Sachmangel, digitale Sache und eine Aktualisierungspflicht: Ab 2022 sollen neue Regeln für Kauf- und Verbrauchsgüterkauf gelten, das BMJV hat Pläne zur Umsetzung der Warenkaufrichtlinie vorgelegt. Maximilian Mayer gibt einen Überblick.
Kaum eine europäische Richtlinie dürfte deutschen Juristinnen und Juristen so präsent sein wie die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Sie prägte für knapp zwei Jahrzehnte das deutsche Kaufrecht, umgesetzt ins BGB durch die Schuldrechtsmodernisierung 2002. Ein Meilenstein auch als Gegenstand der juristischen Ausbildung. Nun heißt es, aber Abschied nehmen.
Im Frühjahr 2019 wurde auf europäischer Ebene nämlich die Warenkaufrichtlinie (kurz: WKRL – (EU)2019/711) verabschiedet und damit das Ende der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie endgültig besiegelt. Die Richtlinie ist bis zum 21. Juli 2021 in nationales Recht umzusetzen und soll für Verträge ab 1. Januar 2022 gelten. Den Regierungsentwurf zur geplanten Umsetzung hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) nun endlich veröffentlicht.
Vollharmonisierung und Update fürs Kaufrecht
Die neue WKRL soll mit vollharmonisierenden Regeln überall dort die Lücken im Kaufrecht füllen, wo sie sich durch die lediglich mindestharmonisierende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auf dem Binnenmarkt ergeben haben. Andererseits soll die WKRL das Kaufrecht fit für die fortschreitende Digitalisierung von Produkten aller Art machen. Smarte oder digitale Funktionen sollen nicht lediglich als Beiwerk, sondern als integrale Bestandteile der Sachen aufgefasst werden.
Die wichtigsten Elemente im Gesetzesentwurf sind daher die Neuregelung des Sachmangelbegriffs in § 434 BGB-E, die Einführung einer Sache mit digitalem Inhalt in den §§ 475b ff. BGB-E inklusive einer Aktualisierungspflicht und die Verlängerung der Beweislastumkehr in § 477 BGB-E.
Daneben sieht der Gesetzesentwurf weitere kleinere Anpassungen vor. Hierzu gehören unter anderem die konkretisierenden Ergänzungen der Sonderbestimmungen für Garantien, die Neugestaltung des Ausschlusses von Mängeln bei Kenntnis des Käufers und die praktische Streichung des Fristsetzungserfordernisses bei Verbrauchsgüterkäufen.
Kommt es für den Sachmangel künftig noch mehr auf die Käuferperspektive an?
Nach der Neufassung des § 434 BGB-E ist eine Sache zukünftig frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang sowohl den subjektiven und objektiven Anforderungen als auch den berechtigten Erwartungen an die Montage durch den Verkäufer oder die Montageanleitung entspricht.
Die Änderungen des § 434 BGB bilden damit einerseits das in Deutschland bereits heute vorherrschende subjektive Fehlerverständnis ab: Es kommt zunächst auf die Vereinbarung der Parteien an. Andererseits wird die Bedeutung objektiver Merkmale, wie z.B. die gewöhnliche Verwendbarkeit oder die übliche Beschaffenheit, und der Montageanforderungen gestärkt. Letztere stehen nach dem Gesetzentwurf auch sprachlich gleichrangig auf einer Stufe mit den subjektiven Anforderungen. Ob damit eine Änderung des Sachmangelbegriffs einhergeht, bleibt abzuwarten.
Die Verfasser des Gesetzesentwurfs sehen darin lediglich Änderungen konkretisierender Art, die dem § 434 BGB-E mehr Struktur verleihen sollen. Dennoch kann nicht darüber hinweggesehen werden, dass der durchschnittlichen und verständigen Käufererwartung im Wege der objektiven Anforderungen eine prominentere Rolle als zuvor zugewiesen wird. Dies wird im Fall des Verbrauchervertrags noch verstärkt. Eine privatautonome vertragliche Abweichung von den objektiven Anforderungen ist künftig nur unter engen Voraussetzungen möglich, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB-E.
Die neue Sache mit digitalen Elementen
Die weitreichendsten Änderungen ergeben sich durch die Einführung der §§ 475b ff. BGB-E. § 475b Abs. 1 BGB-E schafft mit der "Sache mit digitalem Element" eine neue Sachkategorie. Entgegen vorheriger Überlegungen findet diese Neuregelung nur auf Verbraucherverträge und nicht auf sämtliche Kaufverträge Anwendung. Hinzukommen verbraucherrechtliche Sonderbestimmungen hinsichtlich Mangelfreiheit, Rücktritt, Schadensersatz und Verjährung.
Nach der Definition in § 475b Abs. 1 S. 2 BGB-E, welche weitgehend der Richtlinie entnommen wurde, ist eine Sache mit digitalem Element eine Sache, die in einer solchen Weise digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen enthält oder mit ihnen verbunden ist, dass sie ihre Funktionen ohne diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht erfüllen kann. Hierunter sollen beispielsweise eine Smartwatch, ein Smart-TV oder ein intelligenter Kühlschrank fallen. Die §§ 475b Abs. 2 – 4 und 475c BGB-E ergänzen in Zukunft die Anforderung an die Mangelfreiheit aus dem neuen § 434 BGB-E für Sachen mit digitalen Elementen.
