Vor rund sechs Jahren kamen bei einem Brand in einer pakistanischen Zulieferfabrik 258 Menschen ums Leben. Welche Verantwortung das Textilunternehmen Kik als Hauptauftraggeber trägt, soll nun das LG Dortmund klären.
Sind internationale Unternehmen verantwortlich für die Arbeitsbedingungen in ihren Tochter- und Zulieferunternehmen? Diese Frage soll das Landgericht (LG) Dortmund ab Donnerstag klären (Az. 7 O 95/15). Am 11. September 2012 brannte in Karatschi in Pakistan die Textilfabrik Ali Enterprises ab. Hauptkunde der Fabrik war die KiK Textilien und Non-Food GmbH mit Sitz in Bönen in der Nähe von Dortmund. 258 Menschen kamen ums Leben, mehrere Dutzend wurden verletzt.
Vier der Überlebenden und Angehörigen verklagen nun das deutsche Textilunternehmen. Kik trage eine Mitverantwortung für den mangelnden Brandschutz in der Fabrik und solle deshalb haften, so ihre Argumentation. Unterstützt werden die Kläger vom European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR) und der Entwicklungsorganisation medico international, die für die Verwirklichung des Menschenrechts auf Gesundheit eintritt.
Kik sieht die Verantwortlichkeiten naturgemäß anders: Es sei ein Brandanschlag gewesen, neun Verdächtige seien deswegen inzwischen vor pakistanischen Gerichten angeklagt, teilte eine Unternehmenssprecherin mit. Um den Menschen vor Ort zu helfen, habe Kik gleichwohl aus "rein moralischer Verantwortung" insgesamt 6,15 Millionen Dollar an Verletzte und Hinterbliebene gezahlt.
Auch für die Richter am LG Dortmund ist das kein alltäglicher Fall. Da es um einen deliktischen Anspruch geht, ist die Rom-II-Verordnung anwendbar. Nach Art. 4 Rom-II-VO gilt das Recht des Staates, im dem der Schaden eingetreten ist – also pakistanisches. Das LG hatte den Klägern bereits im August 2016 Prozesskostenhilfe bewilligt . Für die Beurteilung der Rechtlage nach pakistanischem Recht in der Hauptsache beauftragte das Gericht den auf Deliktsrecht spezialisierten Briten Ken Oliphant von der Universität Bristol als Gutachter.
Klage in Dortmund, aber nach pakistanischem Recht
Oliphant dürfte sich auch zu der Frage der Verjährung geäußert haben – darauf beruft sich Kik: Bei Todesfällen trete die Verjährung nach pakistanischem Recht bereits nach einem Jahr ein, bei Körperverletzungen nach zwei Jahren.
Unstreitig hatte es nach dem Brand Gespräche zwischen dem Düsseldorfer Einzelanwalt Jochen Jütte-Overmeyer als Berater von Kik und dem Anwalt und nun auch Prozessvertreter Remo Klinger als Vertreter der pakistanischen Betroffenenorganisationen gegeben. Im Laufe dieser Gespräche hatten Klinger und Jütte-Overmeyer für Kik einen Verjährungsverzicht bis Ende 2015 vereinbart.
Auch dieser Verzicht sei aber schon zu spät unterzeichnet worden, argumentiert das Unternehmen nun, das sich vor dem LG von Dr. Gunther Lehleiter von Aderhold vertreten lässt. Außerdem sei pakistanisches Recht anwendbar, in dem es so eine Verzichtsvereinbarung gar nicht gebe. "Das anwendbare Recht mitten in einem laufenden Verfahren ändern zu wollen, weil einem das Ergebnis nicht passt, ist unseriös und vorliegend auch erfolglos", teilte das Unternehmen mit. Es sei der verzweifelte Versuch der Kläger, die drohende juristische Niederlage abzuwenden.
Für Miriam Saage-Maaß, Juristin beim ECCHR, das die pakistanischen Kläger unterstützt, ist das alles nicht entscheidend. Wenn Anwälte in Deutschland einen Verjährungsverzicht vereinbaren, sei auch die Frage der Verjährung nach deutschem Recht zu beurteilen. Zumindest eine Hemmung gebe es auch nach pakistanischem Recht. Bei den Verhandlungen sei eine Einigung in Aussicht gestellt worden– das reiche für eine Hemmung aus, und die sei auch im pakistanischen Recht geregelt. "Die pakistanische Rechtsprechung bestätigt das", so Saage-Maaß. Der Rechtsgutachter habe die Frage allerdings offen gelassen. "Entscheiden müssen das also die Richter am LG Dortmund", so die Juristin.
Verhandlung oder schnelles Ende?
Die könnten den Fall also schnell beenden. Oder sie könnten Rechtsgeschichte schreiben. Der Brand mit über 250 Toten in Pakistan ist nicht der einzige Unglücksfall in einer Textilfabrik. Im Jahr 2013 starben beim Einsturz eines Gebäudes in Bangladesch 1.135 Menschen, weitere 2.438 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Der ECCHR sieht daher im Kik-Fall eine Möglichkeit, Verantwortlichkeiten von Unternehmen zu definieren. Selbst wenn die Produktion in selbstständige Einheiten ins Ausland ausgelagert werde, könnten sich Firmen nicht von einer Verantwortung frei sprechen, meinen die Menschenrechtler – zumindest dann nicht, wenn sie die ausländischen Firmen faktisch unter Kontrolle hätten, weil sie die hauptsächlichen Auftraggeber sind. Auch Kik teilte bereits mit, das Ergebnis der Verjährung sei "für die deutsche Wirtschaft unbefriedigend, da die ursprüngliche Frage nach der Haftung von Unternehmen für ihre Zulieferer weiterhin ungeklärt bleibt. Nach geltendem deutschem Recht besteht eine derartige Haftung gegenwärtig nicht", so Kik.
Ob es doch zu einer materiellen Entscheidung kommt, das klärt sich ab 12 Uhr beim LG Dortmund. Nach dem Gutachten spreche viel für die Annahme der Verjährung, äußern Beteiligte. Doch selbst dann, meint der ECCHR, hätten die Betroffenen zumindest Gehör gefunden.
Prozessauftakt gegen Kik in Pakistan: . In: Legal Tribune Online, 29.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32399 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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