Ihre Steuern lässt die Kirche nach wie vor vom Staat verwalten. Die FDP Sachsen will das nun ändern, die Kirche soll künftig selbst ihre Gelder eintreiben. Thomas Traub erklärt den status quo, der für beide Seiten ökonomisch sinnvoll ist, und warum der Vorschlag eher von Papst Franziskus als von den Liberalen kommen müsste.
Jedes Jahr nehmen die Kirchen etwa neun Milliarden Euro Kirchensteuer ein. Berechnet und eingezogen wird dieses Geld ganz überwiegend von den staatlichen Finanzämtern. Auf ihrem Landesparteitag am vergangenen Wochenende haben die sächsischen Liberalen dieses System in Frage gestellt und vorgeschlagen, den Kirchen künftig den Einzug ihrer Steuer selbst zu überlassen.
Der Vorschlag hat wenig Aussicht, umgesetzt zu werden. Verfassungsrechtlich braucht man ihn nicht, vertragsrechtlich ist er höchst problematisch und rechtspolitisch wird er vom sächsischen Koalitionspartner, der CDU, abgelehnt.
Eine echte Steuer, kein Mitgliedsbeitrag
Das Grundgesetz (GG) garantiert die Kirchensteuer. Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 Weimarer Reichsverfassung (WRV) sind die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften berechtigt, Steuern zu erheben. Die Kirchensteuer ist also tatsächlich kein Mitgliedsbeitrag, sondern eine echte Steuer –eine öffentlich-rechtliche Abgabe, die ohne Zweckbindung und ohne Anspruch auf eine besondere Gegenleistung erhoben wird.
Neben den beiden großen christlichen Kirchen erheben in Deutschland auch jüdische Gemeinden, die altkatholische Kirche und einige kleinere Religionsgemeinschaften Kirchensteuern. Nach dem Wortlaut der Verfassung geschieht dies auf Grund "bürgerlicher Steuerlisten". Dies waren ursprünglich die amtlichen Zusammenstellungen über die Ergebnisse der Veranlagung zu den Reichs-, Landes- und Gemeindesteuern. Zwar werden diese Steuerlisten seit langem nicht mehr erstellt, bei vielen Arbeitnehmern findet gar keine Veranlagung statt, wenn die Einkommensteuer als Lohnsteuer erhoben wird.
Die Kirchen haben dennoch weiterhin einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, ihr Besteuerungsrecht ordnungsgemäß ausüben und effektiv Kirchensteuern erheben zu können.
Kein Verstoß gegen das Staatskirchenverbot und die Religionsfreiheit
Umsetzen müssen dies die Länder. Dazu könnten sie es dabei belassen, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine kircheneigene Steuerverwaltung schaffen und den Kirchen die notwendigen Daten zu übermitteln. Sie haben sich aber in ihren Kirchensteuergesetzen übereinstimmend für einen anderen Weg entschieden. Auf Antrag der Kirchen übernehmen die Finanzämter die Verwaltung, Festsetzung und Erhebung der Kirchensteuer.
Dieser Weg ist zwar verfassungsrechtlich nicht zwingend, aber unproblematisch. Er verstößt weder gegen das Staatskirchenverbot gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV noch ist der Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates verletzt. Denn institutionell bleiben staatliche und kirchliche Behörden bei diesem Verfahren strikt getrennt und der Staat identifiziert sich auch nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft.
So hat denn auch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass das Lohnsteuerabzugsverfahren, bei dem die Kirchensteuer zusammen mit der Lohnsteuer direkt vom Gehalt abgezogen wird, weder die negative Religionsfreiheit der Arbeitnehmer noch die der Arbeitgeber verletzt. Denn die Arbeitgeber handeln insoweit nicht unmittelbar zwangsweise für religiöse Zwecke, sondern als "Hilfsorgan des Steuerfiskus" (Beschl. v. 17.02.1977, Az. 1 BvR 33/76).
Erfolglos blieb auch der Antrag eines Steuerpflichtigen, ihm eine Lohnsteuerkarte ohne jede Angabe der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft auszustellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah in der Verpflichtung, diese Information auf der Steuerkarte zu erteilen, keine Verletzung der negativen Religionsfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Urt. v. 17.02.2011, Nr. 12884/03).
Vertragliche Zusicherung
Dieses Verfahren ist nicht nur in den Kirchensteuergesetzen der Länder geregelt, sondern auch vertraglich gesichert. Modellcharakter hat insoweit der "Loccumer Vertrag" aus dem Jahre 1955, ein Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Landeskirchen. Dort haben Staat und Kirchen vereinbart, die Erhebung der Kirchensteuer auf die Finanzämter zu übertragen.
Interessanterweise haben nach der Wiedervereinigung alle ostdeutschen Bundesländer – unabhängig von politischen Mehrheiten – Verträge mit den evangelischen und katholischen Kirchen abgeschlossen, die das kirchliche Recht auf eine staatliche Verwaltung der Kirchensteuer festschreiben. Auch der evangelische Kirchenvertrag und das katholische Konkordat in Sachsen enthalten solche Regelungen. Sachsen würde daher vertragsbrüchig, beendete es die staatliche Erhebung der Kirchensteuer gegen den Willen der Kirchen. Ministerpräsident Tillich hat den Kirchen denn auch umgehend Vertragstreue zugesichert.
Ökonomische Win-Win-Situation
Das Verfahren ist außerdem für beide Seiten ökonomisch sinnvoll. Für die staatlichen Behörden ist der Aufwand überschaubar. Denn die Kirchensteuer wird zum ganz überwiegenden Teil in einem "Huckepacksystem" erhoben. Es gibt keine eigenen Regelungen über die Bemessungsgrundlage, Steuerfreibeträge und abzugsfähige Ausgaben. Stattdessen beträgt die Kirchensteuer schlicht neun Prozent (teilweise auch nur acht Prozent) der Einkommensteuerschuld, die die Finanzämter ohnehin berechnen müssen.
Die Kirchen zahlen den Ländern dafür einen kostendeckenden Betrag in Höhe von zwei bis vier Prozent der Kirchensteuer und können sich dafür den Aufbau einer eigenen Kirchensteuerverwaltung sparen.
Eine ganz andere Frage ist, ob die Kirchensteuer ein angemessenes System ist oder ob andere Formen der Finanzierung dem kirchlichen Auftrag und Selbstverständnis besser gerecht werden. Die innerkirchliche Kritik hat beachtenswerte theologische und pastorale Argumente auf ihrer Seite.
Jüngste Anstöße für die Diskussion geben die Forderung Papst Benedikts XVI. nach einer "Entweltlichung der Kirche" und der Wunsch des neuen Papstes Franziskus nach einer "armen Kirche für die Armen". Doch ob die Kirchen das ihnen grundgesetzlich verbürgte Angebot annehmen, Steuern erheben zu können und ob sie dabei mit dem Staat zusammenarbeiten – diese Entscheidung muss in einem säkularen Rechtsstaat den Kirchen selbst überlassen bleiben.
Der Autor Thomas Traub ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kirchenrecht der Universität zu Köln.
Thomas Traub, Einzug der Kirchensteuer: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8434 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag