Mit der Jerusalema-Challenge wollte tanzendes Personal aus Krankenhäusern, Polizeiwachen oder ÖPNV ein Zeichen in der Pandemie setzen – dann trudelten Abmahnungen ein. Zu Recht? Und ändert die kommende Urheberrechtsreform etwas daran?
Die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Bei der sogenannten Jerusalema-Challenge hatten die Belegschaften von Verkehrsbetrieben, Krankenhäusern, Polizei- und Feuerwachen sowie unzähligen Vereinen und Organisationen zu dem gleichnamigen Song aus Südafrika getanzt und ihre Musikvideos auf Youtube, Instagram und TikTok geteilt. Ein lebendiges Zeichen in der Coronakrise wollten sie setzen. Doch dann flatterten in vielen Fällen Abmahnungen und Rechnungen ins Haus. Der Konzern Warner Music verlangte nachträglich Lizenzgebühren für die Nutzung des Liedes.
So war es auch bei mehreren Polizeidienststellen in Nordrhein-Westfalen, deren Beamtinnen und Beamten zu dem Song des südafrikanischen Sängers Kgaogelo Maogi, Künstlername Master KG, getanzt hatten."Es trifft zu, dass das nordrhein-westfälische Innenministerium die Forderungen von Warner Music für mehrere Polizeidienststellen im Zusammenhang mit der Jerusalema Challenge beglichen hat", sagte die Sprecherin des NRW-Innenministeriums der Deutschen Presse-Agentur.
Die zügige Zahlungsbereitschaft hatte wohl ihren Grund, denn die Rechtslage scheint recht klar.
Wann braucht es für selbstgedrehte Musikvideos eine Lizenz?
"Genau genommen benötigen Nutzer schon vor dem Hochladen eine Lizenz, um Videos wie bei der Jerusalema-Challenge überhaupt mit Musik unterlegen zu können", sagt Dr. Robert Heine, Rechtsanwalt und Partner der Berliner Kanzlei Raue und spezialisiert auf das Urheberrecht. "Man spricht vom Synchronisationsrecht oder Filmherstellungsrecht, also dem Recht, Musik mit Bewegtbildern zu verbinden." Das spätere Hochladen der Videos auf Plattformen wie YouTube bedürfe einer eigenen Lizenz, denn dabei handele es sich um eine gesonderte öffentliche Zugänglichmachung.
"Verkompliziert wird die Angelegenheit dadurch, dass an einer Musikaufnahme wie dem Jerusalema-Song verschiedene Rechte bestehen: Urheberrechte an der Komposition und dem Text eines Liedes auf der einen Seite und Leistungsschutzrechte des ausübenden Künstlers, der das Lied eingespielt hat, und des Tonträgerherstellers an der Aufnahme auf der anderen Seite", ergänzt Dr. Felix Laurin Stang, ebenfalls auf das Urheberrecht spezialisierter Rechtsanwalt bei Raue.
Übertriebene Aufregung um Abmahnungen bei den Jerusalema-Fällen?
Der Knackpunkt für die Frage, ob ein Rechteinhaber eine Rechnung schickt oder stillschweigend duldet: Steht ein kommerzielle oder ein privater Grund hinter der Nutzung? Entscheidend sei dabei, ob die Nutzung das Image eines Unternehmens oder einer Institution fördern soll, so Stang. Bei den tanzenden Belegschaften von Krankenhäusern, Polizeidienststellen oder Mitarbeitenden der Verkehrsbetriebe handelt es sich danach klar um kommerzielle Nutzungen.
"Die aktuelle Aufregung über die Rechnungen für Videos mit der Jerusalema-Challenge ist daher etwas übertrieben", finden die beiden Rechtsanwälte. "Private Nutzungen werden im Allgemeinen geduldet."
