann daraus nicht der Schluss auf systemische Mängel im Beschwerdemanagement gezogen werden", heißt es dort inzwischen.
Weitere Änderungen trotz knappen Zeitplans
Dass trotz dieser Anpassungen noch weitere Arbeit an dem Papier nötig werden wird, räumte am Freitag auch der netzpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Lars Klingbeil, ein. Er betonte, man sei zu weiteren Klarstellungen bei der Frage darüber bereit, welche Netzwerke genau betroffen seien, und deutete auch Gesprächsbereitschaft hinsichtlich einer zuvor von Rednern der Union ins Spiel gebrachten "regulierten Selbstregulierung" an – also der Einrichtung von (unabhängigen) Prüfstellen, die anstelle der Netzwerke über Löschung oder Nichtlöschung von Kommentaren entscheiden könnten.
Von hoher Bedeutung sei außerdem eine Änderung an dem im NetzDG vorgesehenen Auskunftsanspruch über Bestandsdaten. Dieser soll es Personen, die beispielsweise Opfer einer Beleidigung geworden sind, ermöglichen, die Daten des Verfassers des betreffenden Beitrags von dem Netzwerk zu erfragen. Kritiker sehen jedoch das Risiko, dass auf diese Weise unliebsame Kommentatoren eingeschüchtert und / oder mit Abmahnungen überzogen werden könnten. Um dem vorzubeugen, müsse für den Anspruch noch ein Richtervorbehalt eingefügt werden, so Klingbeil; dies sei für die SPD eine "rote Linie".
Der Entwurf dürfte die nächste Sitzung des Rechtsausschusses am 21. Juni also kaum unverändert überstehen. Die verbleibende Zeit für eine erfolgreiche Verabschiedung in der laufenden Legislaturperiode ist damit extrem knapp: Die letzte Sitzung des Bundestages findet am 30.6. statt. Zwei Tage zuvor endet die Stillhaltefrist, während derer die Europäische Kommission Gelegenheit hat, das Gesetz auf seine Vereinbarkeit mit EU-Recht zu prüfen – vorausgesetzt, die Kommission erhebt keine Einwände. Grundlegende Änderungen sind dann allerdings nicht mehr möglich, da andernfalls eine erneute Notifizierung des Entwurfs bei der Kommission mit neuem Fristenlauf nötig würde.
GroKo hält trotz viel Kritik an Gesetz fest
Die Frustration vieler Redner über den knappen Zeitplan brachte die Sprecherin für digitale Infrastruktur der Grünen, Tabea Rößner, zum Ausdruck: Bei der Bund-Länder-Kommission zur Medienregulierung sei das Thema noch ignoriert worden, Maas selbst habe sich über ein Jahr lang von Facebook vertrösten lassen und auf runde Tische und eine Taskforce gesetzt. Nachdem das nicht funktioniert habe, liefere er nun einen Schnellschuss, der das Problem nicht lösen könne.
Trotz der unübersichtlichen Meinungslage und der Schwierigkeit, alle handwerklichen Mängel und alternativen Lösungsansätze in der verbleibenden Zeit zu berücksichtigen, schien die Große Koalition am Freitag nicht grundsätzlich von dem Vorhaben abzurücken, das Gesetz in der laufenden Legislaturperiode zu verabschieden.
Kurz nach der Debatte im Bundestag versuchten nach Polizeiangaben 50 Anhänger der rechtsextremen Identitären Bewegung, mit einem Laster und einer Leiter auf das Dach des Justizministeriums zu gelangen. Einige von ihnen führten ein Transparent mit der Aufschrift "Alles schon vergessen – gegen Zensur und Meinungsverbot" mit sich.
Constantin Baron van Lijnden, Bundestagsdebatte zum NetzDG: . In: Legal Tribune Online, 19.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22991 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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