Es muss das Sommerloch sein. Die Bundesvorsitzende der Linken Katja Kipping fordert: 40.000 Euro im Monat sind genug. Kein Mensch braucht mehr als das Vierzigfache des Mindesteinkommens. 100 Prozent Steuern auf alles, was darüber liegt. Nicht viel, aber immerhin ein Gutes hat der Vorschlag, meint Henning Tappe.
Machen 100.000 Euro im Monat glücklicher als 40.000 oder auch "nur" 4.000 Euro? Darüber lässt sich trefflich streiten. Allerdings sollten die streiten, die das etwas angeht. Den Staat geht es jedenfalls nicht viel an, wie der Einzelne sein Glück definiert. Andererseits: Jeder Staat, ob er einem das persönliche Glück vorschreibt oder nicht, braucht Geld.
Je freiheitlicher der Staat ist, desto eher finanziert er sich über Steuern. Er verlangt seinen Anteil am Einkommen der Bürger und finanziert Gemeinschaftsaufgaben mit Hilfe von Abgaben, die sich in erster Linie an der finanziellen Leistungsfähigkeit der Bürger orientieren. Wer viel hat, zahlt auch viel. So weit so gut.
Was zahlt nun aber nach den Vorstellungen von Kipping derjenige, der 100 Prozent Steuern auf seinen 40.001. Euro im Monat zahlen muss? Einen Euro? Nein, gar nichts. Denn warum sollten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf ein Gehalt von über 40.000 Euro im Monat einigen, wenn von vornherein klar wäre, dass den Arbeitnehmer dieses Geld gar nicht erreicht.
Auch 100 Prozent Steuern bringen nicht mehr Geld für den Staat
Ökonomen könnten das sicherlich mit Kurven und Formeln besser erklären als ein Jurist; aber hier scheint auch der gesunde Menschenverstand auszureichen: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Steuersatz in Höhe von 100 Prozent überhaupt Mehreinnahmen für den Staat erzielen kann.
Selbst wenn die Gewinne eines Unternehmens sprudeln oder die Zinseinnahmen drücken, so dass der Kapitalist scheinbar zu seinen Einnahmen gezwungen wird: Die Welt des Steuerrechts ist voller wirtschaftlicher Gestaltungen, mit deren Hilfe Zuflüsse zeitlich gestreckt oder umgeleitet werden können. Im Zweifel wird das Geld in Kapitalgesellschaften thesauriert und wartet auf bessere Zeiten.
Abgesehen davon: Was ist eigentlich mit Fällen, in denen das Geld unregelmäßig fließt? Man denke an einen Künstler, der jahrelang an einem Werk arbeitet und es dann in einem bestimmten Monat verkauft. Soll sein Gewinn auch auf 40.000 Euro gedeckelt sein? Fragen über Fragen.
Eine Steuer, die eigentlich keine Steuer mehr ist
Aber die eigentlichen Fragen sind verfassungsrechtlicher Natur. Mit dem geltenden Verfassungsrecht dürfte der Spitzensteuersatz von 100 Prozent nur schwer vereinbar sein. Denn Steuern dürfen vom Staat nur zur Erzielung von Einnahmen auferlegt werden. Sobald der Grenzsteuersatz von 100 Prozent erreicht ist, wirkt die Steuer wie ein ordnungsrechtliches Verbot, Einkünfte zu erzielen. Wenn der Einzelne aber nichts mehr verdient, verdient der Staat auch nicht mehr mit. Die Steuer verliert insoweit ihren Charakter als Steuer.
Einerseits stellt sich ein grundrechtliches Problem. Zwar lässt die Auferlegung von Geldleistungspflichten die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG grundsätzlich unberührt. Auch lässt sich aus Art. 14 GG keine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung ("Halbteilungsgrundsatz") ableiten. Denn der Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 GG ("zugleich") reicht zur Begründung einer Höchstbelastungsgrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung nicht aus.
Aber äußerste Grenzen muss die Besteuerung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts denn doch einhalten. Auch wenn man dem Übermaßverbot keine zahlenmäßig zu konkretisierende allgemeine Besteuerungs-Obergrenze der Besteuerung entnehmen kann, darf die steuerliche Belastung auch höherer Einkommen für den Regelfall nicht so weit gehen, dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt wird und damit nicht mehr angemessen zum Ausdruck kommt (BVerfG, Beschl. v. 28.01.2006, Az. 2 BvR 2194/99).
Belastet eine Steuer den Bürger übermäßig und beeinträchtigt seine Vermögensverhältnisse grundlegend, kann sie gegen Art. 14 GG verstoßen (BVerfG Urt. v. 24.07.1962, Az. 2 BvL 15, 16/61). Man spricht dann von einer erdrosselnden Wirkung. Diese besteht darin, dass der Entzug von (Steuer-)Geld einem unmittelbaren Zugriff auf das besteuerte Eigentumsobjekt entspricht und so einer Enteignung gleichkommt.
Silly season
Bei der Erdrosselung geht es eigentlich nicht um das Vermögen des Steuerpflichtigen, sondern darum, dass die Erfüllung des Steuertatbestands praktisch unmöglich gemacht wird. Problematisch ist dabei die Gestaltungswirkung, die sich aus einer überhohen Belastung nahezu zwangsläufig ergibt. Ein Beispiel wäre die Hundesteuer auf Kampfhunde, die das Halten von Kampfhunden zurückdrängen soll. Der staatlich vermittelte Verhaltenszwang muss sich als solcher verfassungsrechtlich rechtfertigen lassen, damit die Steuer nicht gegen Grundrechte verstößt. Eine fixe Einkommensbegrenzung ist in dieser Hinsicht überaus zweifelhaft.
Eine solche als Steuer bezeichnete und erlassene Maßnahme kann andererseits auch formell verfassungswidrig sein. Hat der Bundesgesetzgeber gar nicht die Absicht, damit Einnahmen zu erzielen, dann gewährt ihm Art. 105 GG auch keine Gesetzgebungskompetenz. Dies kommt hier zwar nicht für die gesamte Einkommensteuer in Betracht, da sie insgesamt durchaus noch staatliche Einnahmen ermöglicht. Es kommt aber für den 100-Prozent-Teil in Betracht, der – für sich betrachtet – keine Einnahmen mehr zulässt.
Es sei noch angemerkt: Einen Grenzsteuersatz von 95 Prozent gab es schon einmal. Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom Alliierten Kontrollrat eingeführt. Man ist sich weitgehend einig, dass dieser hohe Steuersatz seinen Beitrag dazu geleistet hat, dass das Einkommensteuerrecht, wie wir es heute kennen, von Ausnahmen und Befreiungen durchlöchert und überhaupt erst so komplex geworden ist. Die hohen Steuersätze wurden durch eine kleinere Bemessungsgrundlage kompensiert.
Wie sagte der ehemalige Finanzminister Steinbrück: "Lieber 25 Prozent von x als 100 Prozent von nix." Jedenfalls so ähnlich. Im Englischen spricht man übrigens statt vom Sommerloch von der "silly season". Irgendwie auch ganz passend. Und ein Gutes hat der Vorschlag immerhin: Es wird Sommer.
Der Autor Dr. Henning Tappe ist Akademischer Rat und Habilitand am Institut für Steuerrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Reichensteuer: . In: Legal Tribune Online, 25.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6467 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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