Drei Mediziner, die kinderlosen Paaren gefrorene Eizellen vermittelten, wurden auch in zweiter Instanz freigesprochen. Das Verfahren ist aber noch nicht beendet. Weiterhin angeklagt ist die Strafrechtsprofessorin Monika Frommel.
Nach eigenen Angaben haben die drei Mediziner im Vorstand des Netzwerks Embryonenspende nur altruistische Motive verfolgt. Aber sie mussten sich in einem Strafverfahren vor Gericht verantworten. Nun aber konnten die Ärzte bereits den zweiten Erfolg verbuchen: Nachdem sie in erster Instanz vom Amtsgericht (AG) Dillingen mangels Vorsatzes freigesprochen worden waren, wurde ihr Vorgehen nun auch in objektiver Hinsicht gerichtlich gebilligt. Mit einem Urteil, das LTO nun exklusiv vorliegt, hat das Landgericht (LG) Augsburg bereits Anfang Dezember die Berufung der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Die Ärzte hätten objektiv nichts Strafwürdiges getan, befanden die bayerischen Richter (Urt. v. 13.12.2018, Az. 16 Ns 202 Ja 143fi4a/14 u. a.).
Bei dem Netzwerk Embyronenspende handelt es sich um einen 2013 gegründeten gemeinnützigen Verein, über den Fortpflanzungsmediziner aus Bayern und Baden-Württemberg Frauen, die keine eigenen Kinder bekommen können, mit implantierter Samenzelle eingefrorene funktionstüchtige Eizellen vermitteln. Gewonnen werden diese aus künstlichen Befruchtungsvorgängen von anderen Frauen. Der Verein finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, für die Erfassung und Vermittlung werden den Frauen zusammengenommen gerade einmal 150 Euro berechnet, um den Aufwand zu decken.
Streitig: der Zeitpunkt der Befruchtung
Bei der Prozedur wird der gebärfähigen Frau nämlich regelmäßig mehr als eine Eizelle entnommen, die dann mit den Spermien des Mannes befruchtet werden, um einen Embryo zu erzeugen. Dieser wird anschließend, bei gelungener Befruchtung einer Eizelle, in die Gebärmutter eingesetzt. Die übrigen Eizellen werden in flüssigem Stickstoff eingefroren, was den weiteren Entwicklungsprozess zum Embryo stoppt.
Nun untersagt aber § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) es, "eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt". Genau das sei hier aber geschehen, als man die Eizellen auftaute und weiter kultivierte, fand die Staatsanwaltschaft und klagte die Reproduktionsmediziner wegen Beihilfe zur illegalen Befruchtung von Eizellen in 33 Fällen an.
Knackpunkt dabei ist der Zeitpunkt der Befruchtung. Ist diese schon vollendet, wenn das Spermium in die Eizelle eingepflanzt wird? Oder erfolgt sie erst bei der weiteren Entwicklung, die bei den gespendeten Eizellen erst nach dem Auftauen stattfindet? Anders herum gefragt: Werden die Eizellen schon zu Beginn ihres Weges befruchtet, als dies noch potenziell der biologischen Urheberin dient? Dann geschähe das wohl nicht zum Zweck der Befruchtung einer anderen Frau im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG.
Strafrechtsprofessorin Frommel im Vereinsvorstand
Die Fragen klingen nicht nur für Laien kompliziert, sie sind es auch für kundige Juristen. Sie drehen sich um medizinische Fachbegriffe und komplexe biologische Vorgänge, die trennscharf voneinander abzugrenzen nicht einfach ist. So hat sich, während Mediziner für die Befruchtung auf mehrere verschiedene Zeitpunkte abstellen, unter Juristen bisher noch keine allgemeingültige Definition dafür herausgebildet.
Das bislang unveröffentlichte Urteil des LG, das LTO vorliegt, enthält das, worauf die Mediziner gehofft hatten: einen Freispruch aufgrund objektiv nicht erfüllten Tatbestandes. Das AG Dillingen hatte es sich in erster Instanz noch etwas einfacher gemacht und die Strafbarkeit an einem unvermeidbaren Verbotsirrtum der Ärzte scheitern lassen: Wenn selbst die spezialisierten Juristen sich nicht einig seien, hätten die Mediziner im Zweifel gar nicht wissen können, dass sie sich eventuell strafbar machten, befand das Gericht.
Zudem hatten die sich fachkundige Beratung ins Boot geholt: Die emeritierte Berliner Strafrechtsprofessorin Monika Frommel verfasste nicht nur Rechtsgutachten für das Netzwerk, sondern wurde gleich Mitglied des Vorstandes - und deshalb ebenfalls angeklagt. Das Verfahren gegen die Juristin wegen Beihilfe trennte allerdings schon das AG ab.*
Frommel, die seit längerer Zeit u. a. zum ESchG forscht, kam in ihren Gutachten zu dem Schluss, dass man sich mit der Vermittlung und Einsetzung der wieder aufgetauten Eizellen nicht strafbar mache. Gestützt hierauf, so befand die erste Instanz, durften ihre Vorstandskollegen darauf vertrauen, rechtskonform zu handeln. Dagegen hatte auch das LG nichts einzuwenden. Und kam dennoch auch dem expliziten Wunsch der Angeklagten nach einer Klärung der Rechtsfrage in objektiver Hinsicht nach.
Verschmelzung der Zellkerne als Befruchtungszeitpunkt?
