Die Rolle der Jury im Prozess Depp vs. Heard: Die mäch­tigen Unbe­kannten

Gastbeitrag von Prof. Dr. Kirk W. Junker

29.05.2022

Nach langem Prozess ist es nun an der Jury den Fall Depp vs. Heard zu entscheiden. Welche Rolle kommt ihr zu, wie wurde sie ausgewählt, was passiert, wenn die Jury sich nicht einigen kann? Rechtsprofessor Kirk W. Junker klärt auf.

In den letzten Wochen wurde der Weltöffentlichkeit jedes intimste Detail aus der Beziehung von Johnny Depp und Amber Heard präsentiert und jede Mimik aller Prozessbeteiligten präsentiert. Nur die Geschworenen werden von den Kameras verschont. Doch ihnen kommt die entscheidende Rolle zu, über die Tatsachenfragen des Prozesses zu entscheiden: Hat Amber Heard mit falschen Behauptungen absichtlich versucht, den Ruf von Johnny Depp zu zerstören? Und – was die Gegenklage von Heard gegen Depp angeht – hat er sie missbraucht und später eine Verleumdungskampagne gegen sie inszeniert?  

Bei der rechtlichen und prozeduralen Betrachtung des Falles muss man sich davor hüten von "US" oder "amerikanischem" Recht zu sprechen. Jeder Staat hat im Vergleich zu den deutschen Bundesländern eine erhebliche Unabhängigkeit und Souveränität. In diesem Fall ist das Recht des Bundesstaates Virginia ausschlaggebend für den Ausgang des Verfahrens, da der angeblich verleumderische Artikel von der Zeitung Washington Post veröffentlicht wurde, deren Druckerei und Online-Server sich in Virginia befinden.  

Woher kommt die Bedeutung der Jury in den USA?

Die Rolle der Geschworenen besteht darin, die Öffentlichkeit in den Rechtsprozess einzubeziehen, so wie es die Schöffen – in deutlich geringerem Ausmaß – in Deutschland in Strafsachen tun. Als die Vereinigten Staaten im 18. Jahrhundert gegründet wurden, gab es in vielen Ländern Europas noch Geschworene. Doch während die europäischen Staaten Revolutionen, Kriege und Veränderungen erlebten, war dies in den USA nicht der Fall. Das Rechtsystem hat sich dort in den Jahrhunderten nicht wesentlich verändert, so dass es auch bei Geschworenen in den USA blieb.  

Die Verfassung der USA von 1789 garantiert das Recht auf ein Schwurgerichtsverfahren in Strafsachen. Sowohl Artikel III der US-Verfassung als auch die sechste Verfassungsnovelle schreiben vor, dass Strafsachen vor Bundesgerichten von Geschworenen verhandelt werden müssen. Durch die vierzehnte Verfassungsnovelle wurde dieses Erfordernis in Strafsachen auf die Bundesstaaten ausgedehnt. Im Vergleich dazu schreibt die Siebte Verfassungsnovelle in Zivilsachen eine Jury nur in Bundeszivilprozessen vor; also nicht für einzelstaatlichen Gerichte. Dennoch gewähren alle Staaten mit Ausnahme von Louisiana in fast allen Zivilverfahren das Recht auf ein Schwurgerichtsverfahren, wenn es nur um Geldansprüche geht.  

Auch das Gesetz von Virginia sieht die Möglichkeit von Geschworenen auf Antrag einer Partei auch in Zivilprozessen vor, wenn – wie im Fall Depp vs. Heard – der Streitwert hoch genug ist. Zivilprozesse sind oft nicht so spannend wie Strafsachen, so sie in Film und Fernsehen nur selten gezeigt werden. Daher ist die Öffentlichkeit oft nicht mit Geschworenen in Zivilsachen vertraut.

In Zivilsachen richten sich die Größe der Geschworenen und ihre Stimmenmehrheit nach dem geltenden Bundes- oder Landesrecht. In diesem Fall schreibt die Verfassung von Virginia mindestens fünf Geschworene vor (im Fall Depp vs. Heard sind es sieben). 

Prozessbeteiligte schauen in Richtung der Jury als diese aus der Mittagspause kommt - picture alliance / EPA | Steve Helber / POOL

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Wie entscheiden die Geschworenen?

Die Geschworenen entscheiden nur über die Fakten des Falles. Ein Beispiel aus dem Depp-Heard-Prozess wäre, ob er sie mit einer Flasche sexuell angegriffen hat. Alle Rechtsfragen werden hingegen von der Richterin entschieden, so wie es auch der Fall wäre, wenn keine Geschworenen anwesend wären. 

Es gilt die Annahme, dass das Entscheiden von Fakten nichts mit der juristischen Ausbildung zu tun hat und die Geschworenen mindestens genauso qualifiziert sind, über Tatsachen zu entscheiden wie Richter. So lässt sich etwa auch ein Richter von Medien beeinflussen. Eine Jury mit mehreren Geschworenen soll insoweit für die Wahrheitsfindung eine größere Gewähr bieten als etwa die Einzelentscheidung eines Richters. 

