Die Grünen bezweifeln, dass die geschädigten Kunden des Wolfsburger Autokonzerns noch zu ihrem Recht kommen. Der Zeitplan der GroKo bei der Musterfeststellungsklage sei "unrealistisch", so ihre rechtspolitische Sprecherin, Katja Keul.
LTO: Frau Keul, der oberste Verbraucherschützer, ihr grüner Parteifreund und heutige Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Klaus Müller, hat die soeben vom Kabinett beschlossene Musterfeststellungsklage (MFK) als "Meilenstein" bezeichnet. Für die grüne Bundestagsfraktion schützt das Gesetz dagegen die Industrie vor dem Verbraucher. Was hat Klaus Müller nicht verstanden?
Katja Keul: Wir Grüne setzen uns für einen echten kollektiven Rechtsschutz ein, um es Verbrauchern zu ermöglichen, sich bei gleichgelagerten Interessen zusammenzuschließen und ihre Rechte ohne Umwege mittels einer Gruppenklage zu erkämpfen. Die GroKo dagegen zwingt mit ihren Plänen die Verbraucher in ein viel zu kompliziertes Verfahren:
Geschädigte Verbraucher müssen erst einen Verband finden, der ihre Rechte für sie geltend macht. Und danach muss dann der Verbraucher selbst noch mal aktiv werden, um an sein Geld zu kommen. Ich glaube, dass dieses Verfahren viele eher abschrecken wird und Verbraucherrechte auf der Strecke bleiben.
Und was die vzbv betrifft: Wir befinden uns nicht nur bei diesem Thema im engen Austausch mit den Verbraucherschützern und Klaus Müller hat auch im Zusammenhang mit der MFK sicher keinerlei Verständnisschwierigkeiten. Er hat den vom Kabinett beschlossen Entwurf übrigens auch als "einen ersten Schritt" und "Kompromiss" bezeichnet. Zu Recht, denn um Verbraucherrechte durchzusetzen bedarf es viel mehr. Aber noch ist das letzte Wort ja nicht gesprochen, schließlich werden wir den Entwurf der Bundesregierung ja noch im Parlament beraten.
"In der Koalition geht es drunter und drüber"
LTO: Aber die Beratung soll doch im Schweinsgalopp erfolgen, damit geschädigte VW-Kunden noch vor Ende der Verjährung bis zum Jahresende ihre Ansprüche geltend machen können?
Keul: Ich habe große Zweifel daran, dass sich die Ansprüche der geschädigten VW-Kunden durchsetzen lassen. Den Abgeordneten wurde am Dienstag im Rechtsausschuss seitens des Justizministeriums ein Zeitplan präsentiert, den ich jedenfalls für unrealistisch halte. Es steht ja noch nicht mal das Register, in das sich die Geschädigten eintragen können.
Und im Übrigen scheint man sich ja in den Koalitionsfraktionen weiterhin nicht über den Kreis der Klagebefugten einig zu sein. CDU-Politiker bezeichnen die Deutsche Umwelthilfe (DUH, d. Red.) als "semi-kriminelle Vereinigung" und wollen ihr die MFK um jeden Preis verwehren. Die SPD-Ministerin Barley meinte dagegen am Dienstag im Rechtsausschuss, es sei "abenteuerlich", wenn man der GroKo diese Absicht im Hinblick auf die DUH unterstelle. Kurzum: Bei diesem Thema geht es in der GroKo drunter und drüber – zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher.
LTO: Drunter und drüber geht es in der GroKo auch bei einer möglichen Reform des strafrechtlichen Werbeverbots nach § 219a StGB. Der SPD hatte die Kanzlerin ja einen Regierungsentwurf bis zur Sommerpause versprochen. Wissen Sie mehr?
Keul: Es wird nun am 27. Juni eine Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss geben. Gegenstand der Anhörung sind bisher allerdings nur Gesetzentwürfe der Opposition. Wenn man die GroKo fragte, ob sie sich denn bis dahin auf einen Gesetzentwurf einigen wird, erntete man nur schweigen.
Ich glaube: In der Koalition rasen gerade zwei Schnellzüge mit Volldampf aufeinander zu: Die SPD will nicht, dass Ärzte weiter kriminalisiert werden, wenn sie lediglich darüber informieren, dass sie legale Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Die Union dagegen möchte § 219a StGB nicht antasten. Dass birgt ordentlich viel Sprengkraft.