Die Berufungskammer äußert dabei geradezu Sympathie für die Angeklagten. Sie erklärte, es handele sich um "rechtschaffene Menschen" und "seriöse und sympathische Mediziner". Sie hielt auch deren umfangreiche Einlassungen und ihr Eigeninteresse an einer Aufklärung für uneingeschränkt glaubwürdig. Und die objektiven Voraussetzungen der Strafvorschrift habe ihr Handeln schon gar nicht erfüllt.
Zur Begründung vertieft das LG Augsburg sich in die komplexe Materie und ergründet, wie überhaupt menschliches Leben entsteht. Stark vereinfacht: Nach dem Einbringen der Samenzelle in die Eizelle steuern die beiden Zellkerne aufeinander zu und verschmelzen schließlich miteinander. Die Eizellen werden für die künstliche Befruchtung i.d.R. vor der Verschmelzung eingefroren. Dies wird als 2-PN-Stadium bezeichnet. Im Anschluss erfolgt die Verschmelzung zu einem Zellkern.
Nun stieg das Gericht nicht nur in die Untiefen der Biologie ein, sondern setzte sich auch mit den vorhandenen Stimmen der juristischen Literatur auseinander. Das sind im wesentlichen zwei: Gutachterin - und Mitangeklagte - Monika Frommel und Prof. Jochen Taupitz, ebenfalls eine prominente Stimme auf dem Gebiet des Medizinrechts. Während Frommel die Befruchtung schon im 2-PN-Stadium als gegeben erachtet, sieht Taupitz in seinem Kommentar die Befruchtung erst als vollendet an, wenn die Kerne verschmolzen sind.
LG: Befruchtung schon vollendet, Tatbestand nicht erfüllt
Auf der Grundlage, dass es sich jedenfalls in einigen Fällen beim Auftauen noch um 2-PN-Zellen handelte, stellt das LG darauf ab, ob zu diesem Zeitpunkt, als also die Ärzte sie einer anderen Frau vermitteln wollten, die Befruchtung juristisch bereits vollendet war. Wäre das nicht der Fall und die Befruchtung liefe nach dem Auftauen (dann mit der verbotenen Zweckbestimmung, die Eizelle einer anderen als der Frau einzusetzen, von der sie stammt) noch weiter, würde dies den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG erfüllen.
Die heutigen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin seien aber zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift noch gar nicht absehbar gewesen. Gegen die Annahme einer frühen Befruchtung, wie sie Frommel vertritt, spricht aus Sicht des LG auch nicht, dass für § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG dann schlicht kein Anwendungsspielraum mehr verbleibe. Das sei im Zweifel hinzunehmen und nicht als "Totschlagsargument" zu benutzen.
So folgte die Kammer der Meinung von Frommel und sprach deren Vereinskollegen frei. Dabei stützt sie sich auf eine medizinische Definition der Bundesärztekammer, die in ihren Leitlinien schon das Erreichen des 2-PN-Stadiums als Befruchtung wertet.
Medizinrechtler Taupitz: "ESchG kennt kein Zwischenstadium"
Jochen Taupitz dagegen äußerte gegenüber LTO deutliche Kritik an dem Urteil. Dieses ignoriere nicht nur den historischen Willen des Gesetzgebers, sondern auch den Wortlaut des ESchG. Nach dessen § 8 Abs. 1 handele es sich erst ab der sog. Kernverschmelzung um einen Embryo, weshalb, damit die Befruchtung wie vom LG angenommen, schon vor der Verschmelzung abgeschlossen sei, ein Zwischenstadium zwischen der Befruchtung und dem Embyro existieren müsste - "ein Zwischenstadium, das das deutsche Embryonenschutzgesetz - im Unterschied zu ausländischen Rechtsordnungen, die zwischen Prä-Embryo und Embryo unterscheiden - gerade nicht kennt", argumentiert der Medizinrechtler.
Zwar begrüßte der Mannheimer Professor, dass das LG Augsburg endlich Bewegung in die Diskussion um das fast 30 Jahre alte ESchG gebracht habe. Das Gesetz müsse an neue Gegebenheiten angepasst werden. "Allerdings ist Rechtspolitik allein Sache des Gesetzgebers und gerade nicht der Gerichte."
Dass die Entscheidung des Gerichts zugunsten der drei Mediziner ausfiel, dürfte Taupitz' Kollegin Frommel für ihr eigenes Verfahren jedenfalls nicht zum Nachteil gereichen; falls das AG überhaupt erwogen haben sollte, ihr Vorsatz zu unterstellen. Das Verfahren gegen die Ärzte aber ist mit dem Urteil des LG Augsburg noch nicht beendet. Die Staatsanwaltschaft hat sechs Tage nach der Verkündung angekündigt, in Revision gehen zu wollen.*
*Update am 16.01.2019, 10:10 Uhr: Eine Nachfrage beim AG Dillingen ergab, dass das Verfahren gegen Frau Frommel bis zum Abschluss der Revisionsverhandlung ausgesetzt bleibt. Sollte dort das Vorliegen des objektiven Tatbestandes verneint werden, entfiele auch die Beihilfestrafbarkeit von Frau Frommel. Außerdem hieß es in einer früheren Version dieses Artikels, das Verfahren gegen sie sei wegen der ungeklärten Frage des Verbotsirrtums abgetrennt worden. Diese Frage könnte bei der Professorin auch tatsächlich anders zu beurteilen sein. Allerdings geschah die Abtrennung, so die Auskunft des AG Dillingen, aus rein organisatorischen Gründen.
Frau Frommel ist zudem mittlerweile nicht mehr im Vorstand des Vereins.
LG Augsburg spricht Reproduktionsmediziner frei: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33069 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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