Im BMJV werden Pläne für eine Reform des Kindschaftsrechts entwickelt. Vor allem ein automatisches Sorgerecht für unverheiratete Väter und ein Umgangsrecht nur noch für Dritte gehören dazu.
Das Kindschaftsrecht steht vor einer umfassenden Neujustierung. Nach den Plänen einer Arbeitsgruppe (AG) des Bundesjustizministeriums (BMJV) sollen Kinderrechte und elterliche Verantwortung deutlich gestärkt werden. Unverheiratete Väter sollen automatisch sorgeberechtigt sein.
Rund eineinhalb Jahre haben acht Familienrechtler aus Wissenschaft, Justiz und Anwaltschaft im BMJV darüber beraten, wie das zuletzt 1998 umfassend geänderte Sorge- und Umgangsrecht (insbesondere bei gemeinsamer Betreuung nach Trennung und Scheidung) an moderne Betreuungsmodelle und geänderte Lebenswirklichkeiten vieler Familie angepasst werden kann.
Herausgekommen sind nunmehr 50 Thesen und Empfehlungen, die eine grundlegende Reform des geltenden Kindschaftsrechts bedeuten würden. Manche von ihnen bergen politisches Konfliktpotential. Teilnehmer der AG rechnen nun damit, dass das BMJV innerhalb des nächsten halben Jahres auf dieser Grundlage einen Gesetzesvorschlag auf den Tisch legen wird.
Sorgerecht für unverheiratete Väter, kein Entzug des Sorgerechts mehr
Eines der Ergebnisse wird die öffentliche Diskussionen ganz besonders erhitzen: Die elterliche Sorge soll den rechtlichen Eltern eines Kindes von Anfang an gemeinsam zustehen. Heißt: Auch unverheiratete Väter, deren Vaterschaft rechtlich anerkannt ist, sollen künftig mit Geburt des Kindes wie die Mutter automatisch sorgeberechtigt sein. Bislang bedurfte es hierfür einer gemeinsamen Sorgeerklärung beider Eltern. Weigerte sich die Mutter jedoch, mit dem Vater das Sorgerecht zu teilen, musste der Vater dann den Weg übers Familiengericht gehen.
Eine Möglichkeit, die es zugunsten unverheirateter Väter allerdings auch erst seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010 gibt, auf das der Gesetzgeber 2013 reagiert hatte: Seither macht es § 1626a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtehelichen Vätern möglich, das gemeinsame Sorgerecht für ein gemeinsames Kind auch ohne Zustimmung der Kindesmutter auf gerichtliche Anordnung hin zu erhalten. Dieser mühsame Gerichtsweg soll den unverheirateten Vätern nach den Empfehlungen der Experten künftig erspart bleiben. Sollte die Mutter dann der Auffassung sein, dass eine gemeinsame elterliche Sorge nicht dem Kindeswohl entspricht, müsste hingegen sie den Weg zum Familiengericht beschreiten.
Doch auch vor dem Familiengericht wird nach dem Willen der AG Neues gelten: Ein Entzug des Sorgerechts soll in Zukunft nicht mehr möglich sein. Elternkonflikte sollen durch Regelung der Ausübung der elterlichen Sorge entschieden werden. Dies gelte insbesondere auch für die Betreuung des Kindes, wie es in den Thesen heißt.
Anders ausgedrückt: Wenn es für die Entwicklung des Kindes das Beste ist, mag sich vielleicht die Ausübung der elterlichen Sorge für ein Elternteil auf Null reduzieren, sorgeberechtigt bleibt es dann jedoch trotzdem – auch wenn es das Kind nicht mehr sieht.
Automatisches Sorgerecht schon immer ein Zankapfel
Teilnehmer der Arbeitsgruppe rechnen damit, dass vor allem die Regelung zum automatischen Sorgerecht bei Frauenrechtsorganisationen auf Kritik stoßen wird. So warnte der Deutsche Juristinnenbund (djb) schon 2010: "Es sind genügend Konstellationen denkbar, in denen eine gemeinsame elterliche Sorge mit der Geburt des Kindes nicht dem Kindeswohl entspricht. So etwa, wenn das Kind einer Zufallsbegegnung entstammt oder die Beziehung schon vor der Geburt durch andauernde Streitigkeiten belastet ist."
Noch ist allerdings offen, ob der djb auch gegen den neuerlichen Vorschlag protestieren wird: "Den aktuellen Vorschlag werden wir sorgfältig prüfen", sagte die Präsidentin des djb, Prof. Dr. Maria Wersig gegenüber LTO. "Bei Einführung des § 1626a BGB vertrat der djb die Meinung, dass die Mutter nicht selten einen guten Grund hat, den Vater nicht immer mit im Boot zu haben. Deshalb wendeten sich die Kolleginnen damals gegen einen Automatismus bei der elterlichen Sorge", so Wersig.