Künftig kommt es daher zu einer Dreiteilung des Mängelrechts: Für einfache analoge Kaufgegenstände bestimmt sich die Mangelfreiheit nur nach dem neuen § 434 BGB-E. Für Sachen mit digitalen Elementen, also solchen Sachen, die eine qualifizierte Verbindung zwischen Sache und digitalem Element aufweisen, gilt ebenfalls § 434 BGB-E, ergänzt um die neuen §§ 475b Abs. 2 – 4 BGB-E und c BGB-E. Liegt keine qualifizierte Verbindung zwischen der Sache und dem digitalen Element vor, bestimmt sich die Mangelfreiheit des digitalen Elements nach den neuen §§ 327d ff. BGB-E. Diese ergeben sich aus der Umsetzung der Schwesterrichtlinie der WKRL, der Digitalen-Inhalte-Richtlinie (EU) 2019/770. Es wird also nicht gerade übersichtlicher.
Eine zentrale Frage wird daher in Zukunft sein, welches Mängelrecht und damit welche Gewährleistungsrechte einschlägig sind. So intuitiv diese Dreiteilung auf den ersten Blick auch sein mag, kommt es auf die Details an. Entscheidendes Kriterium nach dem Wortlaut ist, dass die Sache in solch einer Weise mit dem digitalen Element verbunden ist, dass ein Fehlen desselben zur Funktionslosigkeit führt. Allerdings schweigt der Gesetzesentwurf darüber, wann dies der Fall sein soll. Die Richtlinie bemüht sich mehr oder weniger erfolgreich in drei Erwägungsgründen eine praktikable Abgrenzung zu skizzieren. Es bleibt dennoch offen und wird damit am Ende weitgehend der Praxis überlassen, den Maßstab und die Reichweite der Sachen mit digitalem Inhalt zu bestimmen. Gute Neuigkeiten für die Verbraucher: Mit dem Verkäufer steht künftig ein zentraler Anspruchsgegner auch hinsichtlich der digitalen Elemente zur Verfügung.
Verkäufer ist zur Aktualisierung verpflichtet
Für den Verbraucher ist von besonderer Bedeutung, dass mit der Einführung der Sache mit digitalem Element dem Verkäufer künftig eine Aktualisierungspflicht für die digitalen Elemente auferlegt wird. Dadurch wird der Kaufvertrag, entgegen dem bisher üblichen Grundverständnis, teilweise zum Dauerschuldverhältnis. Gleiches gilt für die dauerhafte Bereitstellung digitaler Elemente, welche zusätzlich den speziellen Regelungen des § 475c BGB-E unterliegt.
Von großem Interesse ist dabei der Zeitraum für den eine solche Aktualisierungspflicht besteht. Auch hier setzt sich die bei § 434 BGB-E skizzierte Systematik fort. Ist die Dauer der Aktualisierungspflicht im Kaufvertrag nicht vereinbart, kommt es nach § 475b Abs. 4 Nr. 2 BGB-E auf die objektiv zu bestimmende und damit vernünftigerweise zu erwartende Verbrauchererwartung an.
Spätestens hier könnte die objektive Bestimmung in der Praxis regelmäßig für Streit sorgen. Zwar nennt Abs. 4 Kriterien, die für die Bestimmung der Verbrauchererwartung entscheidend sein sollen. Aber Verbrauchern wie auch Händlern wird es regelmäßig nicht möglich sein für eine Vielzahl an Produkten die möglicherweise unterschiedliche Dauer der Aktualisierungspflicht zu bestimmen. Es ist zu befürchten, dass die Regelung, welche zwar eine flexible und produktbezogenen Bestimmung im Sinn hatte, am Ende auf beiden Seiten des Vertrags aber lediglich zu Rechtsunsicherheit führen wird.
Beweislastumkehr
Eine weitere Stärkung des Verbrauchers ergibt sich aus der Verlängerung der Beweislastumkehr. Nachdem der Bundesgerichtshof seit 2016 seine Rechtsprechung an die Interpretation des EuGHs hinsichtlich der Reichweite der Beweislastumkehr angepasst hat, verlängert der neugefasste § 477 Abs. 1 BGB-E diese Beweislast von 6 Monaten auf ein Jahr. § 477 I BGB-E umfasst dabei insbesondere auch die Anforderungen an die Mangelfreiheit aus § 475b BGB-E.
Wird bei einer Sache mit digitalem Element die dauerhafte Bereitstellung des digitalen Elements vertraglich geschuldet, gilt die Beweislastumkehr nach Absatz 2 sogar für den vereinbarten Bereitstellungszeitraum, mindestens aber für zwei Jahre.
Droht Rechtsunsicherheit?
Die Umsetzung der WKRL führt zu weitgehenden Änderungen im geltenden Recht. Für Rechtsanwender wie für Wissenschaft und Studierende halten die WKRL und deren Umsetzung erhebliche Herausforderungen bereit. Für Verbraucher enthält der Gesetzesentwurf viele positive Aspekte. Der Verkäufer hingegen wird deutlich stärker in die Pflicht genommen. Hierbei ist es zwar zu begrüßen, dass der Verbraucher sich insgesamt an den Verkäufer wenden kann.
Ob dieser aber in der Lage sein wird bei Mangelhaftigkeit, insbesondere der digitalen Elemente, schnell und unkompliziert Abhilfe zu schaffen, muss zumindest bezweifelt werden. Die Ambition das Recht an die fortschreitende Digitalisierung anzupassen, ist insgesamt durchweg zu begrüßen. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass in der Praxis die Rechtssicherheit für Käufer und Verkäufer nicht leidet.
Maximilian Mayer, LL.M. (University of Glasgow), B.Sc. (University of London), ist Rechtsanwalt und Akademischer Rat a.Z. an der Universität Bayreuth
Deutschland muss neue Kaufrechts-RL umsetzen: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44311 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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