Renate Künast bezieht Prügel, nachdem sie auf Twitter fragte, warum die Polizei den Attentäter von Würzburg nicht bloß angriffsunfähig geschossen habe. Dabei ist die Frage berechtigt, die Empörung eher ein Ventil für die Wut über die Tat.
Am Montagabend hat ein 17-jähriger afghanischer Flüchtling in einem Regionalzug Richtung Würzburg mindestens vier Menschen mit einer Axt verletzt; zwei von ihnen schweben derzeit in Lebensgefahr. Nachdem ein Fahrgast den Zug per Notbremse gestoppt hatte, trat der Täter zu Fuß die Flucht an. Nach Polizeiangaben wurde er dabei von einem zufällig in der Nähe befindlichen Sondereinsatzkommando gestellt und durch mehrere Schüsse getötet.
Die Grünen-Politikerin und Vorsitzende des Rechtsausschusses*, Renate Künast, schrieb kurz nach Bekanntwerden des Geschehens auf Twitter: Tragisch und wir hoffen für die Verletzten. Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden???? Fragen!
Daraufhin entwickelte sich zunächst ein recht ziviler Dialog zwischen der örtlichen Polizei und der Politikerin. Etliche andere Kommentatoren fanden indes weit härtere Worte für Künasts Äußerung, die vielfach als Kritik des polizeilichen Vorgehens interpretiert wurde. So warf etwa der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, Künast in der Saarbrücker Zeitung "Klugscheißerei" vor. "Vielleicht sollte man Politikern grundsätzlich empfehlen, bei solchen Ereignissen 24 Stunden lang nicht zu twittern", so Wendt.
Der Medienanwalt Ralf Höcker meint gar, die Politikerin habe die Polizisten eines strafbaren Tötungsdelikts verdächtigt: "Wann hört die irre #Künast endlich auf zu twittern?", fragt er auf Facebook.
Tödlicher Schusswaffengebrauch nur im äußersten Notfall erlaub
Die Reaktionen sind angesichts der klaren Sympathieverteilung wenig überraschend. Man mag daher auch Zweifel haben, ob Künasts Äußerung politisch sonderlich klug war. Juristisch hingegen ist ihre Nachfrage weit weniger abwegig als die Reaktionen glauben machen. Denn der Einsatz von Schusswaffen gegen Menschen ist nach dem einschlägigen Bayerischen Polizeiaufgabengesetz (BayPAG) nur unter engen Voraussetzungen erlaubt. Ein Schuss auf Körperpartien wie Kopf oder Brust, wo ein Treffer höchstwahrscheinlich zum Tod führen wird ("finaler Rettungsschuss"), stellt die absolute ultima ratio des Polizeirechts dar und darf nur unter äußerst engen Voraussetzungen abgegeben werden. Art. 66 Abs. 2 S. 2 BayPAG setzt insoweit voraus, dass der Schuss "das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit" ist.
Ob eine solche Gefährdungslage bestand, kann ohne genaue Kenntnis des Geschehens vor Ort niemand sagen. Klarheit wird hierzu erst das Prüfungsverfahren bringen, welches die Staatsanwaltschaft (wie in solchen Fällen üblich) inzwischen eingeleitet hat. Montagnacht war in Medienberichten jedoch zunächst ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums zum Teil nur mit der Aussage zitiert worden, der Täter sei "auf der Flucht" erschossen worden. Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann präzisierte hingegen, der Täter sei "aggressiv mit der Axt auf die Beamten losgegangen", was sehr viel eher eine Gefährdungslage i.S.d. Art. 66 Abs. 2 S. 2 darstellen dürfte. Auch dann wäre der "finale Rettungsschuss" aber nur erlaubt, wenn er das einzige Mittel zur Gefahrenabwehr gewesen sein sollte.
Das ist auch denkbar, wenn der Täter (wie hier) "nur" im Nahkampf angreifen kann, sofern die Distanz zwischen ihm und dem Beamten bereits so gering ist, dass ein Schuss z.B. auf die Beine den Angriff nicht mehr verlässlich würde abwehren können. Aber selbst dann wäre Künasts Kommentar nicht vollends aus der Luft gegriffen, da man immerhin fragen könnte, wie es dem Jugendlichen möglich war, sich einem Sondereinsatzkommando der Polizei so weit zu nähern, dass der anschließende Angriff sich nur noch durch die Tötung des Angreifers abwehren ließ.
Ultima-Ratio-Prinzip gilt unabhängig von Motivlage des Täters
Daneben kommt allerdings auch ein Fall des Art. 67 BayPAG in Betracht, der den Schusswaffeneinsatz unter deutlich weiteren Bedingungen zulässt (z.B. auch zur Fluchtverhinderung bei Verbrechensverdacht). Von der Vorschrift sind in Abgrenzung zu Art. 66 nur Schüsse erfasst, die nicht in der Erwartung abgegeben werden, dass der Täter an ihnen sterben wird – was im Einzelfall insbesondere bei Fehlgehen des Schusses allerdings gleichwohl geschehen kann.
Angesichts der Bewaffnung und offenkundig enormen Gewaltbereitschaft des Täters spricht Manches dafür, dass das Vorgehen der Polizei sich als rechtmäßig erweisen wird. Dennoch ist es legitim, polizeiliches Handeln zu hinterfragen, wenn es zum Verlust eines Menschenlebens geführt hat. Das Ultima-Ratio-Prinzip ist gegenüber (islamistischen) Attentätern nicht weniger bindend als gegenüber geistig Verwirrten oder sonstigen Tätern, völlig unabhängig von ihrer Motivlage.
Wohin ein zu unkritischer Umgang mit polizeilicher Gewaltanwendung führen kann, lässt sich in den Schlagzeilen amerikanischer Nachrichtenmedien nahezu täglich beobachten. Eine kritische Nachfrage angesichts eines fragwürdigen Sachverhalts ist keine Anmaßung und auch gewiss nicht die Verdächtigung einer Straftat, sondern die Ausübung wünschenswerter Kontrolle. Und wenn sich im Zuge der Ermittlungen ergibt, dass das Vorgehen der Polizei einwandfrei war, dann ist das keine Niederlage für Künast, sondern ein Gewinn für beide.
*Falsches Amt korrigiert, 20.07.2016, 9.57 Uhr.
Constantin Baron van Lijnden, Empörung über Twitter-Kommentar von Renate Künast: . In: Legal Tribune Online, 19.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20051 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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