Kritisch äußerte sich bereits jetzt in diesem Punkt der Bundesverband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV): "Das automatische gemeinsame Sorgerecht unverheirateter Eltern wird nun wieder trotz des 2013 mühsam erarbeiteten Kompromisses - gemeinsames Sorgerecht auf Antrag - wieder auf die Agenda gesetzt."
Betreuungspflicht für Eltern - Umgangsrecht für Dritte
Die Familienrechtler der AG überzeugen diese Einwände indes nicht. Der Vorschlag zur automatischen, gemeinsamen Sorge für beide Elternteile wurde in der BMJV-AG ohne Gegenstimme angenommen. "Diese Regelung stellt eine Art Leitbild der Reform dar", betont Rechtsanwältin Eva Becker, Mitglied der AG und Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltsverein, gegenüber LTO.
Überhaupt schlagen die Experten dem BMJV vor, manche Begriffe im Kindschaftsrecht in einen neuen Kontext zu stellen und ihnen damit auch eine neue Bedeutung zu verleihen. So sollen fortan von ihren Kindern getrennt lebende Eltern nicht mehr auf ein bloßes Umgangsrecht verwiesen werden. Dieses soll es nur noch für Dritte (Großeltern, Geschwister, leiblicher, aber nicht rechtlicher Vater, andere enge Bezugspersonen) geben. Mit dieser Änderung will die AG vor allem deutlich machen, dass die Betreuung des Kindes nicht mit der Trennung der Eltern endet. Im Falle eines Elternkonflikts würde das Gericht kein Umgangsrecht mehr definieren, sondern orientiert am Kindeswohl Betreuungszeiten und Betreuungsanteile festlegen.
Apropos Kindeswohl: Dieser überragend wichtige Begriff findet sich derzeit versteckt etwa in § 1697a BGB. Fortan soll der Kindeswohlmaßstab, wie von den Experten vorgeschlagen, "seiner Bedeutung entsprechend" als Grundsatz im entsprechenden Abschnitt vorangestellt werden. Überhaupt sollen wichtige Grundprinzipien des Kindschaftsrecht nicht mehr schwer zu finden in irgendwelchen Absätzen diverser Normen vorkommen, sondern in den Vordergrund gerückt werden. Etwa die Pflicht der Eltern, sich bei der Wahrnehmung ihrer elterlichen Sorge vom Wohl des Kindes leiten zu lassen und sich bei Meinungsverschiedenheiten zu einigen. Auch die Gewaltfreiheit der Erziehung soll als Leitprinzip künftig besonders hervorgehoben werden.
Keine Sonderregelung für das Wechselmodell
Eine Absage erteilten die Experten dem Wunsch, ein bestimmtes gesetzliches Leitbild für ein bestimmtes Betreuungsmodell – etwa das paritätische Wechselmodell – in das BGB einzuführen. Vielmehr sollen alle Betreuungsformen bis hin zum Wechselmodell im Rahmen einer am Kindeswohl orientierten Einzelfallentscheidung angeordnet werden können.
Doch dass das sogenannte Residenzmodell, bei dem das Kind nur von einem Elternteil betreut wird, auch für die Experten der Arbeitsgruppe trotzdem ein wenig ausgedient hat, findet sich in ihrer Empfehlung wieder, bei der Betreuung der Kinder beide Elternteile in die Pflicht zu nehmen. "Die Pflege der Beziehung des Kindes zu beiden Eltern entspricht in der Regel seinem Wohl und soll deshalb als Leitgedanke vorangestellt werden, ohne dass damit eine Aussage über den Umfang der Betreuung verbunden ist."
Im Kindschaftsrecht soll künftig die Rechtsstellung des Kindes besonders gestärkt werden, heißt es in dem Papier: Nicht nur, dass die Berücksichtigung seines Willens als neuer Programmsatz formuliert werden soll. Auch die Verfahrensfähigkeit von Kindern, die bisher nur in eng begrenzten Ausnahmen gegeben ist, soll deutlich ausgedehnt werden. Insbesondere sollen Kinder ab 14 Jahren in ihren höchstpersönlichen Angelegenheiten (etwa in Fragen des Aufenthaltes, der Betreuung, der medizinischen Behandlung oder der Ausbildung) selbstständig antragsberechtigt sein und ihr Wille vorrangig berücksichtigt werden.
Bundesregierung plant Reform des Kindschaftsrechts: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38595 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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