Ein leiblicher Vater rügt per Verfassungsbeschwerde, dass ihm trotz aller Bemühungen die rechtliche Elternschaft zu seinem kleinen Sohn verwehrt wird. Ob die aktuelle Rechtslage ihn in seinen Grundrechten verletzt, muss das BVerfG klären.
Werden leiblichen Vätern vom Gesetzgeber in bestimmten Konstellationen zu hohe Hürden bereitet, um die rechtliche Vaterschaft zu erlangen? Liegt darin eine Verletzung des Elternrechts? Über diese Fragen verhandelt am Dienstag das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Dem Verfahren zugrunde liegt eine komplizierte verfassungs- und familienrechtliche Thematik, die in den letzten Jahren immer wieder vor Gericht gelandet ist. Auch das BVerfG und der Bundesgerichtshof (BGH) haben in ähnlichen Fällen bereits entschieden. In der Regel handelt es sich dabei um äußerst emotionsgeladene Streitigkeiten, in denen es um das in Art. 6 Abs.2 Grundgesetz (GG) verbriefe Elternrecht, das Wohl des Kindes und den Schutz seiner sozialen Familie geht.
Leibliche Väter können rechtliche Vaterschaft nur begrenzt anfechten
Am Dienstag wird in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde des leiblichen Vaters eines heute dreijährigen Jungen verhandelt. Der Vater, dessen Beziehung zur Kindsmutter kurz nach der Geburt des Kindes in die Brüche ging, hatte sich unmittelbar nach der Trennung nicht nur um den stetigen Umgang mit seinem Sohn, sondern vergeblich auch um die rechtliche Vaterschaft bemüht. Diese garantiert wichtige Mitspracherechte, die das Kind betreffen. Ohne Anerkennung der Vaterschaft gibt es z.B. auch kein (gemeinsames) Sorgerecht.
Dass die Anerkennung des Beschwerdeführers als rechtlicher Vater scheiterte, lag zunächst ganz praktisch daran, dass die Kindsmutter entsprechende Termine vor dem Standesamt platzen ließ. Dann wandte sie sich wenige Wochen nach der Geburt des Sohnes einem anderen Mann zu. Dieser erkannte daraufhin seinerseits mit Zustimmung der Kindsmutter (§ 1592 Nr.2 BGB) die Vaterschaft für den Jungen an und rückte so in die Rechtsstellung als rechtlicher Vater ein.
Der leibliche Vater, dem laut Verfassungsbeschwerde immer an einer engen Beziehung zu seinem Sohn gelegen war und der bereit war, die entsprechende elterliche Verantwortung zu tragen, schaute in die Röhre. So blieb ihm nichts anderes übrig als die rechtliche Vaterschaft des "Neuen" anzufechten. Jedoch: Das deutsche Abstammungsrecht lässt diese nur unter engen Voraussetzungen zu. Die einschlägigen §§ 1600 Abs. 2 und 3 BGB billigen dem leiblichen Vater nur ein (begrenztes) Vaterschaftsanfechtungsrecht zu. Dass ein solches in derartigen Konstellationen überhaupt existiert, musste das BVerfG im Jahr 2003 dem Gesetzgeber erst einmal ins Stammbuch schreiben (Urt. v. 09.04.2003, Az. 1 BvR 1493/96 u. 1 BvR 1724/01).
Leiblichen Vätern steht nunmehr ein Anfechtungsrecht zu, wenn im "maßgeblichen Zeitpunkt", den das Gesetz nicht näher bestimmt, keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater besteht.
Auf welchen Zeitpunkt kommt es an?
Besteht eine solche, soll der leibliche Vater den Familienfrieden nicht stören. Aber wann ist nun dieser "maßgebliche" Zeitpunkt i.S.v. § 1600 Abs.2 BGB? Die Frage nach den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zur Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem zwischen dem Kind und dem rechtlichen“ Vater nach § 1600 Abs. 2 und 3 BGB eine "sozial-familiäre Beziehung" bestanden haben muss, steht im Mittelpunkt des Rechtsstreits vor dem BVerfG.
Reichen ein paar Wochen mit einem Säugling schon aus, um den leiblichen Vater außen vor zu lassen? Muss die Beziehung zwischen Kind und dem "Neuen" bereits bestanden haben, als der leibliche Vater sich erstmals um seine rechtliche Vaterschaft bemühte? Oder genügt als Zeitpunkt zugunsten des neuen Partners vielleicht die letzte mündliche Verhandlung in dem vom leiblichen Vater angestrengten Gerichtsverfahren?
Je nach Zeitpunkt könnte jedenfalls der Verweis auf eine sozial-familiäre Beziehung den leiblichen Vater in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 verletzen. Zum Beispiel dann, wenn dieser niemals eine realistische Chance hatte, auch rechtlicher Vater seines Kindes zu werden.
AG Halle noch im Sinne des Beschwerdeführers
Im konkreten Fall hatte der Beschwerdeführer zunächst Erfolg. Das Amtsgericht (AG) Halle (Saale) entschied im Mai 2021 zu seinen Gunsten (Beschl. v. 05.08.2021, Az. 26 F 1064/20 AB). Er habe seit der Geburt des Kindes im April 2020 keine Zweifel aufkommen lassen, dass er die tatsächliche Verantwortung für das Kind übernehme. Außerdem sei es bereits zweifelhaft, ob im Zeitpunkt der letzten Anhörung vor Gericht eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und dem neuen, "rechtlichen" Vater bestanden habe. Jedenfalls habe diese Beziehung aber noch nicht zu dem Zeitpunkt vorgelegen, als der leibliche Vater das gerichtliche Vaterschaftsverfahren gestartet habe. Einem leiblichen Vater dürfe unter diesen Umständen, so das AG, die Erlangung seiner Vaterschaft nicht dadurch versperrt werden, dass ein anderer Mann während des laufenden Verfahrens die Vaterschaft anerkennt.
Mit dieser Rechtsansicht dürfte sich das AG wohl in guter Gesellschaft mit dem BVerfG befinden: 2018 entschied Karlsruhe, dass das Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater und den Kindern zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht ohne weiteres als Rechtfertigung für den Ausschluss des leiblichen Vaters vom Zugang zur rechtlichen Elternstellung anerkannt werden dürfe. Und zwar dann nicht, wenn der leibliche Vater – als ihm die rechtliche Vaterschaft wie im vorliegenden Fall offenstand – alles getan habe, diese zu erlangen. Maßgeblicher Zeitpunkt im Sinne von § 1600 Abs. 3 S. 1 könne in Sonderkonstellationen eben auch der Einleitung des Vaterschaftsanerkennungsverfahrens durch den leiblichen Vater selbst sein.
Verfassungsbeschwerde gegen Beschluss des OLG Naumburg
Im vorliegenden Fall aber hatte sich der leibliche Vater indes über die Entscheidung zu früh gefreut. Denn gegen den Beschluss des AG legten Kindsmutter und der rechtliche Vater Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Naumburg ein. Darin verwiesen sie auf einen Beschluss des BGH vom 24.03.2021 (BGHZ 223, 239). Deutschlands höchstes Zivilgericht hatte die Anfechtung der Vaterschaft durch den leiblichen Vater für unbegründet erklärt, wenn zum Schluss der letzten Tatsacheninstanz eine sozial-familiäre Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind besteht, auch wenn eine solche zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrages noch nicht vorlag. Das OLG Naumburg schloss sich dieser Rechtsauffassung an und wies den Antrag des leiblichen Vaters auf Anfechtung der Vaterschaft des rechtlichen Vaters als unbegründet ab (Beschl. v. 05.08.2021, Az. 8 UF 95/21).
Gleichzeitig ließ das OLG aber auch Bauchschmerzen mit der getroffenen Entscheidung erkennen: Der Senat verkenne nicht, dass der leibliche Vater in der vorliegenden Konstellation keine Chance habe, die rechtliche Vaterstellung für sein Kind einzunehmen. "Dies ist jedoch eine Folge der gesetzlichen Regelung", so das OLG.
Mit der nun gegen den OLG-Beschluss gerichteten Verfassungsbeschwerde (1 BvR 2017/21) wollen der leibliche Vater und die ihn vertretende Fachanwältin für Familienrecht aus Halle, Franziska Köpke, das BVerfG dazu bringen, die Entscheidung aufzuheben und neu zu fassen. Der OLG-Beschluss greife in das in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verankerte und geschützte Recht des leiblichen Vaters ein, auch die Position des rechtlichen Vaters für sein Kind einzunehmen. Dieser habe seit der Geburt des Kindes alles unternommen, was ihm tatsächlich (Umgangskontakte) und rechtlich (zeitnahe Einleitung des gerichtlichen Vaterschaftsfeststellungsverfahrens vor Vaterschaftsanerkennung sowie gerichtliche Umgangsverfahren) möglich gewesen sei. Das Recht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG sei es im Übrigen auch, sein Kind "vor einem einseitigen Bestimmungsrecht der Mutter zu schützen", heißt es in der Verfassungsbeschwerde.
BRAK sieht "dringenden Handlungsbedarf"
Dass Karlsruhe in dem Verfahren eine mündliche Verhandlung anberaumt hat, könnte ein Indiz dafür sein, dass es sich aufgerufen sieht, seine Rechtsauffassung von 2018 zu präzisieren. Zugunsten leiblicher Väter?
Begrüßen würde dies jedenfalls die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Die Familienrechtler der Kammer warnen in ihrer Stellungnahme an das BVerfG davor, dass in Fällen wie diesen eine Vaterschaftsanerkennung des neuen Partners missbraucht werde, um den leiblichen Vater aus dem Leben des Kindes und der Kindesmutter zu drängen. In derartigen Fällen treffe die Rechtsprechung eine erhebliche Verantwortung, sich für das Wohl der betroffenen Kinder einzusetzen und zu verhindern, dass individuelle Beziehungsinteressen der Beteiligten den Interessen und dem Wohl des Kindes vorgezogen werden. Das Vorenthalten eines sich um eine Bindung zu dem Kind bemühenden leiblichen Elternteils bringt laut BRSK nicht selten traumatische Erfahrungen mit sich, "welche das gesamte Beziehungsverhalten einer Person potenziell nachhaltig beeinträchtigt".
Es bestehe daher "dringender Handlungsbedarf, die aktuelle Gesetzeslage und die darauf basierende Rechtsprechung [...] grundlegend zu hinterfragen und zu reformieren", so die BRAK. Die Rechtsprechung rege "geradezu dazu" an, "in dem stets bekundeten Interesse, die sozial-familiären Bindungen innerhalb eines bestehenden Familiengefüges nicht zu stören, die Existenz des biologischen Vaters zu verheimlichen".
Juristinnenbund skeptisch
Ob sich das BVerfG darauf einlässt, bleibt abzuwarten. Deutlich skeptischer äußerte sich gegenüber dem Gericht der Deutsche Juristinnenbund (djb). Dem Schutz des Kindes und seiner sozialen Familie komme im Rahmen der Abwägung und "der gesetzgeberischen Zuweisung bzw. Korrektur der Elternstellen" ebenfalls eine erhebliche Bedeutung zu, mahnte der Verband. Allerdings räumte auch der djb in seinen Ausführungen ein, dass nicht zuletzt angesichts seiner Bereitschaft, die Elternverantwortung zu übernehmen, der Beschwerdeführer "durchaus gewichtige Gründe auf seiner Seite" habe.
Rechtlich irrelevant sind nach Ansicht des djb unterdessen die tatsächlichen familiären Umstände, auf die der leibliche Vater hinweist – nämlich: dass der dreijährige Sohn, um den gestritten wird, bereits das sechste Kind der Mutter ist, die Kinder von vier verschieden Vätern stammen, keines dieser Kinder regelmäßigen Umgang mit dem jeweiligen Vater hat und die Mutter Sozialleistungen empfängt. Das, so der djb, rücke die Mutter "in ein schlechtes Licht", sei aber "rechtlich unerheblich".
Verhandlung vor dem BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 25.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52780 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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