Bei nicht-privaten Nutzungen, für die vorher keine Lizenz eingeholt wurde, könnten die Rechteinhaber sogar Abmahnungen versenden lassen und Verbotsrechte geltend machen. Das ist auch richtig, finden die Anwälte. Rechteinhaber müssten nämlich entscheiden können, ob sie die Nutzung ihrer Werke auch dann gestatten wollen, falls etwa eine umstrittene Institution oder politische Partei an der Jerusalema-Challenge teilnehmen oder mit Hilfe der Musik Imageförderung betreiben wollte. Ob man Geld für die Nutzung verlangen muss, sei eine andere Frage, die jeder Rechteinhaber für sich entscheidet. "Allerdings dürfen die Plattenfirmen aufgrund ihrer vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Künstlern auch nicht ohne Weiteres auf Zahlungsansprüche verzichten", erinnert Heine.
Einige Plattformbetreiber haben vorgesorgt und mit den Verwertungsgesellschaften und den großen Plattenfirmen Verträge geschossen, die eine öffentliche Zugänglichmachung von solchem User Generated Content ermöglichen soll. Privilegiert werden sollen also Privatpersonen, die die Plattformen mit im Wesentlichen eigenen Inhalten füllen – das Kerngeschäft von Youtube & Co. "Die Filmherstellung zu nicht-privaten Zwecken ist davon allerdings nicht umfasst und bleibt daher erlaubnispflichtig", so Stang. Für das Hochladen von Videos mit geschützter Musik auf Plattformen wie YouTube benötigen Nutzer deshalb grundsätzlich ebenfalls eine Lizenz.
Auch für Florian Drücke, dem Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), macht es einen Unterschied, ob die Videos aus einem rein privaten Interesse hochgeladen werden oder ob damit im weitesten Sinn eine gewerbliche Absicht verbunden ist. "Nutzerinnen und Nutzer müssen in der Regel keine Erlaubnis für die Verwendung von Musik auf Plattformen wie z.B. Youtube erwerben, wenn sie Videos dort veröffentlichen, weil die meisten Musikunternehmen den Plattformen schon lange Lizenzen dafür einräumen", sagte Drücke der Deutschen Presse-Agentur. Im Falle kommerzieller Nutzungen, etwa durch Unternehmen oder Organisationen, die werbliche oder imagefördernde Videos veröffentlichen, sei es aber üblich, eine entsprechende Lizenz einzuholen. "Das ist lang etablierte Praxis."
Was ändert die anstehende Urheberrechtsreform?
Welche Änderungen für die Zukunft bringt die anstehende Reform des Urheberrechts in Deutschland? Das Bundeskabinett hat Anfang Februar einen entsprechenden Entwurf aus dem Haus der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) beschlossen. Der Entwurf sieht vor, die Plattformen für bei ihnen eingestellte Inhalte zukünftig strenger in die Verantwortung zu nehmen.
Dabei ist auch vorgesehen, dass sie für gesetzlich erlaubte Nutzungen selbst eine angemessene Vergütung an die Rechteinhaber zahlen müssen. Gesetzlich erlaubt sind etwa nach dem Urheberrechtsgesetz Zitate, Karikaturen, Parodien und Pastiche, also Nachahmungen. In diesen Fällen braucht es keine gesonderte Zustimmung durch die Rechteinhaber. Bleibt aber natürlich die Frage: Wann handelt es sich noch um eine erlaubte Nutzung?
"Bei geringfügigen Nutzungen nach § 9 UrhDaG-E, nach aktuellem Entwurf bis zu 15 Sekunden eines Liedes, gilt eine widerlegliche Vermutung, dass es sich um eine gesetzlich erlaubte Nutzung handelt", sagt Heine. "Im Rahmen der Jerusalem Challenge wurden in den meisten Videoclips allerdings größere Ausschnitte aus dem Song verwendet, so dass die Vermutung nicht greifen würde. Auch sonst ist zweifelhaft, ob die Clips als Karikatur, Parodie oder Pastiche eingeordnet werden können."
Nach 'Jerusalema-Challenge': . In: Legal Tribune Online, 03.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44406 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag