Als sie ein Werbeplakat der Bundeswehr austauschen wollte, wurde eine Studentin von der Polizei gestellt. Später wurde ihre Wohnung durchsucht. Sie vermutet politische statt strafrechtlicher Motive. Und hat nun Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Ein bisschen eingeschüchtert sei sie schon, sagt Frida Henkel am Telefon. Aber sie sei jetzt vor allem extrem motiviert. Frida Henkel will ihr Thema weiter nach vorn treiben, jetzt erst recht. Sie will öffentliche Aufmerksamkeit für das, was sie Plakate-Kleben nennt.
Frida Henkel heißt nicht Frida Henkel. Und sie klebt auch keine Plakate für Konzerte oder Wahlkampfauftritte. Die junge Frau studiert im vierten Semester Jura. Sie will Anwältin werden, sagt sie. Und sie möchte nicht, dass eine Suchmaschine in einigen Jahren zu ihrem richtigen Namen das Thema auswirft, mit dem sie nun für Schlagzeilen sorgt.
Henkel rechnete mit Ermittlungen, als sie im Mai 2019 von zwei Polizeibeamten in zivil dabei ertappt wurde, wie sie ein umgestaltetes Bundeswehr-Plakat in einem Schaukasten in Berlin aufhängen wollte. Dass die Polizei vier Monate später deshalb um sieben Uhr morgens die Wohnung ihres Vaters durchsuchen würde, damit rechnete sie nicht.
Das Plakat der Bundeswehr wirbt im Original mit dem Slogan "Geht Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?". Auf dem Plakat, das Henkel aufhängte, steht "Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe". Das nennt man Adbusting: Aktivisten verändern die Botschaften von Plakaten, die im öffentlichen Raum für staatliche Institutionen werben. Das Plakat, das Henkel aufhängen wollte, beschlagnahmten die Beamten ebenso wie einen selbstgebauten Sechskantschlüssel, mit dem sie den Schaukasten geöffnet hatte. Vier Monate später durchsuchte die Polizei ihre Wohnung. Gegen diese Durchsuchung, die sie als unverhältnismäßig ansieht, hat die junge Frau nun Verfassungsbeschwerde eingelegt (Az. 2 BvR 1749/20).
Militante linke Szene?
Das Amtsgericht und das Landgericht, die ihre Beschwerden gegen die Durchsuchungsanordnung verwarfen, hätten den Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt, heißt es in deren Begründung, die LTO vorliegt. Strafrechtslehrer Prof. Dr. Mohamed El-Ghazi von der Universität Trier und der Bremer Staatsrechtslehrer Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano rügen eine Verletzung der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz) sowie der Meinungs- und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs 1 und Abs 3 GG).
Henkel hält nicht die strafrechtlichen Vorwürfe, wegen denen gegen sie ermittelt wurde, für den wahren Grund, aus dem ihre Wohnung durchsucht wurde. Der Berliner Polizeipräsident vermutete in einem Zwischenbericht ein politisches Tatmotiv und ordnete den Vorfall einer "militanten linken Szene" zu. Antimilitarismus sei eines der traditionellen Themenfelder der militanten linken Szene, heißt es dort, die Bundeswehr und ihre Werbekampagnen seien ein wiederkehrendes Ziel von Sachbeschädigungen und Adbusting-Aktionen.
Tatsächlich ist diese Zuschreibung verbreitet. Was Henkel und andere Aktivisten für eine gewaltfreie Guerillakommunikation halten, die pazifistisch Kritik an Militarismus, Polizeimethoden und Machismo übt, bewertet der Staat ganz anders. Laut der Bundesregierung hat sich das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum Links (GETZ-) in den Jahren 2018 und 2019 mit Adbusting-Aktionen befasst, der Militärische Abschirmdienst wertet Adbusting-Aktionen aus, die Plakate der Bundeswehr betreffen.
Auch im Verfassungsschutzbericht 2018 findet sich das Adbusting, im Kapitel "gewaltorientierter Linksextremismus". Die Bundesregierung betonte in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken aus dem Februar dieses Jahres, das Bundesamt für Verfassungsschutz ordne das Adbusting als solches nicht als Ausdruck einer linksextremistischen Gewaltorientierung ein. Diese Platzierung solle vielmehr den thematischen Zusammenhang wahren zwischen dem "Adbusting als strafbare Aktionsform zur Diskreditierung der Vertreter des Staates durch Linksextremisten und gewaltsamen Aktionsformen".
Eine strafbare Aktionsform?
Eine strafbare Aktionsform? Gegen Frida Henkel ermittelte die Berliner Polizei wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung. Der besonders schwere Fall soll sich aus § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) ergeben, daraus also, dass die Plakate sich in geschlossenen Schaukästen befinden und damit "durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert" seien.
Allerdings kann gemäß Abs. 2 der Vorschrift per se kein schwerer Fall vorliegen, wenn es um eine geringwertige Sache geht. Frida Henkels Bevollmächtigter El-Ghazi: "Bei einer Druckauflage von 5.000 Plakaten liegt der Preis pro Plakat schon unter 1 Euro – der drohende Rechtsgutschaden hätte daher in jedem Fall im unteren einstelligen Eurobereich gelegen. Das gilt natürlich ebenso für eine im Raum stehende Sachbeschädigung, wegen der ebenfalls ermittelt wurde".
Für eine Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls zweifelt Strafrechtslehrer El-Ghazi schon an der geplanten Wegnahme einer fremden Sache. "Beim Adbusting geht es um Gesellschaftskritik, nicht um eine Wegnahme der Plakate. Die ausgetauschten Plakate werden heute regelmäßig in der Vitrine belassen", sagte El-Ghazi gegenüber LTO. Tatsächlich finden sich schon bei einer einfachen Google-Suche entsprechende Tipps im Netz. Wenn auch Henkel damals so vorgehen wollte, hätte sie ohne Zueignungsabsicht und ohne Enteignungsvorsatz gehandelt.
Fest steht, dass Henkel ein Plakat bei sich führte, das sie selbst besorgt und collagiert hatte. Sie So hinterlassen die Adbuster, die regelmäßig nicht mit Klebstoff arbeiten, sondern ihre mitgebrachten Plakate zum Beispiel mit Klemmleisten in die Kästen hängen, keine Spuren an den Plakaten in den Vitrinen, die ihrerseits mit Werkzeug geöffnet werden können, das keine Beschädigung hinterlässt. All das wissen auch die Aktivisten, die zum Beispiel bei öffentlichen PR-Aktionen für ihre Aktivitäten stets peinlich genau darauf achten, vor den Kameras nur Plakate zu verwenden, die sie selbst besorgt und dann verändert haben.
Auch die Ermittler scheinen inzwischen festzustellen, dass ein geschickt agierender Adbuster keinen Straftatbestand erfüllen muss. Der Sprecher der GdP Polizeigewerkschaft Berlin, Benjamin Jendro, twitterte Ende September anlässlich zweier veränderter Werbeplakate der Berliner Polizei: "Das ist keine Meinungsäußerung, sondern perfide, menschenverachtend und armselig – kann nicht sein, dass das stärkste Mittel des Rechtsstaats gegen solche Perversion das Kunsturheberrecht ist".
Strafbare Urheberrechtsverletzung?
Interessanterweise hat bislang offenbar keine Staatsanwaltschaft wegen einer möglichen Urheberrechtsverletzung ermittelt. Dabei kann nach § 106 Urheberrechtsgesetz mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden, wer ohne Einwilligung ein urheberrechtlich geschütztes Werk vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt. Die aufwendig erstellten Werbeplakate von Bundeswehr oder Polizei sind sicherlich in diesem Sinne urheberrechtlich geschützte Werke.
Prof. Dr. Christian Hentsch von der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht sieht im Adbusting dennoch "in der Regel richtigerweise keine Urheberrechtsverletzung". Auch wenn durch ein abgeändertes Plakat eine möglicherweise urheberrechtlich geschützte Vorlage bearbeitet werde, geschehe dies "bei kreativen politischen Aussagen mit eigenem Werkcharakter in einer antithematischen Auseinandersetzung in freier Benutzung", so der Urheberrechtler. Er weist auf die stets nötige Interessensabwägung zwischen den Urheberrechten und dem Recht auf freie Meinungsäußerung hin: "Werbung für Bundeswehr und Polizei im öffentlichen Raum muss sich wegen ihrer exponierten gesellschaftlichen Bedeutung mit Blick auf die jüngste Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht, Europäischem Gerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine kritisch-politische Auseinandersetzung gefallen lassen." Hentsch erklärt, dass die Staatsanwaltschaft in Urheberrechtssachen praktisch nie ermittele: "Wenn es nicht um schwere Bandenkriminalität geht, dann sollen solche Delikte zivilrechtlich geklärt werden".
Zivilrechtlich kann man argumentieren, dass dem ursprünglich Werbenden ein Schaden dadurch entsteht, dass er die zu einem bestimmten Preis gebuchte Werbefläche nicht nutzen kann, wenn sein Plakat von einem anderen verdeckt wird. Jedoch könnte das womöglich einen zivilrechtlichen Schadensersatzspruch begründen, aber keine Strafbarkeit, die der Staat verfolgen dürfte oder auch nur könnte.
Verfassungsbeschwerde: Unverletzlichkeit der Wohnung, Meinungs- und Kunstfreiheit verletzt
Und doch ermitteln die oft chronisch überlasteten Behörden wegen Adbusting offenbar mit großer Verve. Von sichergestellten Plakaten werden Fingerabdrücke und DNA-Spuren genommen, nach den Tätern mit viel Aufwand gesucht. Abgeurteilt werden die Taten dagegen offenbar selten, in Berlin wurde im Oktober 2019 ein Verfahren gegen Zahlung von 1.200 Euro, im Mai 2020 ein anderes mangels strafbaren Verhaltens. Auch im Fall von Henkel gingen die Strafverfolger mit Wucht vor. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde möchte die Jurastudierende auch "diese Ermittlungspraxis delegitimieren". Aus ihrer Sicht könnte "eine gute Entscheidung aus Karlsruhe dafür sorgen, dass andere Menschen, die Plakate verändern, keine Angst haben müssen, dass ihre Wohnung durchsucht wird".
Die Professoren El-Ghazi und Fischer-Lescano, die sie pro bono begleiten, halten eine Durchsuchung für unverhältnismäßig. "Wenn überhaupt, dann bestand maximal ein Anfangsverdacht wegen einer Straftat im untersten Bagatellbereich", so El-Ghazi gegenüber LTO.
Unklar sei zudem, was Polizei und Staatsanwaltschaft sich überhaupt noch von der Durchsuchung versprochen hätten, um die Tat aufzuklären – schließlich war Henkel auf frischer Tat angetroffen worden und die einzigen Tatwerkzeuge, die sie für das Adbusting gebraucht hätte, hatten die Beamten bereits beschlagnahmt. Dabei müssen Ermittler diese sog. Auffindewahrscheinlichkeit besonders gut begründen, wenn zwischen Tat und Durchsuchung viel Zeit vergangen ist. Der Durchsuchungsbefehl gegen Henkel wurde erst zwei Monate nach dem Adbusting-Versuch erlassen und weitere zwei Monate später vollstreckt. In der Hausdurchsuchung sehen Fischer-Lescano und El-Ghazi zudem auch einen ungerechtfertigten Eingriff in die Meinungs- und die Kunstfreiheit der jungen Frau.
Die Hausdurchsuchung könnte das BVerfG sicherlich auch als unverhältnismäßig einstufen, ohne sich detailliert damit zu beschäftigen, ob das Adbusting, geschickt ausgeführt, überhaupt Straftatbestände erfüllt. Das Ermittlungsverfahren gegen Frida Henkel übrigens wurde zwischenzeitlich eingestellt, nach § 153 Abs. 1 StPO, wegen Geringfügigkeit. Die Staatsanwaltschaft hat Zweifel an der Strafbarkeit ihres Verhaltens.
Wohnungsdurchsuchung nach Adbusting: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43193 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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