Die Verfassung verlangt ein einstimmiges Votum der Geschworenen nur in Strafsachen, nicht aber in Zivilsachen. Die Staaten können hier frei entscheiden. Virginia hat sich für Einstimmigkeit auch in Zivilsachen entschieden. Genau wie im Filmklassiker mit Henry Fonda "Die 12 Geschworenen" beraten die Geschworenen so lange, bis sie zu einem einstimmigen Ergebnis kommen. Die Richterin kann die Geschworenen wiederholt über ihre Rolle bei der Feststellung des Sachverhalts belehren. Theoretisch ist es möglich, wenn auch unwahrscheinlich, dass die Geschworenen, egal wie lange sie beraten, nicht zu einer einstimmigen Entscheidung kommen. In einem solchen Fall werden die Geschworenen entlassen und es muss ein neues Verfahren durchgeführt werden.

Wie werden Geschworenen ausgewählt?

Jeder Staat ist in Justizverwaltungsbezirke unterteilt. Alle Bezirke eines Staates wenden zwar dasselbe Recht an, unterscheiden sich aber in der Verwaltung, einschließlich der Auswahl der Geschworenen. Die Verwaltungen können Wahlunterlagen, Steuerunterlagen, Führerscheinakte oder andere öffentliche Unterlagen für die Auswahl der Geschworenen verwenden. Wenn eine Person benachrichtigt wird, dass sie sich als Geschworener melden soll, muss sie dies tun. Das Versäumnis, sich zu melden, wird in der Regel als Straftat gewertet.

Ein Verwaltungsangestellter versammelt eine Gruppe potenzieller Geschworener für eine Verhandlung. Danach können die Anwälte beider Seiten den potenziellen Geschworenen Fragen stellen, um festzustellen, ob sie mit den Parteien verwandt oder voreingenommen sind. Dieses Verfahren wird "voir dire" genannt und stammt noch aus der Zeit, als das englische Recht auf Französisch praktiziert wurde. 

Anwälte haben in der Regel unbegrenzte Ablehnungsmöglichkeiten aus wichtigem Grund. Ein solcher liegt vor, wenn nachgewiesen werden kann, dass der potenziell Geschworene den Sachverhalt nicht unabhängig und ohne Voreingenommenheit oder Vorurteile beurteilen kann. Allein der Umstand, dass er eine oder beide Parteien kennt, führt aber nicht zur Annahme der Befangenheit. Anwälte haben in der Regel auch die Möglichkeit eine gewisse Anzahl von potenziellen Geschworenen abzulehnen, obwohl es keine Belege für eine Befangenheit gibt, die Anwälte diese aber gleichwohl befürchten. Dabei ist sogar ein eigener Berufszweig entstanden. So gibt es professionelle Geschworenenberater, die mit den Anwälten zusammenarbeiten und versuchen, die Psychologie der Geschworenen auf der Grundlage der begrenzten Informationen, die ihnen aus der Befragung vorliegen, zu antizipieren.

Wie wurden die Geschworenen aufgeklärt und beraten?

Vor Beginn der Verhandlung erklärte die Richterin, im Fall Depp vs Heard Judge Penney Azcarate, den Geschworenen ihre Rolle und den Ablauf des Prozesses. Während der Verhandlung belehrte sie die Geschworenen weiter, damit sie das Verfahren verstehen. Wenn ein Anwalt Einwände gegen eine Frage des gegnerischen Anwalts oder gegen die Antwort oder das Verhalten eines Zeugen erhob ("objection"), konnte die Richterin die Geschworenen anweisen, diese Frage oder Aussage nicht zu berücksichtigen. Am Ende der Verhandlung erteilte die Richterin den Geschworenen Standardanweisungen zum Verfahren zur Feststellung des Sachverhalts sowie spezielle Anweisungen für die Geschworenen in Bezug auf bestimmte Sachverhalte, sofern dies von den Anwälten beantragt und genehmigt wurde.

Die Jury hat die Macht, über Millionensummen zu entscheiden | picture alliance / EPA | BRENDAN SMIALOWSKI / POOL

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Wird die Jury von der Öffentlichkeit abgeschirmt?

Die Geschworenen sollen unabhängig von dem, was sie außerhalb des Gerichtssaals über den Fall gehört oder gesehen haben, die von den Zeugen im Gerichtssaal vorgetragenen Fakten beurteilen. Dies ist vor allem in einem Fall wie Depp vs. Heard schwierig, bei dem es sich um ein Hauptthema in den Medien handelt. Dennoch wurden die Geschworenen nicht von der Öffentlichkeit abgeschirmt, wie dies etwa im Strafprozess um O.J. Simpson der Fall war, in dem die Jury für acht Monate in einem Hotel einquartiert wurde. Um der Befangenheit vorzubeugen, wies die Richterin im Fall Depp vs. Heard die Geschworenen an, mit niemandem über den Prozess zu sprechen und nicht einmal ihre Handys zu benutzen. Ob dies tatsächlich umgesetzt wurde, dürfte zweifelhaft sein. 

Am kommenden Dienstag kommen die Geschworenen erneut zusammen. Ob sie sich dann bereits einigen können, ist völlig offen. Eine Jury-Beratung kann wenige Minuten oder Stunden oder Tage dauern. In wenigen Einzelfällen konnte sich die Jury erst nach Monaten einigen.

 

Prof. Dr. Kirk W. JunkerDer Autor Professor Dr. Kirk W. Junker ist Inhaber des Lehrstuhls für US-amerikanisches Recht an der Universität zu Köln.

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Zitiervorschlag

Die Rolle der Jury im Prozess Depp vs. Heard: . In: Legal Tribune Online, 29.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48585 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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