2/2: "Wo Wettbewerb herrscht, ist es auch sinnvoll, das Kartellrecht anzuwenden"
LTO: Für besondere Aufregung sorgt die geplante Anwendung des Kartellrechts auf die Krankenkassen. Warum standen die Versicherungen bislang nicht unter der Kartellaufsicht?
Meßmer: Weil die deutschen Sozialgerichte die Krankenkassen bisher nicht als Unternehmen qualifiziert haben, da sie überwiegend soziale Zwecke erfüllen und staatlicher Regulierung unterliegen.
LTO: Wie wird sich die Neuregelung auswirken?
Bernhard: Vor allem die größeren Kassen werden insgesamt an Macht verlieren. Das Kartellamt könnte auch das Verhältnis der Krankenkassen untereinander überprüfen. Insbesondere Zusammenschlüsse würden der Kontrolle der Wettbewerbshüter unterliegen. Die Novelle komplettiert die vorausgegangenen gesetzgeberischen Schritte. Bereits 2011 hat der Gesetzgeber die Beziehungen von Krankenkassen zu Arzneimittelherstellern dem Kartellrecht unterstellt.
Die Änderung könnte sich außerdem auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auswirken. Bislang haben auch die Luxemburger Richter Krankenkassen nicht als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts angesehen. Sie haben aber anklingen lassen, dass die Tätigkeiten der Krankenkassen zumindest teilweise durchaus unternehmerisch sind.
LTO: Halten Sie diese Änderung für sinnvoll?
Bernhard: Ja, weil sie die Gegebenheiten widerspiegelt. Es hat sich ein zunehmender Wettbewerb zwischen den Kassen entwickelt. Krankenkasse bieten Wahltarife, Bonusprogramme, Beitragsrückerstattung oder den Verzicht auf Zusatzbeiträge an, um sich voneinander abzugrenzen. Wenn Kassen dabei ihre wirtschaftliche Stärke ausspielen, besteht die Gefahr, dass kleinere Kassen ins Hintertreffen geraten. Zumindest in diesen Bereichen gilt: Wo Wettbewerb herrscht, ist es auch sinnvoll, das Kartellrecht anzuwenden.
"Mehr Macht für das Bundeskartellamt"
LTO: Was sind daneben die Kernpunkte der Gesetzesänderung?
Bernhard: Vor allem zwei Neuerungen sind wichtig: Bei einer untergeordneten wirtschaftlichen Bedeutung einer Fusion können künftig nicht mehr die Unternehmen beurteilen, ob sie auf eine Anmeldung beim Bundeskartellamt verzichten können, weil sie auf so genannten Bagatellmärkten tätig sind. Das sind Märkte mit einem Jahresumsatz von weniger als 15 Millionen Euro. Stattdessen überprüfen nun die Kartellwächter, ob überhaupt ein Bagatellmarkt vorliegt.
Die zweite wichtige Änderung: Den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vermuten die Wettbewerbshüter künftig nicht schon ab 33, sondern erst ab 40 Prozent Marktanteil. Damit entspricht das deutsche Recht nun den EU-Regelungen. Das schafft mehr Freiraum, wenn Hersteller und Abnehmer Preise, Rabatte und Sonderkonditionen individuell aushandeln.
LTO: Bei der Fusionskontrolle soll es künftig darum gehen, ob ein Zusammenschluss von Unternehmen einen wirksamen Wettbewerb erheblich behindern würde. Allein entscheidend ist also nicht mehr, ob die Fusion eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt. Das deutsche Recht wird damit an den unionsrechtlichen SIEC-Test ("significant impediment to effective competition") angepasst. Wie wird sich diese Änderung in der Praxis auswirken?
Meßmer: Das Bundeskartellamt erhält mehr Macht und mehr Entscheidungsspielraum. Die Behörde kann stärker die Auswirkungen von Zusammenschlüssen und die ökonomische Realität berücksichtigen. Unternehmen können hiervon profitieren, wenn sie die Besonderheiten ihres Marktes präzise darlegen. Aber es wird tendenziell schwieriger werden, die Untersagung einer Fusion gerichtlich zu überprüfen. Die neuen Kriterien lassen sich nur schwer exakt fassen.
Auch ökonomische Gutachten werden relevant dafür sein, ob eine Entscheidung der Kartellwächter Bestand hat. Für die Gerichte ist der Umgang mit diesen Analysen aber schwierig. Denn während der Gesetzgeber versucht, abstrakte Rechtssätze für möglichst viele Sachverhalte zu verfassen, versuchen die Ökonomen, die Besonderheiten jedes Einzelfalls korrekt zu analysieren.
LTO: Vielen Dank für das Interview.
Dr. Stefan Meßmer ist Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Menold Bezler Rechtsanwälte Partnerschaft in Stuttgart. Dr. Jochen Bernhard ist dort ebenfalls als Rechtsanwalt tätig. Beide beraten große und mittelständische Unternehmen im Kartellrecht.
Die Fragen stellte Benjamin Lück.
Jochen Bernhard und Stefan Meßmer, Kartellrechtsnovelle: . In: Legal Tribune Online, 14.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8153 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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