"Dobrindt sollte Rechtsstaats-Seminar buchen"
LTO: Der CSU-Landesgruppenchef Dobrindt kritisiert eine "aggressive Anti-Abschiebe-Industrie", die durch Klagen Abschiebungen von Flüchtlingen zu verhindern versuche. Die Bundesrechtsanwaltskammer und die Strafverteidiger sind empört. Ich vermute mal, die Grünen würde Herr Dobrindt politisch auch zu den "Abschiebe-Saboteuren" zählen, oder?
Keul: Ich kann die Empörung der Anwälte absolut nachvollziehen. Schließlich machen sie nichts anderes als ihren Job. Herr Dobrindt sollte dringend ein Rechtsstaats-Seminar buchen. Darin würde er dann lernen, was alles in das anwaltliche Aufgabengebiet fällt. Also auch, dass man negative Behördenentscheidungen durch Gerichte überprüfen lassen kann. Und nicht nur das: Das Recht, gegen belastende Entscheidung vorzugehen, ist im Grundgesetz garantiert und steht sogar Ausländern zu, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde.
LTO: Es fällt auf, dass Anwälte in letzter Zeit immer häufiger zum Sündenbock abgestempelt werden, wenn in der Justiz irgendetwas schiefläuft. Im Strafprozess ist ihnen kürzlich von Unionspolitikern und Richterbund vorgeworfen worden, Prozesse durch missbräuchliches Stellen von Beweis- und Befangenheitsanträgen zu verschleppen. Wie werden Sie sich verhalten, wenn die Vorschläge der GroKO zur Änderung der StPO auf den Tisch gelegt werden?
Keul: Wir werden sie uns anschauen und es dann auch lautstark kritisieren, wenn Beschleunigungswünsche zu Lasten eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehen sollen. Verteidigerrechte dürfen nicht um eines möglichst kurzen Prozess willens eingeschränkt werden. Aber es gibt für uns auch Punkte, die ein Strafverfahren beschleunigen können und über die man reden kann: Etwa eine Bündelung der Nebenklage.
"Grundlegende Reform der Opferentschädigung"
LTO: Die Grünen drängen auch in dieser Legislaturperiode auf Verbesserungen bei der Opferentschädigung.
Keul: Das ist richtig, es bedarf endlich einer grundlegenden Reform der Opferentschädigung. Frau Barley hat im Ausschuss am Dienstag die Summe von sechs Millionen Euro benannt, die im kommenden Haushalt den Opfern terroristischer Gewalt zur Verfügung stehen sollen. Das ist gut, aber auch zu kurz gesprungen: Denn was für einen Unterschied macht es für das Opfer, ob es durch einen Islamisten geschädigt wird oder durch einen psychisch Kranken wie kürzlich in Münster? Außerdem müssen endlich die richtigen Schlussfolgerungen aus dem Anschlag von Breitscheidplatz gezogen werden: Das heißt, dass eine Opferentschädigung auch dann erfolgen muss, wenn die Straftat vorsätzlich mit einem Fahrzeug begangen wurde.
LTO: Einen anderen Schwerpunkt ihrer Arbeit werden Sie im Familienrecht setzen. Wollen Sie wie die FDP beim Umgang mit Trennungskindern das Wechselmodell gesetzlich zum bevorzugten Modell machen?
Keul: Nein, das Wechselmodell kann nur unter bestimmten Bedingungen für alle Beteiligten das beste Modell sein. Es erfordert zum Beispiel ein gehöriges Maß an Kommunikation und Kooperation zwischen den getrennten Elternteilen. Nur dann entspricht es auch dem Wohle des Kindes. Es zum Regelmodell zu machen, halte ich für falsch.
Wir Grüne wollen in prozessualer Hinsicht an das Familienrecht heran: Ein Dorn im Auge ist uns, dass es immer weniger mündliche Verhandlungen im Familienverfahren gibt. Wenn es um so bedeutende Angelegenheiten wie etwa das Umgangsrecht mit einem Kind geht, ist es auch für die Akzeptanz einer Entscheidung wichtig, dass man miteinander spricht.
Außerdem muss im Familienverfahren auch die Nichtzulassungsbeschwerde unter bestimmten Umständen möglich sein, gerade wenn die Berufung ohne mündliche Verhandlung verworfen wurde. Und seit längerem fordern wir Zulassungsvoraussetzungen und Fortbildung für Familienrichterinnen und Familienrichter.
Hasso Suliak, Interview mit der rechtspolitischen Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion: . In: Legal Tribune Online, 16.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28641 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag