Ob eine Klinik einem Patienten wegen schlechter Sprachkenntnisse den Platz auf einer Transplantationsliste verweigern darf, musste das LG Bielefeld am Ende nicht entscheiden. Die Parteien einigten sich am Freitag auf einen Vergleich. Um künftig solche Fälle zu vermeiden, sollte die Bundesärztekammer ihre Richtlinien zur Organvergabe klarer formulieren.
Darf man einem Menschen wegen mangelnder Sprachkenntnisse eine lebensrettende Herztransplantation verweigern? Die Ärzte des Herz- und Diabeteszentrums in Bad Oeynhausen (HDZ) haben diese Frage zumindest teilweise bejaht und Hassan Rashow-Hussein im Frühjahr 2010 nicht auf die Warteliste für Spenderorgane gesetzt.
Wegen gravierender Verständigungsprobleme sei zweifelhaft, ob der Patient aus dem Irak die ärztlichen Vorgaben für die Vor- und Nachbehandlung verstehen und konsequent umsetzen würde. Der 62-jährige Iraker erfülle damit nicht die nötigen Voraussetzungen für eine Transplantation, begründeten die Mediziner ihre Entscheidung.
Das wollte Rashow-Hussein nicht akzeptieren. Der Iraker, der vor über 13 Jahren nach Deutschland geflohen war, verklagte die Klinik und verlangte Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro vor dem Landgericht (LG) Bielefeld. Am Freitag einigten sich die Parteien auf einen Vergleich. Die Transplantationsklinik zahlt dem Mann 5.000 Euro. Im Gegenzug verzichtet der Kläger auf seine Forderung (Az. 4O 106/11).
Klinik berief sich auf Richtlinie der Bundesärztekammer
Damit gab es keine grundsätzliche Entscheidung über die Richtlinien der Bundesärztekammer, auf die sich die Klinik berufen hatte. Patientenschützer hatten die Richtlinien kritisiert. Sie seien so unscharf formuliert, dass bei der Anwendung pure Willkür herrsche. "Es geht um Regeln, die so intransparent sind, dass man sich als Spender fragt: Kann das richtig sein?", sagte Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz der Nachrichtenagentur dpa. Der Umgang mit den Patienten verletze das Gerechtigkeitsgefühl potenzieller Organspender. Die Bundesärztekammer wollte sich nicht äußern.
Die Klinik betonte, die Zahlung der Vergleichssumme sei kein Schuldeingeständnis. Man wolle nur einen jahrelangen Prozess vermeiden. Es gehe ausschließlich um das Wohl des Patienten. In diesem konkreten Fall sei nicht sichergestellt gewesen, dass der Mann jederzeit und zuverlässig in seiner Sprache hätte beraten werden können. Missverständnisse bei der Beratung hätten aber sein Leben gefährdet.
"Es muss sichergestellt sein, dass der Patient nach der Transplantation jederzeit Anweisungen, Ratschläge und Aufklärung von Ärzten und Pflegepersonal in die Tat umsetzen kann", sagte der Leiter der Herzchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum HDZ, Jan Gummert. Denn Missverständnisse könnten im schlimmsten Fall tödliche Konsequenzen haben. Die HDZ-Ärzte berufen sich auf Richtlinien der Bundesärztekammer zur Herztransplantation. Dort heißt es unter I.4, dass auch sprachliche Schwierigkeiten gegen eine Aufnahme auf die Warteliste sprechen können.
Diese Regeln müssen die Transplantationszentren befolgen, wenn sie entscheiden, wer auf die Organ-Warteliste gesetzt wird. Die Richtlinien müssen wiederum den Vorgaben des Transplantationsgesetzes (TPG) entsprechen. Dort steht unter anderem, dass die Vergabe von Spenderorganen ausschließlich nach medizinischen Kriterien zu erfolgen hat. Einkommen, Herkunft oder der Versicherungsstatus dürfen bei der Vergabe keine Rolle spielen.
Klinik hätte Dolmetscher hinzuziehen können
Rashow-Husseins Anwalt denkt, dass die Voraussetzungen für eine Behandlung nicht auf sprachliche Schwierigkeiten zurückgeführt werden dürfen. Im Februar dieses Jahres zogen er und sein Mandant bis vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), um Prozesskostenhilfe für die Schmerzensgeldklage zu bekommen (Beschl. v. 28.01.2013, Az.1 BvR 274/12). Die Karlsruher Richter wiesen in ihrem Beschluss darauf hin, dass die Richtlinien der Bundesärztekammer in der Literatur durchaus umstritten und von der Rechtsprechung noch nicht gewürdigt worden seien. Inhaltlich werde dabei kritisiert, dass Patienten bei Verständigungsschwierigkeiten ein Platz auf der Warteliste verweigert werden könne, ohne die Hinzuziehung eines Dolmetschers zu erwägen.
Der Medizinrechtler Gunnar Duttge hält die Richtlinie der Bundesärztekammer zwar nicht für rechtswidrig. Allerdings müsse diese restriktiv ausgelegt werden, damit sie § 12 TPG entspricht, wonach nur medizinische Kriterien bei der Organvergabe eine Rolle spielen dürfen. "Es muss feststehen, dass der Patient bei der Transplantation nicht ausreichend mitwirken kann und sich das auch nicht ändern lässt", so der Juraprofessor. "Nur dann kann man davon sprechen, dass die Behandlung keine Aussicht auf Erfolg hat."
Das heißt, die Klinik hätte sich etwa um einen Dolmetscher bemühen müssen. Keinesfalls hätte sie sich vorab darauf berufen dürfen, dass schlechte Sprachkenntnisse des Mannes den Erfolg der Transplantation gefährden könnten. "Patienten müssen diskriminierungsfrei behandelt werden." Sprachliche Schwierigkeiten seien im Klinikalltag ja nichts Ungewöhnliches.
Die Bundesärztekammer sollte dies in ihrer Richtlinie klarstellen, meint Duttge, etwa indem sie formuliert, was eine Klinik unternehmen muss, um den Erfolg einer Transplantation sicherzustellen.
Um einen Platz auf der Warteliste ging es in dem Bielefelder Verfahren nicht mehr. Wenige Wochen nach der Ablehnung aus Bad Oeynhausen haben die Ärzte der Uniklinik Münster Rashow-Hussein auf die Liste genommen und behandeln ihn seither. Warum sie die Lage anders als ihre Kollegen in Bad Oeynhausen einschätzen, und wie sie die Sprachprobleme überwinden wollen, dazu wollte die Klinik in Münster nichts sagen.
dpa/cko/LTO-Redaktion
Streit um Richtlinien zur Organvergabe: . In: Legal Tribune Online, 20.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10445 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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